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Der Architekt Hinrich BallerAls würden sie tanzen

Mit Pastelltönen und eigenwilligen Formen mischte Hinrich Baller Berlin ab Ende der 1960er Jahre auf. Zur Erinnerung an den im Juli verstorbenen Architekten.

Unverkennbar ein Baller-Bau: das Freizeithaus der Spreewald-Grundschule in der Pallasstraße in Berlin-Schöneberg Foto: Schöning/imago

Wenn man schon eine Weile in Berlin lebt, dann erinnert man sich vielleicht an den Moment, an dem einem das erste Mal die pastellfarbenen Häuser mit den abgerundeten Balkonen und den filigranen Geländern aufgefallen sind, die so anders aussehen als die üblichen Altbauten, die als schick, und die Neubauten, die als seelenlos galten. Oft stehen sie auf Säulen und sehen aus, als würden sie tanzen, sich im Wind wiegen, auf jeden Fall nicht still stehen.

Die von Inken und Hinrich Baller zwischen 1966 und 1987, meist als sozialer Wohnungsbau, erbauten Häuser waren etwas ganz anderes. Etwas, das die alteingesessene Hierarchie zwischen Alt- und Neubau auf den Kopf stellte und der Stadt Berlin einzelne, kleine Inseln des experimentellen Wohnens und Bauens schenkte, die die Stadt bis heute interessanter und diskussionswürdiger machen. Denn es wurde viel diskutiert über die Art des Bauens, die die Ballers praktizierten.

Das Rosa, das Mintgrün wurden als aufdringlich empfunden, die geschwungenen Balkone als zu verspielt und albern. Dabei lebte Hinrich Baller, der nach langer Krankheit mit 89 Jahren bereits am 23. Juli verstorben ist, selbst in einem von ihm erschaffenen Gebäude. Dieses Bauen war also keine bloße Spielerei, die dann die anderen ausbaden sollten, sondern etwas, wovon sie überzeugt waren.

Leben der Menschen bedacht

Und wenn man schon einmal in einer dieser Wohnungen etwas Zeit verbracht hat, dann bemerkt man schnell, wie klug die beiden Architekten das Leben der Menschen bedacht haben und wie viel Großzügigkeit man, auch ohne unendliche Quadratmeter zur Verfügung zu haben, schaffen kann.

Es gibt große Räume für alle, viele kleine zum Rückzug, Treppen, die die verschiedenen Ebenen der Wohnung miteinander verbinden. Dadurch entstehen oft Lufträume, die manchmal eine höhere Deckenhöhe als in den begehrten Altbauten entstehen lassen. Rechte Winkel sucht man vergeblich und runde Wände wechseln sich mit dreieckigen Schlafzimmern ab.

Dabei ging es immer darum, der Individualität der Menschen Raum zu lassen. Fast jedes der Wohnhäuser verfügt über eine Dachterrasse, die gemeinschaftlich genutzt wird. Es geht also nicht nur um Individualität, sondern auch und vor allem darum, in Gemeinschaft zu leben.

Rechte Winkel mochte Hinrich Baller nicht Foto: Helga Fassbinder/dpa

So können auch die in die Stadt hineinblickenden Balkone schon davon erzählen, dass die Menschen in diesen Gebäuden nicht der Vereinzelung anheimfallen sollen, sondern im Gegenteil, sich ganz natürlich begegnen und sich auch schon aus der Wohnung heraus mit der Stadt verbinden.

Baller hinter der Fassade

Doch es gibt auch Baller-Bauten in Berlin, die man erst mal gar nicht als solche erkennen kann. Auf dem Kottbusser Damm wurden Inken und Hinrich Baller 1979 damit beauftragt, ein Wohnhaus von Bruno Taut zu restaurieren, von dem nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch die Fassade intakt war.

Von außen ist das Gebäude immer noch ein zurückgenommener Taut, dessen klar strukturierte Fassade sich geradezu herrschaftlich über die wuselige Einkaufsstraße erhebt. Doch innen ist alles Baller. Die verästelten, mintgrünen Geländer, die eigenwillige Raumaufteilung. Es ist nicht weiter überraschend, wenn man erfährt, dass Hinrich Baller ursprünglich Musik studiert hat.

In einem Interview mit dem Berliner Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) sprach er über gelungene Architektur einmal von „Tiefe, Kürze, Enge und Weite, die einander die Hand reichen“. Schon hier zeigt sich, wie sehr es ihm auch immer um Rhythmus ging beim Bauen.

Doch nicht nur Ballersche Wohngebäude prägen die Stadt. Auch etliche öffentliche Gebäude, wie Turnhallen, der Rosenhof – die Passage am Rosenthaler Platz – oder das Einkaufszentrum „Castello“, das mit seinen Türmchen und Auskragungen so exaltiert emotional daherkommt, wie man das von diesem Gebäudetypus kaum erwartet.

Maximum an vermietbarer Wohnfläche

Dass man den Ballers solche Freiheiten beim Bauen gelassen hat, muss verschiedene Gründe gehabt haben. Einer war sicherlich, dass sie sich (meist) akribisch an die Kostenvorgaben gehalten haben. Inken Baller beschrieb es einmal als „Schmuggelware“, die sie schufen. Sie sollten das Maximum an vermietbarer Wohnfläche für ihre Bauherren herausholen; wie sie das taten, wurde ihnen zum Glück selbst überlassen.

2023 bekamen Inken und Hinrich Baller den Großen BDA-Preis für ihr Werk. Eine späte Anerkennung, die aber wohl mit den schönsten Worten begründet wurde: „aufmüpfig, fröhlich, sozial und von eigenwilliger Schönheit“ seien die von ihnen geschaffenen Bauten. Und wenn diese Eigenschaften auch nur ein bisschen abfärben auf ihre Umgebung, dann sieht es für die Zukunft der Stadt vielleicht gar nicht ganz so schlecht aus.

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1 Kommentar

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  • Es war immer ein Vergnügen, aus der Rostlaube zu treten, die Habelschwerdter Allee zu überqueren und den Baller-Bau zu betreten.