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Demonstrationen in ganz DeutschlandDie Bewegung ist zurück

Kersten Augustin
Kommentar von Kersten Augustin

Friedrich Merz' Ankündigung, mit der AfD zu stimmen, hat die Bewegung gegen rechts wiederbelebt. Nutzen SPD und Grüne diesmal den Impuls der Straße?

Merz kippt nach rechts außen: Demoschild am Brandenburger Tor Foto: Hannes P. Albert / dpa

D ie Bewegung gegen rechts ist zurück. Mehr als hunderttausend Menschen haben an diesem Wochenende demonstriert, und beeindruckend sind dabei nicht nur die Versammlungen in Köln und Berlin, sondern in den vielen kleinen Orten der Republik: Auch in Hechingen, Hennef und Elmshorn gehen wieder Menschen für die offene Gesellschaft auf die Straße, das zeigt die Datenanalyse der taz.

Nach einer politisch düsteren Woche sind die Demonstrationen ein demokratisches Lebenszeichen, und sie sind eine Selbstvergewisserung der TeilnehmerInnen: Du bist nicht allein, die Demokraten sind immer noch in der Mehrheit. Viele dürften mit leichterem Herzen nach Hause gegangen sein, als sie gekommen waren.

Dass die Bewegung ein Jahr nach ihrem rasanten Beginn zurück ist, ist einem Mann zu verdanken, der selbst wohl nicht mehr auf die Idee käme, eine solche Demonstration zu besuchen: Friedrich Merz. Zwar gab es schon vorher erste Anzeichen, dass sich etwas regte, landauf, landab wurden Demos angemeldet. Aber erst der Tabubruch des CDU-Vorsitzenden, der ankündigt hatte, in der kommenden Woche auch mit Stimmen der AfD eine Verschärfung der Asylpolitik beschließen zu wollen, sorgte bei vielen für den nötigen Impuls: Es reicht!

Bei der größten Demo in Berlin arbeitete sich jeder Redner an Friedrich Merz ab, die Empörung der Vielen war nicht zu überhören. Vor einem Jahr krankte die Bewegung auch daran, dass Adressat und Ziel der Bewegung nicht klar waren. Überall wurde beschworen, dass niemand von den Demos ausgegrenzt werden dürfe, dass es wichtig sei, auch für Konservative offen zu sein. Diese dankten es der Bewegung mit einem Rechtsruck: Was Rechtsextreme vor einem Jahr noch heimlich besprachen, findet sich nun im Wahlkampf der Union. Geschlossene Grenzen, Ausbürgerung und anschließende Ausweisung.

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Endlich einen Adressaten

Nun hat die Bewegung einen Gegner und ein Ziel: den Pakt der Konservativen mit den Faschisten zu verhindern, und einen Kanzler Merz, dem in dieser Frage nicht zu trauen ist. Ob die Bewegung erfolgreich ist oder wieder eingeht, hängt nun maßgeblich von SPD und Grünen ab. Schaffen Sie es diesmal, den Impuls von der Straße aufzunehmen und die offene Gesellschaft auch im Wahlkampf zu verteidigen? Die Union greift das Grundrecht auf Asyl und mit ihrem Traum von geschlossenen Grenzen auch die europäische Idee an.

Die liberalen Parteien müssen sie verteidigen, dafür lassen sich immer noch Mehrheiten mobilisieren. Im letzten Jahr gingen auch deshalb immer weniger Menschen auf die Straße, weil Sozialdemokraten und Grüne auf den Demos zwar gern ihr Gesicht zeigten, aber dann doch fast jede Asylrechtsverschärfung mittrugen, die keines der Probleme lösten.

Friedrich Merz hat SPD und Grünen in diesem Wahlkampf die vielleicht letzte Chance gegeben: Nutzen sie sie?

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Kersten Augustin
Ressortleiter Inland
Kersten Augustin leitet das innenpolitische Ressort der taz. Geboren 1988 in Hamburg. Er studierte in Berlin, Jerusalem und Ramallah und wurde an der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München ausgebildet. 2015 wurde er Redakteur der taz.am wochenende. 2022 wurde er stellvertretender Ressortleiter der neu gegründeten wochentaz und leitete das Politikteam der Wochenzeitung. In der wochentaz schreibt er die Kolumne „Materie“. Seine Recherchen wurden mit dem Otto-Brenner-Preis, dem Langem Atem und dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet.
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11 Kommentare

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  • Der Impuls der Straße bringt gar nichts für die SPD und Grüne. Es waren nicht viele da und die meisten hätten die so oder so gewählt

  • Das Traurige ist: Merz sind die Demonstrationen egal, weil er weiß, dass deren Teilnehmer:innen ihn sowieso nicht wählen oder gewählt hätten. Er schielt hingegen auf die nach wie vor 20 Prozent, die unbeeindruckt einer noch rechteren Partei ihre Stimme geben wollen. Hier hofft er, doch noch ein paar kleine Prozentchen abzugreifen.

    Grüne und SPD müssen umgekehrt den Ball der Demonstrationen nicht aufnehmen. Denn die Demonstrierenden wählen sie ja sowieso (obwohl sie vermutlich mit der Linken weitaus mehr Überschneidungen hätten). Weshalb eben diese Parteien nach den schicken Insta-Bildchen ihrer Vorsitzenden im letzten Jahr ebenfalls nach rechts rückten - ohne viel Aufschrei ihrer Wählenden.

    In beiden Fällen scheint die Einstellung zu sein: Es wird demonstriert - so what?

  • Es wäre allen Parteien angeraten die Demonstrationen der Bürger & Wähler auch als massiven, berechtigten Protest gegenüber der gesammten Regierungsarbeit wahrzunehmen.

  • Für mich scheinen SPD und Grüne Teil des Problems, nicht der Lösung, zu sein. Es stimmt zwar, dass beide Parteien nicht so durchdrehen wie Fritzle, aber mit Ruhm bekleckert zum Thema Immigration und Asyl haben sie sich in der letzten Legislatur nun wahrlich nicht.

    • @Okti:

      Das ist Blödsinn. Die Zahlen Asylsuchender sind rückläufig. Sie werfen SPD und Grüne vor, dass sie sich an Grundgesetz und EU-Recht halten. Offensichtlich haben sie die Rechte und Konservative Erzählung die fern von Fakten ist verinnerlicht. So geht Propaganda.

  • Es scheint der Bewegung wohl entgangen zu sein, dass die Positionen der SPD, Grünen und Linken von etwa 1/3 der Bevölkerung unterstützt werden. Da helfen auch geschönte Zahlen der Teilnehmerzahlen nichts.

  • Was für ein Demokratieverständnis ist das denn? Die CDU darf einen Antrag nicht einbringen, weil die AfD dafür stimmen könnte?

    Wenn ein Antrag auf diese Weise durchgeht, zeigt das nur, dass es eine politische Mehrheit und sehr wahrscheinlich auch eine Mehrheit in der Bevölkerung dafür gibt. Aufregen sollte man sich eher über die Entwicklungen der letzten Jahre, die uns an diesen Punkt geführt haben.

    Merz deswegen als eine Art Hitler-Nachfolger oder Nazi-Wegbereiter darzustellen ist kontraproduktiv. Die Linke wird im Februar eine deutliche Niederlage einfahren. Eigene Ansätze zur Lösung der unbestreitbaren Probleme: Fehlanzeige.

  • "findet sich nun im Wahlkampf der Union. Geschlossene Grenzen, Ausbürgerung und anschließende Ausweisung"

    Trauriges Schauspiel nicht nur seitens der Union. Ein menschlich beschämendes Verhalten durch die Bank weg. Das Versagen des Staates in den letzten 10 Jahren wird jetzt nicht nur auf dem Rücken von Migranten ausgetragen, sondern es werden auch 20 Millionen Bürger anscheinend nicht mehr als "gleiche unter gleichen" angesehen.

    Anstatt das ein Kanzlerkandidat einen Rechtsbruch nach dem anderen vorschlägt, sollte er lieber ein Konzept für bessere Strukturen der zuständigen staatlichen Stellen erarbeiten. Die EU Länder zur Einhaltung der Richtlinien bewegen, auf schnellere Verfahren an den EU Aussengrenzen setzen und Mittel für Integration nicht streichen sondern effizienter einsetzen.

    Hetzerische Symbolpolitik unterstützt von willfährigen Helfern der Medienlandschaft ist ein Armutszeugnis, nicht nur für die politische Landschaft und trägt nicht dazu bei das gesellschaftliche Klima zu verbessern.

    Da braucht es schon die Demos um ein klares Zeichen zu setzen, nicht nur gegen Rechts.

    • @Sam Spade:

      Eine wirklich treffende Rezension - danke dafür 👍

  • "Du bist nicht allein, die Demokraten sind immer noch in der Mehrheit."



    Das ist glatter Selbstbetrug 🤷‍♂️



    Ja es rumort innerhalb der CDU ob Merz' Satz ihm sei egal wer ihm zustimme - das ändert aber rein gar nichts an der Tatsache, dass die Union (und ihre Wähler) das Asylrecht deutlich verschärfen wollen.



    Und jede Sonntagsfrage, egal von welchem Institut, sieht die Union aktuell bei 30%, die AfD bei 20% und FDP und BSW bei plusminus 5%.



    Das sind 60% die radikale Verschärfungen in der Asylpolitik beschließen wollen.



    Demgegenüber stehen SPD und Grüne zusammen bei 30%, dann gibt's da noch die Linke und Volt die derlei Verschärfungen nicht mittragen wollen, das sind zusammen 35%, von mir aus auch 40%.



    Egal wie, es ist keine Mehrheit, auch keine parlamentarische. Es gibt aktuell für linke Positionen keine Mehrheit. Nicht mal mit kühnsten Rechenspielen ist da was drin nächsten Monat nach der Wahl

  • Ich bezweifle, dass es eine Mehrheit gibt, die gegen Asylrechtsverschärfungen ist. Da lässt man sich vermutlich täuschen, wenn man Teil der paar Hunderttausend ist, die auf Demos gehen. Inzwischen sind die meisten Menschen nach meiner Einschätzung der Meinung, dass es härter zugehen muss bei Innerer Sicherheit und Migration.