Demonstrationen in Thailand: „Nieder mit der Diktatur!“
Thailands junge Generation demonstrierte am Samstag erneut gegen die Militärjunta und für eine Reform der Monarchie. Das Datum ist nicht zufällig.
Sechs Jahre unter Prayuth seien sechs Jahre Elend, brachte es ein Sprecher auf den Punkt. Seit dem vom damaligen Armeechef Prayuth Chan-o-cha angeführten Putsch vom 22. Mai 2014 sind Repressionen, Drohungen und Gewalt gegen Oppositionelle und Dissidenten nahezu an der Tagesordnung.
Zudem hat sich die wirtschaftliche Misere durch den Ausbruch der Corona-Pandemie verschärft. Thailands Tourismusindustrie liegt am Boden, und die, die in sozialer Verelendung leben, fühlen sich unbeachtet.
Wenig später zogen die Demonstrantinnen und Demonstranten vom Thammasat-Campus zum gegenüberliegenden Platz „Sanam Luang“ (Königliches Gelände) – obwohl beide Areale von den Behörden ursprünglich zu „No-Go-Zonen“ erklärt worden waren.
Bis zum frühen Abend war die Zahl der Protestierenden laut offiziellen Angaben auf etwa 20.000 angewachsen; allerdings hatten sich zuvor noch weitere 10.000 Menschen angekündigt. Sie wiederholten ihre Forderung nach einer Verfassung, die gleiches Recht für alle garantiert, und nicht dazu dient, den Machtanspruch einer vergleichsweise kleinen feudalistischen und konservativen Elite zu untermauern.
Damit gingen sie ein Thema an, das in dem buddhistischen Königreich als Tabu gilt: die Rolle der Monarchie, deren Verwicklungen in die Politik und die Verflechtungen mit Thailands mächtigem Militär. Nicht einmal sechs Wochen ist es her, dass auf dem Campus der Thammasat Universität eine Erklärung verlesen wurde, in der die Studierenden eine grundlegende Reform der Monarchie unter König Maha Vajiralongkorn forderten, der bekanntlich lieber luxuriös in Bayern residiert, anstatt sich in Bangkok um die Belange des Volkes zu kümmern.
In jener Erklärung vom 10. August hatte die junge Generation vor allem Transparenz und Rechenschaftspflicht verlangt. Thailand müsse sich zu einer echten Demokratie wandeln, in welcher der König wahrhaft über der Politik stehe.
Zum Beispiel müsse es möglich sein, Fehlverhalten des Monarchen zu untersuchen. Auch dürfe dieser künftig keine Militärputsche mehr absegnen. „Wir sind nicht gegen die Monarchie als Institution“, machte ein Aktivist am Samstag erneut deutlich. „Aber wir sind gegen jene Unbelehrbaren, die sich auf die Seite der Monarchie stellen, um politischen Nutzen daraus zu ziehen.“ Das zielt vor allem auf die Armee, die vergangene Putsche immer wieder mit dem „Schutz“ des Königshauses rechtfertigte, aber als selbsternannte „Wächterin der Monarchie“ in Wirklichkeit nur den eigenen Machtanspruch festigen will.
Auch „Rothemden“ unter den Protestierenden
In seiner komprimierten Form gilt der Inhalt des sogenannten „Thammasat-Manifests“ als beispiellos. Jedoch sind die Initiatorinnen und Initiatoren der aktuellen Proteste nicht die ersten, die den vom reaktionären Establishment verteidigten Status Quo „Nation, Religion, König“ herausfordern. Ähnliches hatten bereits die „Rothemden“ getan, die weitgehend Anhängerinnen und Anhänger von Ex-Premierminister Thaksin Shinawatra sind.
Thaksin war am 19. September 2006 vom Militär gestürzt worden. Dieser Putsch vor genau 14 Jahren war die Geburtsstunde des sogenannten „Rot-Gelb-Konflikts“, in dessen Zuge sowohl die „roten“ UnterstützerInnen Thaksins als auch dessen Erzfeinde, allgemein „Gelbhemden“ genannt, auf die Straßen gegangen waren.
Seit dem von Prayuth angeführten Putsch 2014 gegen die Regierung unter Thaksins Schwester Yingluck Shinawatra hatten sich die meisten „Rothemden“ still verhalten. Nun aber mischten sich rote Gruppierungen unter die protestierenden Jugendlichen, ebenso wie Aktivistinnen und Aktivisten für die Rechte der Arbeiterschaft und der LGBTQ*-Community.
Dass die „Rothemden“ an diesem Tag Flagge zeigten, stärke die Anliegen der jungen Generation, sagte eine Teilnehmerin. Es erfordert Mut, sich offen zu einer nachhaltigen Reform der Monarchie zu bekennen. Nicht zuletzt wegen des drakonischen „Gesetzes gegen Majestätsbeleidigung“, das jedem Beschuldigten pro Anklagepunkt bis zu 15 Jahre Haft einbringen kann. Führende Köpfe der aktuellen Protestbewegung waren zuvor wegen Aufwiegelung verhaftet worden.
Internationale Solidaritätsbekundungen
Die Thammasat-Universität und deren Umgebung sind traditionsreiche Orte, von denen schon in der Vergangenheit prodemokratische Proteste ausgingen. Im Spätsommer und Herbst 1976 hatte sich die progressive Studierendenschaft gegen die Rückkehr des einstigen Militärmachthabers Thanom Kittikachorn aus dem Exil aufgelehnt.
Thanom war drei Jahre vorher durch einen Volksaufstand aus dem Land gejagt worden. Im Zuge zunehmender antikommunistischer Hetze 1976 hatten ultrarechte Kreise den studentischen Widerstand zum Anlass genommen, brutal gegen die damals Protestierenden vorzugehen, denen unterstellt worden war, die Monarchie stürzen zu wollen. Das Massaker an der Thammasat Universität und auf dem Sanam Luang vom 6. Oktober 1976 gilt als eines der dunkelsten Kapitel in Thailands jüngerer Geschichte.
International waren am Samstag Solidaritätskundgebungen mit den jungen Demonstrantinnen und Demonstranten in Thailand angekündigt, darunter in Deutschland, Frankreich, Japan, Taiwan, den USA und Skandinavien. Für Sonntag planen sie einen Marsch durch Bangkok – Route und Ziel waren offiziell noch nicht bekannt.
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