„Demokratie!“ von Negri & Hardt: Gefangen im Manifest
Toni Negri und Michael Hardt sind die wichtigsten Intellektuellen der globalisierungskritischen Linken. Jetzt haben sie eine Deklaration verfasst.
Dieses Buch beginnt mit einem Trick. Manche mögen in ihm einen Irrtum erkennen, aber es ist ein Trick. Michael Hardt und Toni Negri, die Theoretiker der globalisierungskritischen Linken, die Autoren des Weltbestsellers „Empire“ aus dem Jahr 2000, eröffnen ihr neues Buch „Demokratie! Wofür wir kämpfen“ mit dem Satz: „Dies ist kein Manifest.“ Manifeste, so ihre These, verkünden uns Idealwelten und beschwören ein geisterhaftes Subjekt. Sie gehörten in eine Zeit, in der Politik Propheten folgte, die sich ihr Volk erschufen.
Diese Sprecherposition, der Linken wohlbekannt von Ansätzen, die im Gefolge der hegelmarxistischen Überladungen des Subjekts von einem herbeizuführenden bewusstseinsphilosophischen Fortschritt ausgingen, hat sich erledigt. Zum einen durch die Postmoderne und zum anderen, so Hardt und Negri, mit den neuen sozialen Bewegungen unseres neuen Jahrhunderts, insbesondere durch die Occupy-Bewegung, die sie beschreiben wollen.
Das Büchlein, gerade mal 120 Seiten dick, trägt im Original deshalb den einfachen Titel „Declaration“. Als solche kursiert die Schrift seit einem Jahr in einigen Internetforen, der Campus Verlag hat sie nun unter geändertem Titel noch einmal zu einem Werk aufpumpen wollen. Deklaration – das Wort soll eine andere Selbstverortung andeuten. Soll sagen, hier fassen zwei Autoren das zusammen, was sie auf den Straßen von Kairo bis New York sehen, ohne selbst Avantgarde sein zu wollen.
Leid der politischen Theorie
Das ist der Trick. Er verleiht den Bewegungen eine starke phänomenologische Realität und ist Selbstschutz. Denn die Autoren wollen nicht das Leid wiederholen, an dem politische Theorie immer schon gerne krankte, nämlich dass die eigene, über allem stehende Sprecherposition erkenntnistheoretisch nicht zu legitimieren war.
Doch der Trick ist am Ende eben nur ein Trick. Schon die wörtliche Herleitung von „Manifest“ und „Deklaration“ ergibt diese Trennung nicht. Bedenkt man, dass Manifest „etwas handgreiflich machen“ heißt und Deklaration nicht nur mit „Kundmachung“, sondern auch mit „Offenbarung“ übersetzt werden kann, relativieren sich die Unterschiede sehr. Und so verfallen die Autoren gemäß einer prophetischen Offenbarung nicht nur einmal in das Dilemma, einen kommenden Tag zu beschwören, an dem „echte“ Demokratie endlich möglich sein wird.
Das Buch ist auch schon deshalb ein weiteres Manifest, weil Hardt und Negri einen entsprechenden Duktus annehmen und von einer konzisen politökonomischen Analyse abrücken.
Neues kapitalistisches Paradigma
Ihr Buch „Empire“ eröffnete neben dem Versuch der Beschreibung der neuen Weltordnung im Zuge des Niedergangs der Nationalstaaten nichts weniger als eine völlig neue Analyse dessen, wie eine neue kapitalistische Produktionsweise – etwas, das mittlerweile in Begriffen wie Wissenskapitalismus oder Neoliberalismus unser Alltagswissen begleitet –, wie also ein neues kapitalistisches Paradigma Arbeit und Leben bis in die intimsten Verästelungen verändert: dass Arbeit nicht mehr bedeutet, dass wir unsere Arbeitskraft verkaufen, sondern dass wir uns selbst zu Markte tragen.
Dass wir nicht mehr als ein Subjekt der Arbeit einerseits und als ein Subjekt der Freizeit andererseits einer so genannten Durchkapitalisierung ausgesetzt sind, sondern dass es darüber hinaus unsere ganze Subjektivität ist, die zur Ressource wird – unser Wissen, unsere Affekte, unsere soziale Kooperation mit anderen. Das unterscheidet den sogenannten Wissenskapitalismus vom Industriekapitalismus.
Ausbeutung hat also keinen bestimmten Ort mehr wie etwa die Fabrik. Genau darin entdeckten sie auch die mögliche Umkehrbarkeit der Verhältnisse. Das Kapital kann sich nicht mehr einfach die Arbeitskraft aneignen, sondern es ist, indem es die kooperativen Eigenschaften ausbeutet, auf Kooperation angewiesen. Auf der anderen Seite, wenn man so will: die Multitude. Das ist ihr Begriff für eine neue Widerständigkeit. Er ist der Versuch, die neue, zweifelsohne demokratischere Verfasstheit der dezentralen Proteste zu beschreiben. In ihnen rücken sogenannte Singularitäten an die Stelle eines organisierten, homogenen politischen Subjekts.
Unter den Teppich gekehrt
Dass nun in der Deklaration diese globale Multitude sich gleichermaßen aus den Revoltierenden in Ägypten wie auch aus den Occupy-Campern in New York oder Frankfurt zusammensetzt, klingt befremdlich und lässt vermuten, dass die sozialen, politischen und ökonomischen Voraussetzungen derer, die sich rund um den Globus auf den Straßen befinden und die ja unterschiedlicher kaum sein könnten, unter den Teppich gekehrt werden.
Doch auch hier hilft ein Trick: Die Tatsache, dass sich die Akteure über die Kontinente hinweg aufeinander bezogen, sich Parolen ausliehen und gegenseitig als zahlreich imaginierten, bestätigt den Autoren zufolge ihr Gemeinsames.
Hardt und Negri theoretisieren nun weniger und ziehen mehr Schlüsse aus der phänomenologischen Beobachtung. Dazu gehört: Die Institutionen der repräsentativen Demokratie sind ausgehöhlt, Finanz- und Umweltkrise können mit den bestehenden Systemen nicht gelöst werden. Sie machen Vorschläge für eine neue Verfassung, die an der Vorgabe breiter demokratischer Teilhabe orientiert sein muss und die kulturelle wie auch natürliche gemeinschaftliche Ressourcen, also Wasser, Bildung und sogar Banken, als Gemeingüter garantieren soll.
Lebendige Teilhabe
Dazu müssen, und das klingt manches Mal doch sehr voluntaristisch, die wirkmächtigen Subjektivierungen, in denen wir als Verschuldete, Überwachte und bloß Vertretene auftreten und keinen Zugang zu unserer politischen Handlungsfähigkeit haben, durch lebendige Teilhabe abgestreift werden. Diesen Voluntarismus befördert noch die deutsche Übersetzung: Sprechen Hardt und Negri im Original von Subjektivitäten, so entschied man sich im Deutschen für „Rollen“.
So als könne man Rollen einfach annehmen und ablegen und als wären die Subjekte nicht ihrer eigenen Identität verhaftet. Das klingt dann häufig so, als würden Hardt und Negri nun von einem autonomen Subjekt ausgehen statt von den konstitutiven historischen Bedingungen von Subjektivierung. Die vielen Imperative – „Befreit Euch!“ – unterstreichen diese Lesart.
Auch die gute alte Entfremdung wird bemüht, und es ist die Rede von allerlei Mystifizierungen. Gerade so, als gäbe es ein Authentisches freizulegen und als sei Macht nur die Herrschaft von Einzelnen, die den Vielen das Bewusstsein trüben. Dass sie das freilich so nicht sehen, verschwindet hinter diesem Vokabular. Ein Manifest darf so sprechen, denn es soll Katalysator sein. Doch gerade von diesen beiden Autoren wäre mehr zu erwarten gewesen als die Wiederholung der Forderungen in den Occupy-Camps.
„Demokratie! Wofür wir kämpfen“. Übers. v. J. Neubauer. Campus Verlag 2013, 127 S., 12,90 Euro
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