Deniz Yücels Rücktritt als PEN-Präsident: Bratwurstbude zum Fremdschämen
Unser Autor ist PEN-Mitglied und nahm peinlich berührt an der turbulenten Versammlung in Gotha teil, auf der Deniz Yücel zurücktrat.
Schon die Eröffnung der Tagung, als Deniz Yücel ausgebuht wurde, ließ nichts Gutes ahnen. Es ging dann auch genauso weiter, man schrie sich zehn Stunden lang gegenseitig an. Es dominierte die „toxische Männlichkeit einer Riege alter westdeutscher Herren“, die persönliche Eitelkeiten vor die politische Wirksamkeit des Vereins stellte, wie eine Beobachterin konstatierte. Auch nachdem Yücel den Abwahlantrag gegen ihn knapp überstanden hatte, hörten die Beschimpfungen nicht auf. Die Sache kulminierte im Freudengeheul nach der Abwahl des Schatzmeisters Joachim Helfer.
„Wir mussten heute feststellen, dass unsere Versuche, den deutschen PEN zu einer modernen NGO zu machen und ihm in zeitgemäßer Form seine alte Relevanz als Intellektuellenvereinigung zurückzugeben, von einer Mehrheit nicht gewollt ist“, sagte Yücel und trat zurück.
Er wollte unter anderem das Programm „Writers in Exile“ für verfolgte Journalistinnen und Journalisten ausweiten. Andere, wie der Generalsekretär Heinrich Peuckmann, fanden, dass die Literatur wegen des Programms zu kurz gekommen sei. „Das ist aber unser Markenzeichen“, sagte er. „Wir sind ein Schriftstellerverband.“ Dass Peuckmann in seinem Amt bestätigt wurde, war einer der Hauptgründe für den Eklat.
Prahlen und beleidigen
Peuckmann prahlte in seiner Rede damit, dass die Liste der Veröffentlichungen in seinem Wikipedia-Eintrag viel länger sei als in Yücels Eintrag. Es war zum Fremdschämen! Mit 72 Jahren sollte man teenagerhafte Schwanzvergleiche überwunden haben. Und es gab viel mehr Peinlichkeiten.
Am Samstag begründete Nikola Anne Mehlhorn ihren Rücktritt mit Homosexuellen- und Ausländerfeindlichkeit im Verband und zitierte ein nicht namentlich genanntes Mitglied, von dem Helfer schwulenfeindlich beleidigt worden sei. Ein anderes Mitglied hatte nach Yücels Wahl im Oktober vorigen Jahres geäußert: „Nun sind auch die Gastarbeiterkinder im PEN angekommen.“
Meine Geschichte mit dem PEN fing vor rund drei Jahrzehnten an. Damals fragte mich Fritz Beer, der Präsident des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland, ob ich Mitglied werden möchte. Beer war mit seiner weißen Mähne und den buschigen Augenbrauen eine imposante Gestalt mit imposanter Biografie.
Turbulenzen der Vergangenheit
Er hatte in Prag für die Arbeiter-Illustrierte-Zeitung gearbeitet, im Zweiten Weltkrieg mit der tschechoslowakischen Exilarmee gegen die Nazis gekämpft und war später politischer Kommentator der BBC. Ich empfand es als große Ehre, von ihm in den Exil-PEN eingeladen zu werden.
Es waren turbulente Zeiten damals. Die beiden PEN-Filialen der BRD und der DDR wollten fusionieren, was zu zahlreichen Austritten aus dem bundesdeutschen PEN führte. So schlossen sich unter anderem Jürgen Fuchs und Ralph Giordano dem Auslands-PEN an. Im Jahr 2000 löste Beer das PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland wegen „Lethargie“ der Mitglieder auf. Einige, die damit nicht einverstanden waren, führen den Verband bis heute weiter, aber er ist kaum noch in Erscheinung getreten.
Ich wechselte in den bundesdeutschen PEN, blieb aber passiv. Als im vorigen Oktober das neue Präsidium mit Deniz Yücel als Präsident gewählt wurde, war mein Interesse geweckt. Könnte aus dem betulichen Verein doch noch ein relevantes Organ werden?
Die Wahl des neuen Präsidiums entpuppte sich jedoch als Missverständnis. Die alten Herrschaften glaubten, dass sie mit Yücel, der wegen angeblicher Terrorpropaganda ein Jahr in türkischer Untersuchungshaft saß, größere Aufmerksamkeit erreichen würden. So kam es auch, aber anders, als sie gehofft hatten. Das Präsidium scheuchte den verschnarchten Haufen mehr auf, als ihm lieb war.
Skepsis gegenüber einem Neuanfang
Wie geht es nun weiter? PEN-Mitglied Herbert Wiesner sagte: „Wir brauchen einen Neuanfang mit jüngeren Leuten nach diesem Desaster, wir steuern ins Nirwana.“ Am Samstag wurde ein „außerordentlicher Notstandsvorstand“ mit Josef Haslinger als Interimspräsident gewählt.
Ein Neuanfang ist das freilich nicht. Haslinger war früher schon mal Präsident, und im März hatte er mit vier anderen Ex-Präsidenten Yücels Rücktritt gefordert, weil der auf dem Literaturfestival Lit.Cologne laut über eine Flugverbotszone in der Ukraine nachgedacht hatte.
Der Neustart müsse so gelingen, sagte Haslinger am Samstag, dass es auch zu einer Versöhnung zwischen den beiden Gruppen komme, deren Konflikt am Freitag so schmerzhaft aufgebrochen sei. Viele jüngere Mitglieder haben indes angekündigt, dass sie aus dem Verein austreten werden. Es wird womöglich Jahre dauern, bis sich bei der „Bratwurstbude“, wie Yücel es nannte, wieder etwas bewegen wird.
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