Depressiv in der Krise: Schon krank oder noch überfordert?

Es ist längst zu viel geworden: Klimakrise, Pandemie, nun ein alles überschattender Krieg. Die Arbeit lenkt immerhin ab, nur: Wer weiß, ob das gut ist.

Detailaufnahme eines Geduldsspiels mit Kugeln in einem Labyrinth aus Rillen

Gedanken wie Kugeln: ist der eine verschwunden, kommt der andere wieder hoch Foto: Begsteiger/imageBROKER/imago

Kennen Sie noch diese Geduldspiele, bei denen kleine silberne Kugeln in Löcher befördert gehörten? Fünf oder sechs dieser Kügelchen rollten auf Holz oder Plastik in einer kleinen Box umher. Meist, wenn nur noch eine Kugel fehlte, man dem Ziel also nahe war, sprang an anderer Stelle wieder eine qua Bewegung heraus.

So in etwa fühlt sich mein Kopf momentan an: Umherrollende Gedanken, die kaum Möglichkeit finden innezuhalten. Ich kann die aktuellen Geschehnisse mental nicht mehr verarbeiten. Es ist längst zu viel geworden: Klimakrise, Pandemie, Menschen, die keinen Bock haben, und das als Rechtfertigung nehmen, ihre Menschenfeindlichkeit offenzulegen – und nun ein alles überschattender Krieg, angesichts dessen jedes Wort ekelhaft banal klingt.

Ich wollte diesen Kolumnenplatz nutzen, um über psychische Erkrankungen aufzuklären, anderen Trost zu spenden und vielleicht sogar das ein oder andere Nützliche mitzugeben. Aktuell fühle ich mich dazu nicht in der Lage. Habe ich Ende letzten Jahres an dieser Stelle noch gemunkelt, ob ich wieder in eine depressive Episode rutsche, weiß ich mittlerweile: Ich bin mittendrin.

Sie kann noch nicht sehr schwer sein, denn sonst bekäme ich wohl kein Wort mehr geschrieben. Oder? Ich bin selbst immer wieder erstaunt, was während einer depressiven Episode noch geht und was plötzlich nicht mehr. Dabei scheint die Krankheit keiner Logik zu folgen: An einem Tag kann ich duschen, aufräumen, arbeiten und am nächsten breche ich zusammen, weil ich mich außerstande fühle abzuwaschen. Die Frage ist: Bin ich schon krank oder einfach überfordert – oder bedingt das eine das andere?

Mit der Arbeit zuhause

Laut der Krankenkasse DAK ist der Arbeitsausfall aufgrund psychischer Erkrankungen im Vergleich zu vor zehn Jahren um 41 Prozent gestiegen. Am häufigsten sind Ausfälle dabei auf Depressionen zurückzuführen gewesen – besonders seit der Pandemie haben sich aber auch Anpassungs- und Angststörungen vermehrt. Wie damit umgehen? Gerade in einem Job, der das tägliche Auseinandersetzen mit schrecklichen Nachrichten und Bildern verlangt.

In einem in der taz erschienenen Interview sagte der Journalist Olivier David: „Wenn ich sage, ich habe eine psychische Erkrankung, dann ist es das eine, vom Journalismus zu sagen: Ja, cool, schildere deine Perspektive. Aber die Frage ist, ob die Solidarität auch noch da ist, wenn du deinen Abgabetermin nicht schaffst.“ Einer Depression ist es ziemlich egal, ob ein Abgabetermin naht oder – und das ist vielleicht die schlimmste Erkenntnis – ob ein Krieg nur zwei Flugstunden entfernt stattfindet.

Würde ich davon ausgehen, zum Arbeiten ins Büro gehen zu müssen, wäre der Fall klar. Dank Homeoffice gestaltet sich die Lage schwieriger. Denn Arbeit bedeutet immerhin Ablenkung vom ewigen Gedankenkreisen – von den silbernen Kugeln, die einfach keine Ruhe finden wollen.

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Sophia Zessnik ist seit 2019 bei der taz und arbeitet in den Bereichen Kultur und Social Media. Sie schreibt am liebsten über Alltägliches, toxische Männlichkeit und Menschen im Allgemeinen. In ihrer Kolumne „Great Depression“ beschäftigt sie sich außerdem mit dem Thema psychische Gesundheit.

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