Denunzianten-Gesetz in Ungarn: Temporär verschoben
Staatspräsidentin Novák protestiert gegen das homophobe „Whistleblower-Gesetz“. Ideologische Gründe spielen dabei weniger eine Rolle als pragmatische.
berraschende Unabhängigkeit demonstrierte Ungarns Präsidentin Katalin Novák mit ihrem Nein zum vom Parlament beschlossenen „Whistleblower-Gesetz“, das zur Anzeige von gleichgeschlechtlichen Paaren verpflichtet, die gemeinsam Kinder aufziehen. Premierminister Viktor Orbáns nationalkonservative Regierung führt seit Jahren einen Feldzug gegen die LGBTI+-Kultur. Bücher, in denen erkennbar schwule oder transsexuelle Personen vorkommen, wurden verbannt.
Die Homophobie in der Bevölkerung wird ähnlich wie in Wladimir Putins Russland geschürt, dessen Regeln in dieser Materie überhaupt für Ungarns Gesetzgebung Pate gestanden haben dürfte. Orbán sieht sich als Verteidiger des christlichen Abendlandes, das er von der vermeintlichen Gay-Kultur des EU-Mainstreams bedroht sieht. Die unumstößliche Festschreibung, „Der Vater ist ein Mann, die Mutter eine Frau“, hat in Ungarn Verfassungsrang.
Das neue Gesetz würde also Personen, die von andersartigen Familien Kenntnis haben, zur Denunziation verpflichten. Die 45-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin und ehemalige Staatssekretärin für Familien- und Jugendangelegenheiten wurde von Orbán ebenso nach Kriterien der parteipolitischen Zuverlässigkeit ausgewählt wie alle ihre Vorgänger im Amt des Staatspräsidenten, seit Orbán 2010 die Regierungsgeschäfte übernahm. Deswegen zeigten sich viele von der Entscheidung Nováks überrascht.
Normal fungiert das Staatsoberhaupt in Ungarn als Stempelmaschine der Macht. Novák antizipiert aber nur den Einspruch der EU, deren Richtlinien Diskriminierung von Homosexuellen verbieten. Sie hat den Gesetzesentwurf zur Neuverhandlung ans Parlament zurückverwiesen. Die Passage über die LGBTQ-Familien soll herausgenommen werden. Novák vermeidet damit nur, als peinliche Marionette zu fungieren.
Nun ist Orbán nicht für seinen vorauseilenden Gehorsam gegenüber Brüssel bekannt. Die Fidesz-Mehrheit im Parlament wird den unveränderten Entwurf wohl erneut billigen, und nach einem zweiten Beschluss hat das Staatsoberhaupt kein Vetorecht mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin