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Demo-Beschränkungen in BerlinEin bisschen Grundrecht geht nicht

Bert Schulz
Kommentar von Bert Schulz

Das Versammlungsrecht scheibenchenweise wieder einzuführen funktioniert nicht. Und es liefert Verschwörungsideologen unnötigerweise Argumente.

Wer demonstriert hier wofür, wer kauft ein, und wer trägt Maske? Chaos am Samstag am Alex Foto: reuters

E in demokratisches Grundrecht wie die Versammlungsfreiheit, verankert in den ersten 20 als unumstößlich geltenden Paragrafen des Grundgesetzes, quasi vollständig außer Kraft zu setzen ist nicht so schwer, wie man vor Coronazeiten gedacht hatte. Das ist eine der Erfahrungen der vergangenen zwei Monate. Es fällt umso leichter, wenn es dafür eine gute Begründung gibt – wie eben die Pandemie. Das kann man auch als demokratisches Reifezeugnis werten in dem Sinne, dass ein zeitweiser Verzicht auf Rechte diese langfristig sichern dürfte.

Viel schwieriger ist es, ein solches Grundrecht Schritt für Schritt wiederzubeleben. Denn die bei der Außerkraftsetzung erwartete Kritik bricht sich nun umso massiver Bahn. Vor allem sieht sie sich in den weiter geltenden Einschränkungen bestätigt und legitimiert. Eine Erkenntnis, die nicht neu ist: Viele Revolten und Revolutionen in der jüngeren Geschichte waren erst erfolgreich, als das bekämpfe Regime in der Hoffnung, Druck aus dem Kessel zu nehmen, Zugeständnisse machte, damit aber den Protest gegen sich nur weiter anfachte.

Natürlich ist Deutschland kein autoritäres Regime, auch in der Coronazeit nicht, anders als viele Anhänger von Verschwörungstheorien glauben wollen. Allerdings haben die Erfahrungen seit der Lockerung der Auflagen für Demonstrationen in Berlin gezeigt: Ein bisschen Grundrecht – das geht nicht.

Das nahezu vollständige Verbot von öffentlichen Versammlungen – erlaubt waren sie nur bis zu einer Obergrenze von 20 Personen – wurde in der Hochphase der Notverordnungen akzeptiert. Es war auch praktisch umsetzbar, schlicht weil die Versammlungsbehörde so gut wie keine Kundgebung erlaubte. Doch die aktuell möglichen 50 TeilnehmerInnen stellen Polizei und AnmelderInnen vor große Probleme, wie sich am Samstag bei den Protesten gegen die rechtsoffenen Versammlungen von Verschwörungsideologen erneut zeigte.

Mehrfach führte die Polizei bei einer antifaschistischen Kundgebung am Schendelpark in Mitte offenbar wahllos herausgesuchte DemonstrantInnen ab, darunter auch den Anmelder, mit der Begründung, die Anzahl der TeilnehmerInnen sei überschritten. Dem SPD-Abgeordneten Sven Kohlmeier, als parlamentarischer Beobachter unterwegs, wurde nach eigener Darstellung der Zugang zu einem abgesperrten Bereich am Rosa-Luxemburg-Platz von der Polizei „grundlos“ verweigert. Am späten Nachmittag schließlich konnten mehrere hundert rechte Demonstranten von der Polizei ungehindert durch Mitte marschieren. Zum Vergleich: Stuttgart hatte einen Protest gleicher Couleur mit bis 5.000 TeilnehmerInnen genehmigt.

Im ersten Fall handelt sich um die Schwierigkeit mit einer für Demonstrationen eigentlich zu kleinen Zahl – nämlich 50 –, die in der Praxis aber zu groß ist, weil sie kaum nachprüfbar kontrolliert und willkürlich von der Polizei ausgelegt werden kann. Zugleich gilt das Paradoxon, dass VeranstalterInnen darauf achten müssen, ihren Protest nicht allzu wichtig werden zu lassen, damit er zahlenmäßig noch passt – eine absurde Aufgabe, die dem Zweck von Demonstrationen explizit widerspricht. Im Fall des SPD-Abgeordneten muss sich die Polizei fragen lassen, welche Rolle sie dem Parlament noch zubilligt. Im dritten Fall gegen Ende des Protesttages hatte sie dann wohl selbst erkannt, dass die Vorgaben kaum zu kontrollieren sind.

Die Wiederherstellung der Versammlungsfreiheit wäre jetzt richtig

Die Begrenzung der TeilnehmerInnenzahlen war ein Versuch von Innensenator Andreas Geisel (SPD) gewesen, die Eindämmung der Pandemie und die Eindämmung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit abzuwägen.

Am Montag dürfte sich der Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses mit den Stimmen von Rot-Rot-Grün für eine vollständige Wiederherstellung der Versammlungsfreiheit aussprechen, die Geisel unter Vorbehalt und erst für Juni in Aussicht gestellt hatte. Es wäre die richtige Entscheidung, zumal sie auch den Argumenten der Verschwörungsfans deutlich entgegenwirkt.

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Bert Schulz
Ex-Leiter taz.Berlin
Jahrgang 1974, war bis Juni 2023 Leiter der Berlin-Redaktion der taz. Zuvor war er viele Jahre Chef vom Dienst in dieser Redaktion. Er lebt seit 1998 in Berlin und hat Politikwissenschaft an der Freien Universität studiert.
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1 Kommentar

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  • Die Argumentation des Autors ist politologisch konsistent - virologisch leider aber defizitär.