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Demografie in OstdeutschlandDer Exodus ist vorbei

Erstmals seit über 20 Jahren wächst die Bevölkerung in Ostdeutschland wieder, vor allem in den Städten. Auf dem Land schrumpfen die Gemeinden weiter.

Ob die positive Entwicklung im Brandenburgischen Klein Kienitz jemals ankommen wird, ist mehr als fraglich Foto: dpa

Leipzig afp | Die jahrzehntelange Abwanderung aus Ostdeutschland ist gestoppt: Seit 2012 ziehen die fünf neuen Bundesländer insgesamt mehr Menschen aus dem Westen oder dem Ausland an, als sie an Einwohnern verlieren, wie aus einer Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung hervorgeht. Von dieser Trendwende profitiert allerdings nur eine Minderheit der Gemeinden, vor allem die Großstädte. Die ländlichen Regionen schrumpfen hingegen weiter.

Nach dem Fall der Mauer hatte der Osten einen Exodus erlebt. Die neuen Bundesländer verloren rund 1,8 Millionen Einwohner, vor allem junge, qualifizierte Menschen. Einzelne, strukturschwache Regionen büßten sogar bis zu 40 Prozent ihrer Einwohnerschaft ein, während die verbliebene Bevölkerung stark alterte.

Inzwischen ist der Osten wieder Zuwanderungsland, wobei die Trendwende nur wenige Gewinner hervorbrachte. Lediglich 15 Prozent der 2695 ostdeutschen Gemeinden (außer Berlin) verzeichneten zwischen 2008 und 2013 mehr Zuzüge als Fortzüge, wie die am Dienstag in Berlin vorgestellte Studie „Im Osten auf Wanderschaft“ zeigt. Vor allem Großstädte wie Leipzig, Dresden, Jena, Erfurt, Rostock und Potsdam profitierten.

Leipzig zum Beispiel zog zwischen 2008 und 2013 rund 44.000 Menschen mehr an als die sächsische Metropole gleichzeitig verließen. Dies befeuerte das Bevölkerungswachstum der vormals schrumpfenden Stadt so sehr, dass sie im Jahr 2013 mit einer Wachstumsrate von zwei Prozent in die Spitzengruppe der deutschen Großstädte vorstieß. 2015 legte die Stadt erneut um rund 16.000 Einwohner zu.

Dynamische Zentren

Die Großstädte sind zu Magneten vor allem für junge Menschen geworden, die einen Ausbildungs- oder Studienplatz suchen. Aufgrund des verbesserten Arbeitsmarkts bleiben viele auch nach der Ausbildung dort. Selbst eine Familiengründung treibt junge Leute nicht mehr zwingend in die Randgebiete der Ballungsräume. Diese dynamischen Zentren könnten als „wichtige Wachstumsmotoren“ bei ansonsten rückläufigen Einwohnerzahlen wirken, erklärte Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts.

Verlierer sind die ländlichen Gemeinden, die vor allem junge Leute in die Großstädte ziehen lassen müssen. Das Gefälle zwischen schrumpfenden und wachsenden Regionen wird damit immer größer. So verzeichnen 85 Prozent der ostdeutschen Gemeinden laut Studie nach wie vor mehr Abwanderung als Zuzüge, sie verlieren also Einwohner.

Gleichwohl trotzen inzwischen einige mittelgroße Städte dem Schrumpfprozess. „Als lokale Versorgungszentren bieten sie kurze Wege zu Ärzten, Apotheken, Geschäften, Restaurants oder kulturellen Einrichtungen“, erklärte Manuel Slupina, Hauptautor der Studie. Das macht sie vor allem für die steigende Zahl der Ruheständler aus dem Umland interessant, denn in den Dörfern dünnt die Versorgung immer mehr aus.

Flüchtlinge als Chance

Mit den vielen Flüchtlingen eröffnet sich für die ländlichen Gemeinden zudem eine „Chance, neue Bewohner zu gewinnen“, sagte Klingholz. Wo sich Flüchtlinge dauerhaft niederließen, könnten Schulen vor der Schließung bewahrt werden, neue Geschäfte entstehen und Leerstand würde zu Wohnraum.

Zwar zieht es die meisten Neuankömmlinge in die Städte und gen Westen. Die ländlichen Gemeinden haben laut Klingholz aber andere Vorteile: Durch die enge Gemeinschaft sei eine Integration prinzipiell leichter möglich als in der anonymen Stadt.

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5 Kommentare

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  • Gute Nachrichten !

  • Ach Gottchen, nun wird die Trendwende eingeläutet. Wie wäre es denn mit folgender Betrachtung? Alles, was noch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt verspürte, hat Ostdeutschland längst verlassen. Übrig blieben die Alten, die Nichtvermittelbaren, die Gestrandeten und die Alkoholiker. Da die sie vertretende Politikerklientel ebenfalls im Westen unbrauchbar war, fielen Letztere nicht aus dem Rahmen und ihre unters Volk gestreuten Parolen wurden nur zu gern geglaubt. Lediglich wenn so ein Selbstbediener beim Einkauf bei IKEA zu unverschämt wurde, gab es eben keine sächsische Königskrone.

     

    So gurgeln um die Mittagszeit in der mitteldeutschen Kleinstadt die Lautsprecher das Volksmusik- und Schlagerprogramm vom MDR begleitet vom Klirren der Bierflaschen und kratziger Stimmen mit schwerer Zunge aus weit geöffneten Fenstern.

     

    Der Rassehygieniker Thilo Sarrazin wird mir bestimmt recht geben, dass die Fertilität, da dachte wohl der Statistiker eher an Ferkelität, bei solchem Bevölkerungsquerschnitt nicht all zu hoch sein kann.

     

    Logischerweise sterben also mehr weg als geboren werden. Die paar Inseln mit Bevölkerungszuwachs verzeichnen doch nur deshalb neue Bürger, weil die Mieten noch nicht explodiert und Universitäten für Ärmere dadurch auch besuchbar sind.

     

    Wer daraus eine neue junge und dynamische Stadtentwicklung ableiten will, der ist genauso illusionär und lebt in Wolkenkuckuksheim, wie die Landbevölkerung, die auf die Autobahn hoffen, welche neue Arbeitsplätze bringt, oder davon träumt, dass Touristen scharenweise bei Ihnen einfallen und ihr Geld dort lassen. Wenn man allerdings mit ihnen auch so umgeht, wie mit den jetzt einreisenden Ausländern, dann wird es wohl nichts mit dem Reichtum.

     

    Ostdeutschland war das Pilotprojekt der Deindustrialisierung und des Auslotens der Leidensbereitschaft der Bevölkerung. Das wird nun in Deutschland an anderer Stelle fortgesetzt. Ist doch immerhin auch ein Erfolg.

  • "Durch die enge Gemeinschaft sei eine Integration prinzipiell leichter möglich als in der anonymen Stadt."

     

    Prinzipiell schon, aber ob gerade im ostdeutschen Umland Zuwanderung und Integration erwünscht ist? Ich wage es sehr zu bezweifeln. Und Arbeit gibt es dort für sie auch nicht. Anders sieht es zum Teil in westlichen ländlichen Gegenden aus.

     

    Aber auch früher in Westdeutschland war es schon schwierig, wenn man als "zugezogener" Deutscher es wagte in ein Dorf zu ziehen. Manche ließen ihre Kinder mit den "neuen" nicht spielen (70er/80er Jahre).

  • 2G
    2730 (Profil gelöscht)

    "...büßten sogar bis zu 40 Prozent ihrer Einwohnerschaft ein, während die verbliebene Bevölkerung stark alterte."

    Ich kann mir einfach nicht erklären, warum eine Bevölkerung "stark altert", wenn ein Teil wegzieht. Morgen zieht mein Nachbar aus - muss ich mir jetzt Sorgen machen?

    • @2730 (Profil gelöscht):

      Es geht um das Durchschnittsalter der Gesamtbevölkerung. Leben in einer Gemeinde 50 80 Jahre Alte menschen und 50 40 Jahre Alte Menschen und alle 40 Jahre alten ziehen aus, hat man keine arbeitsfähige Druchniuttsbevölkerung von 60 Jahren, sondern eine Seniorenbevölkerung von 80 Jahren.