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Der Corona-StädtevergleichStädtetrips machen keinen Spaß mehr

In der Coronakrise schauen wir regelmäßig in europäische Nachbarstädte. Von neuen Maßnahmen berichten wir aus Paris, Madrid, Oslo – und Berlin.

Viele Spielplätze in Madrid sind abgesperrt Foto: Marta Fernández Jara/dpa

Madrid taz | Die Twitter-Nachricht einer Madrider Kinderärztin bringt es auf den Punkt: „Pläne mit den Kindern fürs Wochenende: Wanderung in den Bergen von Madrid? Geht nicht. In den Park nebenan? Geht nicht. Einkaufszentrum? Geht. Restaurant (Innenraum)? Geht. Es ist eine Schande.“ Während die Spielplätze in den meisten Gemeinden der Region seit Wochen geschlossen sind, bleiben Restaurants und Wettbüros offen, auch wenn sie Plätze auf die Hälfte reduzieren, und die Sperrstunde vorverlegen mussten.

In der Hauptstadt Madrid selbst hängen die Plastikbänder, die den Zugang verbieten seit Ende August an Schaukeln und Rutschbahnen. In den wenigen Parks wo sie von den Behörden in den letzten Tagen entfernt wurden, wird darauf hingewiesen, wie viele Kinder gleichzeitig Zugang haben.

Es ist eine der Besonderheiten der Covid-Bekämpfung oder besser Nichtbekämpfung in der von der konservativen Partido Popular und den rechtsliberalen Ciudadanos mit der parlamentarischen Unterstützung durch rechtsextreme VOX regierten Region. Billiger Aktivismus statt effektive Maßnahmen. Denn die Regionalregierung vermeidet alles, was auch nur irgendwie die Wirtschaft beeinflussen könnte. Geschlossene Parks und Spielplätze kostet nichts. Geschlossene Kneipen, Wettbüros oder Geschäfte schon.

Da es an Personal zur Kontaktverfolgung Infizierter fehlte, als sich die Neuinfektionen noch hätten genau eingrenzen lassen, ist der Virus längst wieder zurück in der gesamten Bevölkerung. Ansteckung ist überall und jederzeit möglich. In der Region Madrid steckten wurden in den vergangenen sieben Tagen 230 neue Fälle pro 100.000 Einwohner ausgemacht, so viele wie in keiner anderen Hauptstadtregion Europas.

Die Regionalregierung reagierte auf ihre, die Wirtschaft schonende Art. Mobilitätsbeschränkungen betrafen Ende September nur arme Stadtteile im Süden. Der reiche Norden, das Zentrum Madrids, sowie die Gebiete in unmittelbarer Nachbarschaft großen Einkaufszentren waren ausgenommen.

Das hat sich jetzt auf Anordnung der Zentralregierung geändert. Madrid sowie acht Vororte stehen seit nun mehr 10 Tagen unter neuen Anti-Covid- Auflagen. Nur wer einen triftigen Grund wie etwa Arbeit, Ausbildung, Arztbesuch, Pflege eines Angehörigen hat, darf hinaus oder hinein.

Bereits nach der ersten Covid-Welle im Frühjahr gab es absurde Maßnahmen. Zeitweise war es dank einer Verordnung der Zentralregierung erlaubt, das Auto zu nehmen, um sich irgendwo in der Region mit bis zu sechs in einer Gartenkneipe zu treffen. Aber Spaziergänge durften nur eine Stunde dauern und mussten in einem Umkreis von einem Kilometer von der eigenen Wohnung und nur in Begleitung von Mitbewohnern stattfinden. Ausnahme: Wer in die die Berge Madrids fuhr, konnte dort gegen Bezahlung an geführten Wanderungen teilnehmen, mit bis zu neun weiteren wildfremden Kunden. Ländlicher Tourismus nannte sich das. Reiner Wandler

Kneipen und Bars sind in Paris zur Zeit geschlossen Foto: Lewis Joly/dpa

Alarmstufe Scharlachrot in Paris

paris taz | Nach einer mehrmonatigen Pause wegen der restriktiven Coronavorschriften hatte das Pariser Luxushotel „Lutétia“ (für Nicht-Asterix-Leser: Das ist der lateinische Name für Paris) erst gerade im September wieder seine Tore geöffnet. Das Vergnügen für die Nachtschwärmer war von kurzer Dauer: Aufgrund der neuen Restriktionen musste die Piano-Bar „Chez Joséphine“ in diesem geschichtsträchtigen Art-déco-Palast, den neben diversen Berühmtheiten auch während der Besetzungsjahre die Gestapo in Beschlag genommen hatte, schon wieder schließen. Bis auf Weiteres gibt es bei „Joséphine“ weder Jazz noch Cocktails. Der Barbetrieb ist auf Beschluss der Behörden vorerst für 14 Tage eingestellt.

Das Hotel und die Brasserie dagegen dürfen unter Einhaltung der strengeren Vorschriften weiterhin Gäste empfangen. Für die berühmteste Bar von Paris gelten dieselben Regeln wie für eine heruntergekommene Kneipe neben Pigalle.

Seit einer Woche bereits gilt für Paris die „maximale Alarmstufe“. In der Corona-Fachsprache heißt dies, dass in dieser letzten Vorstufe zum „allgemeinen Notstand“ die Warnlichter nicht nur bloß rot, sondern in (bewusst) beängstigender Manier „scharlachrot“ blinken. Für einen Teil der Bevölkerung ändert dies aber nicht viel im Alltag. Schon vorher musste sie bei der Arbeit, im Unterricht, beim Shopping und selbst beim Spazieren auf der Straße Masken tragen und mindestens 1 Meter Abstand wahren.

Weil dies aber zu wenig respektiert wurde oder zu wenig genützt hat, wurde das Ausgehverbot verschärft, das vor allem die Jüngeren trifft. Denn Speiselokale dürfen weiterhin öffnen, auch für die meisten Cafés samt ihren Terrassen; nur die auf Alkoholausschank und abendliche Gäste spezialisierten Bars sind im Visier der Verbote.

Neu ist: In den Restaurants ist am Eingang auf einem handgeschriebenen Zettel oder ausgedruckten Blatt die Zahl der Sitzplätze angegeben. Auch neu: Die Wirte sollen ein Register ihrer Gäste führen, das es den Gesundheitsbehörden ermöglichen soll, nachträglich eventuell infizierte Personen zu kontaktieren.

Wer den Flop der hausgemachten französischen App „StopCovid“ für ein Contact tracing kennt, zweifelt an der Wirksamkeit dieser umstrittenen Erfassung von Personendaten, die im Prinzip nach zwei Wochen gelöscht werden müssten.

Auch für die Museen, Theater, Kinos und Konzertsäle hat sich mit der höheren Alarmstufe nichts geändert. Es bleibt bei den Sicherheitsdistanzen und den obligatorischen Masken für die Besucher*innen. Viel härter trifft es die Fitnesszentren. Sie mussten erneut schließen, weil das Muskeltraining ohne Maske als mögliche Quelle der Virenverbreitung eingestuft ist. Sport ist offenbar schädlicher für die Gesundheit als die Kultur. Rudolf Balmer

Oslo empfiehlt Bürger*innen, im Bus eine Maske zu tragen Foto: Vesa Moilanen/dpa

Maskenempfehlung im Osloer Nahverkehr

Oslo taz | Zum „Corona-Europameister“ rief die Osloer Tageszeitung VG am vergangenen Mittwoch Norwegen aus. Nun, wo Finnland und Island, bisherige „Konkurrentinnen“ um diesen Titel, das Land bei der Zahl der Corona-Infizierten überholt hätten und Dänemark sowieso das „neue Schweden“ geworden sei, liege man in Europa zusammen mit Zypern allein unter der Grenze von 30 Coronafällen pro 100.000 EinwohnerInnen. Und das ohne Masken, ohne geschlossene Kitas, Schulen und Restaurants, „und wir durften joggen, mit dem Hund Gassi gehen und zu unseren Hütten fahren“.

Womöglich könnte die VG-Redaktion Norwegen gleich zum „Weltmeister“ ausrufen, wenn da nicht Oslo wäre. Die Hauptstadt versemmelt nämlich mit Corona-Fallzahlen zwischen 80 und 90 die Bilanz. Außerhalb der Stadtgrenze begegnet man den EinwohnerInnen Oslos daher derzeit mit Distanz. KommunalpolitikerInnen im Umfeld der Hauptstadt haben ihren BürgerInnen empfohlen, auf Besuche dort besser ganz zu verzichten. Auf ausländische TouristInnen und UrlaubsrückkehrerInnen, die das Virus im Gepäck hatten, konnte man die steigenden Fallzahlen am Ende des Sommers aber nicht schieben. Dazu hatte sich Norwegen seit dem Frühjahr zu perfekt von der Umwelt abgekapselt.

Die Gesundheitsbehörde macht für den Anstieg vor allem die „jüngere Generation“ verantwortlich. Die sei mit ein wenig zu viel Feierlaune aus den Semesterferien zurückgekehrt. Tatsächlich scheint die Infektionsstatistik hierfür Belege zu liefern. Die Zahlen stiegen nicht so sehr in den östlichen Stadtteilen, wo die weniger gut Betuchten wohnen und es einen hohen Anteil migrantischer Bevölkerung gibt, sondern im „reichen“ Westteil der Hauptstadt. Mit rund 140 bis 160 Corona-Neuinfektionen pro 100.000 fiel dabei der als Studiwohnviertel populäre Stadtteil St. Hanshaugen auf. Polizei und BewohnerInnen berichten, dass da im September ausgiebig und ohne Rücksicht auf Corona-Verhaltensregeln gefeiert worden sei.

Erst als die staatliche Gesundheitsbehörde die Hauptstadtpolitik öffentlich rüffelte, sie nehme Corona offenbar nicht mehr ernst, reagierte diese und verhängte Restriktionen: Nun gilt Maskenempfehlung im öffentlichen Nahverkehr, wenn man nicht einen Meter Abstand halten kann, Privatfeste dürfen nur noch mit höchstens 10, Veranstaltungen in Innenräumen mit bis zu 50 TeilnehmerInnen stattfinden, in Restaurants und Kneipen sind Gästelisten obligatorisch.

Oslo muss außerdem nachsitzen. Die Erleichterungen, die ansonsten ab Montag landesweit in Kraft treten und die nun Veranstaltungen von bis zu 600 TeilnehmerInnen und Alkoholausschank auch wieder nach Mitternacht erlauben, gelten in Oslo erst einmal nicht. Reinhard Wolff

Letzte Runde um 22:15 Uhr: In Berlin müssen Kneipen um elf dicht machen Foto: Annette Riedl/dpa

Sperrstunde in Berlin

Berlin taz | Im eigentlich nimmermüden Berlin ist seit dem Wochenende Schluss mit lustig. Dort, wo man den Sommer über noch – halblegal, aber problemlos – in der Hasenheide oder dem Mauerpark in großen Gruppen raven konnte, dürfen sich von 23 Uhr bis 6 Uhr nur noch fünf Personen oder Menschen aus zwei Haushalten im Freien treffen. Auch Kneipen, Bars, Restaurants und Spätis müssen in dieser Zeitspanne schließen. Selbst in Tankstellen bekommt man nachts weder Sekt noch Sterni.

Gastronom*innen sind sauer, haben sie wegen der halbierten Zahl an Tischen und dem trüben Herbstwetter ohnehin schon Einbußen. Einige haben gegen die Sperrstunde geklagt. Viele Berliner*innen hingegen zeigten in Anbetracht der steigenden Zahlen Verständnis, als sie Samstagabend um elf erstmals die Kneipen verlassen mussten. Am Montag wurden 252 Berliner*innen positiv auf das Virus getestet. Der Wert der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner*innen binnen sieben Tagen stieg auf 63,2 an. Ab 50 gilt eine Region als Risikogebiet.

Das bringt teilweise den Herbsturlaub in Gefahr: Einige Bundesländer, darunter das Nachbarland Brandenburg, haben ein Beherbergungsverbot für Reisende aus Berlin verhängt, Berlin will diese Regelung aufweichen. Was Berliner*innen bei all den Verboten noch dürfen? Ohne Mund-Nasen-Maske spazieren gehen und mit so vielen Leuten demonstrieren, wie sie wollen. Rieke Wiemann

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