Demo gegen Polizeigesetz in Hannover: Großes Misstrauen gegen Pistorius
Tausende Menschen demonstrieren gegen das niedersächsische Polizeigesetz. Innenminister Pistorius will Änderungen vornehmen.
Die Polizei schätzte die Anzahl der Teilnehmer*innen auf 8.300 Menschen. Das Bündnis #noNPOG geht von 15.000 Gegner*innen des Gesetzes aus, die vom Hauptbahnhof, am Innenministerium entlang bis vor den Landtag gezogen sind. „Das ist ein Überwachungsgesetz, das gestoppt werden muss“, sagte Timon Dzienus, der Sprecher der Grünen Jugend Niedersachsen bei der Abschlusskundgebung.
Die große Koalition aus SPD und CDU in Niedersachsen will mit dem neuen Polizeigesetz beispielsweise die Videoüberwachung ausweiten. Bisher durften öffentliche Plätze nur gefilmt werden, wenn dort erhebliche Straftaten zu erwarten waren. Nun sollen „nicht geringfügige Ordnungswidrigkeiten“ ausreichen.
Sogenannte Gefährder*innen, also Menschen, von denen die Polizei annimmt, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen werden, sollen künftig bis zu 74 Tage in Präventivhaft kommen können, obwohl sie noch keine Straftat begangen haben. Außerdem soll die Polizei ihnen Kontaktverbote aussprechen und Fußfesseln anlegen dürfen.
Fußballfans gegen das Polizeigesetz
„Viele solcher Gesetze werden an uns ausprobiert“, sagt Ben, der seinen Nachnamen nicht nennen will. „Meldeauflagen zum Beispiel, wenn die Leute noch nicht mal ein Stadionverbot haben.“ Er steht im Block von Eintracht Braunschweig. Die Fußballfans sind geschlossen zur Demo angereist. 400 Menschen allein aus Braunschweig, sagt Ben. Etwas weiter vorne stehen die Wolfsburger, dahinter die Fans von Hannover 96. Die Rivalität spielt heute keine große Rolle, auch wenn sich die Fanlager keinesfalls vermischen. Die Braunschweiger tragen weiße Shirts mit „no NPOG“-Aufdruck und haben auf die Farben Blau-Gelb verzichtet. „Uns vereint der Wille, das Polizeigesetz zu verhindern“, sagt Ben.
Die Präventivhaft soll von zehn auf 74 Tage verlängert werden. Um eingesperrt zu werden, reicht es, wenn die Polizei und ein Richter es für wahrscheinlich halten, dass jemand eine terroristische Straftat begehen wird.
Staatstrojaner: Die Polizei soll Onlinedurchsuchungen vornehmen können und Kommunikation überwachen, bevor sie verschlüsselt wird, indem sie eine Spionagesoftware auf den Computer oder das Handy spielt.
Videoüberwachung: Bisher durften öffentliche Plätze nur gefilmt werden, wenn dort erhebliche Straftaten zu erwarten waren. Nun sollen „nicht geringfügige Ordnungswidrigkeiten“ ausreichen.
Bodycams von Polizist*innen sollen dauerhaft und heimlich laufen. Gespeichert werden nur 30 Sekunden, wenn eine Polizist*in die Kamera aktiviert.
Außer ein paar gezündeten Bengalos, Nebeltöpfen und „Bullenschweine“-Rufen blieb die Demonstration friedlich. Die Polizei hielt sich zurück und war auf weiten Teilen der Route gar nicht zu sehen. „Die wollen keine Polizeistaatsbilder provozieren“, sagt die Grüne Landtagsabgeordnete Julia Hamburg. „Ich bin mit der Einsatzstrategie sehr zufrieden.“
Noch am Freitag hatte Innenminister Pistorius in einer Pressekonferenz verkündet, dass er das geplante Polizeigesetz nachbessern wolle. Kritiker*innen hatten beispielsweise bemängelt, dass die Polizei selbst eine zu große Entscheidungsgewalt bekommen solle. Mutmaßliche Gefährder*innen darf die Polizei dem Entwurf nach selbst mit Kontaktverboten zu bestimmten Personen, Aufenthaltsverboten für bestimmte Orte oder Meldeauflagen belegen, die die Menschen dazu verpflichten, sich in regelmäßigen Abständen bei einer Polizeidienststelle zu melden.
Das Gleiche soll für elektronische Fußfesseln gelten. Pistorius ging nun auf die Forderung ein, dass zumindest eine Richter*in über diese Maßnahmen entscheiden solle. Mit Ausnahme der Meldeauflage werde es einen Richtervorbehalt geben, kündigte der Minister an. Auch in weiteren Punkten wolle er nachbessern. „Was jetzt passiert, ist der ganz normale Prozess“, sagte Pistorius. Es würden die Anregungen aus der Anhörung im Innenausschuss geprüft und das Gesetz angepasst, aber nicht in Gänze verändert.
An der Höchstdauer von 74 Tagen für Präventivhaft für Gefährder*innen rüttelte Pistorius bisher nicht. Diese ist bereits im Koalitionsvertrag mit der CDU vereinbart.
Pistorius fordert mehr Vertrauen in den Staat
Pistorius kritisierte zudem die öffentliche Diskussion über das Polizeigesetz. Beispielsweise über den Einsatz von Tasern sei ein falsches Bild gezeichnet worden. „Wir haben die Taser bislang beim SEK (Spezialeinsatzkommando) im Einsatz. Niemand will die in Zukunft woanders einsetzen.“ Die Elektroschockpistolen seien im Polizeigesetz nun lediglich als Waffe eingestuft.
Auch die Sorge, auch andere Menschen als islamistische Gefährder*innen könnten von den maximal 74 Tagen Präventivhaft betroffen sein, wies Pistorius zurück. Im Polizeigesetz geht es allerdings allgemein um terroristische Straftaten. Darunter kann theoretisch auch der gefährliche Eingriff in den Bahnverkehr fallen. Wenn linke Demonstrant*innen Schienen blockierten, reiche das aber nicht für eine Einstufung zu einer terroristischen Straftat aus, sagte Pistorius. Selbst wenn die Polizei das so einschätzen würde, gäbe es immer noch den Richtervorbehalt. Auch auf Fußballfans seien die Maßnahmen nicht anwendbar.
„Etwas mehr Zutrauen in unsere Justiz und die Polizei!“, forderte der Minister. Niemand habe ein Interesse daran, die Menschen jetzt scharenweise in die Knäste zu bringen, um sich dann von den Gerichten sagen zu lassen, man habe jemanden rechtswidrig in Gewahrsam genommen. „Das riskiert doch keiner. Manchmal haben wir wirklich einen Blick auf unseren Staat, den hätte Erdoğan verdient, aber doch wir nicht.“
Doch selbst die Jusos wollten sich nicht so einfach beruhigen lassen: „Das sind nur kleine Änderungen“, kritisiert Jakob Blankenburg, der niedersächsische Landesvorsitzende der SPD-Jugendorganisation, den Vorstoß von Pistorius. „Online-Durchsuchungen und Quellenkommunikationsüberwachung sind weiterhin möglich.“ Er lehne es ab, dass hierfür eine gesetzliche Grundlage geschaffen werde. Im November und Dezember soll es weitere große Protestaktionen geben.
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