Demos nach dem Katalonien-Referendum: Weiß, die Farbe der Hoffnung
Tausende demonstrieren in ganz Spanien für einen Dialog zwischen der Zentralregierung und den Katalanen. Sie sind weiß gekleidet, ihr Slogan: Sprechen wir?
Die größten Kundgebungen fanden in Barcelona und Madrid statt. In der katalanischen Hauptstadt war der Platz San Jaume, auf dessen einen Seite das Rathaus und auf der anderen der Sitz der Generalitat liegt, brechend voll. In Madrid versammelten sich weit über zehntausend Menschen auf dem riesigen Kreisverkehr Plaza de Cibeles vor der Stadtverwaltung.
„Die Politiker müssen endlich ihre Arbeit machen“, sagt die 46-jährige Bürokauffrau Mireia Arques. „Ein politisches Problem lässt sich nur mit Politik lösen und nicht mit Polizeigewalt und Justiz“, fügt ihr Mann, der 51-jährige Werbegrafiker Juan Manzanas (51) hinzu. Beide sind Katalanen und leben seit 17 Jahren in der spanischen Hauptstadt. Sie sind sichtlich überrascht, dass viele Menschen die Forderung nach einer Dialoglösung mittragen. „Es ist schwierig über den Katalonienkonflikt zu reden. Nur wenige in unserem Umfeld wollen oder können verstehen, was in Katalonien passiert“, berichten Arques und Manzanas. Beide wollen einen Dialog, damit weder einseitig die Unabhängigkeit ausgerufen wird, noch der Artikel 155 der spanischen Verfassung zur Anwendung kommt.
Dieser sieht vor, dass Madrid die Autonomieverwaltung in Katalonien aussetzt und selbst die Regierungsgeschäfte in der nord-ost-spanischen Region übernimmt. Das wäre für die beiden eine Katastrophe. „Die Gesetze müssen für die Menschen da sein und nicht umgekehrt“, mahnt Manzanas. „Die einzige Lösung ist ein erneutes Referendum in beiderseitigem Einverständnis“, sind sie sich sicher.
Bei der Abstimmung vom vergangenen Sonntag, die in Katalonien trotz Verbot durch das Verfassungsgericht und trotz brutaler Polizeieinsätze stattfand, stimmten knapp 90 Prozent für die Unabhängigkeit. Die Beteiligung lag bei 43 Prozent. In den Regionen, in denen die Polizei nicht eingriff, um Wahllokale zu schließen, lag sie deutlich über 50 Prozent.
Die Gesellschaft muss „eingreifen“
„Wir hätten nicht gedacht, dass unser Aufruf einen so großen Erfolg haben wird“, sagt Pablo Fernández am Telefon. Der 35-jährige Soziologe an der Madrider Universität Carlos III rief die Initiative #hablamos? am vergangenen Montag ins Leben. „Es ist an der Zeit zu sagen: Spanien ist besser als seine Regierenden“, beginnt das Manifest mit dem Fernández, dessen Bruder Guillermo und eine Handvoll Freunde auf Facebook und Twitter gingen, um für die Kundgebungen auf den Rathausplätzen zu werben. „Sie haben Hass gesät, sie entzweien uns und konfrontieren uns. Wenn wir als Gesellschaft nicht eingreifen, wird Spanien zu einem Land, in dem es sich nur schwer leben lassen wird“, heißt es weiter.
Das befürchtet auch Isabel Vázquez. „Die Verantwortlichen für den Konflikt müssen sich endlich an einen Tisch setzen, oder abtreten“, sagt die 38-jährige Lehrerin. Sie ist mit einer Gruppe von Freunden zum Rathaus von Madrid gekommen. „Die Menschen in Katalonien wollen wählen. Es führt kein Weg an einem Referendum vorbei“, ist sie sich sicher. Noch hat sie Hoffnung, dass bis Dienstag, wenn der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont vor das Autonomieparlament treten wird, und wo möglich die Unabhängigkeit ausrufen könnte, Gespräche stattfinden werden. „Wenn nicht, was dann? Will Madrid etwa Panzer schicken? Das geht doch nicht. Wie stehen wir dann international da?“ sagt sie.
Am Rande der riesigen Kundgebung in weiß ziehen Menschen mit spanischen Fahnen vorbei. Sie gehen zur nahegelegenen Kolumbusplatz, wo die Stiftung zur Verteidigung der spanischen Nation Anhänger der Partido Popular Rajoys und der restlichen spanischen Rechten zu Tausenden zusammengebracht hat.
„Dialog? Jetzt wo sie verlieren? Niemals!“, sagt Angel García. Der 44-jährige Wachmann eines privaten Sicherheitsdienstes trägt das Trikot der spanischen Nationalmannschaft und hat sich eine Spanienfahne umgehängt. „Sie haben uns als Spanier angegriffen“, schimpft er und verlangt die „Anwendung des Gesetzes“. Die katalanische Regierung habe sich der Rebellion schuldig gemacht „und muss dafür ins Gefängnis“, beendet er das Gespräch und zieht eiligst weiter.
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