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Debütroman „Tschefuren raus!“Bloß nicht weinen

Mit seinem Romandebüt wurde Goran Vojnović zum Superstar Sloweniens. Nun ist „Tschefuren raus!“ endlich auf deutsch erschienen.

Goran Vojnović ist bekannt für seine kritische Haltung zum slowenischen Premier Janez Janša Foto: Jessica Gow/imago

Wer keinen eigenen Fußballclub hat, mit dem er durch dick und dünn geht, hat im Prinzip schon verloren. Jedenfalls als Jugendlicher in Fužine, einer Trabantenstadt in Ljubljana, in der fast ausschließlich Gastarbeiter leben.

Marko ist zwar in Ljubljana geboren, aber auch er ist ein „Čefur“ (in der deutschen Übersetzung „Tschefur“). So nennen die Slowenen ihre Gastarbeiter, die fast alle aus dem ehemaligen Jugoslawien und Albanien kommen. „Čefurji raus!“, entlehnt der deutschem Parole „Juden raus!“ beziehungsweise „Ausländer raus!“, kann man noch heute gesprayt an Hauswänden Ljubljanas lesen.

Marko, dessen Eltern aus Bosnien stammen, ist die Hauptfigur des irre komischen, irre rasanten, irre großartigen Romans „Čefurji raus!“ von Goran Vojnović, mit dem der 1980 geborene Filmregisseur zum Superstar seines Landes wurde.

Neben diversen Literaturpreisen und dem Erfolg der von ihm selbst besorgten Romanverfilmung, brachte ihm „Čefurji raus“ eine Anzeige vom obersten Polizeipräsidenten Ljubljanas. Der war beleidigt, weil die slowenische Polizei im Roman als „größte Debile“, „größte Arschlöcher“, „Vollkoffer“, „retardierte Irre“, „psychopathische Idioten“, „räudige Hunde“ und vieles, nahezu Unübersetzbares mehr bezeichnet werden.

Diskriminierung von Nichtslowenen

Nachdem Vojnović von der Polizei vorgeladen wurde, um zu erklären, was er da getan hatte, machten sich die Medien über das Vorgehen der Behörde lustig, skandalisierten es und die Anzeige wurde fallengelassen. Der Roman nicht.

„Čefurji raus“ wurde ein riesiger Erfolg, auch weil Rassismus und Chauvinismus der slowenischen Gesellschaft, die gesellschaftliche Diskriminierung und polizeiliche Schikanierung der Nichtslowenen erstmals in dieser Form thematisiert wurden. Und auch, weil Vojnović den Roman vollständig der Perspektive des Ich-Erzählers Marko überlässt und damit den „Čefurji“ erstmals eine literarische Stimme gab.

Das Buch

Goran Vojnović: „Tschefuren raus! oder Wie ich wieder mal zu Fuß in den zehnten Stock musste“. Aus dem Slowenischen von Klaus Detlef Olof. Folio Verlag, Wien 2021, 272 Seiten, 22 Euro

Der Vorstadtrowdy Marko Đorđić erzählt darin von dem trostlosen Alltag in Fužine: „Es gibt keine zufriedenen und glücklichen Fužiner, weil wenn sie glücklich und zufrieden wären, würden sie nicht in Fužine leben.“ Er erzählt von den Kleinfamilien, in denen die Väter sich entweder totschuften, um zu überleben oder sich totsaufen, weil sie arbeitslos geworden sind. Und von den Müttern: „… was willst du machen, wenn Samira keine Arbeit hat und keine Voraussetzungen, dass sie eine kriegt.

Die Sprache kann sie nicht, Erfahrungen hat sie keine, was soll dann sein. Sitzen und leiden.“ Und von den „Gelöschten“, den Menschen, die nach der Unabhängigkeit Sloweniens 1992 aus dem Einwohnerregister gelöscht wurden, weil sie keine slowenische Staatsangehörigkeit besitzen und von denen noch heute geschätzte 18.000 als Staatenlose und behördlich Nichtexistierende in Slowenien leben.

Kein Leben ohne Fußballclub

Marko und seine Freunde Adi, Aco und Dejan sind ganz normale Vorstadtjugendliche, die sich Pornos reinziehen, der Moderatorin mit den Highheels aus dem 8. Stock hinterherpfeifen und mit dem Mercedes durch die Stadt cruisen: „Das ist der größte Spaß. Das ist Leben, und nicht Skilaufen und Badminton und Sauna und Bowling und diese slowenische Hinterwäldlerscheiße …That’s Life.“

Hinterwäldlerscheiße bauen freilich auch Marko und seine Freunde. Sie zünden den Sperrmüll von einem Block an und prügeln den Busfahrer, der sie an die Polizei verrät, ins Koma. Der einzige Unterschied: Sie haben eben keinen großen Fußballclub, für den sie alles tun würden, weil Ljubljana, anders als Belgrad, Sarajevo oder Zagreb, keinen großen Fußballclub hat.

Marko erzählt einerseits davon, wie abschätzig die Tschefuren von Kellnerinnen, Lehrerinnen und Basketballtrainern behandelt werden („Am meisten nervt mich, wenn sie ­schreiben: Marko Djordjič. Arschlöcher, analphabetische.“) und von den Träumen der Kinder: „Kein Kind hat jemals davon geträumt, dass es dreißig Jahre lang von den Leuten schräg angesehen würde, weil es die verdammten slowenischen Wörter nicht richtig betonen kann … Wir alle träumen von einer Villa in Beverly Hills und Urlaub auf den Bermudas … von Rolex und all diesen italienischen Schwuchteleien …“.

Aber als Marko Slowenien Richtung Bosnien, der Heimat seiner Eltern, verlässt, sieht er sich erneut stigmatisiert: „Klaro, wenn du aus Ljubljana bist, bist du ein Janez. So ist das nun mal. Nicht wichtig, ob du Tschefur oder Slowene oder Zigo Žarko bist, für die da unten bist du ein Janez. So nennen sie alle, die in Slowenien wohnen, und da ist es egal, ob jemand einer von ihnen ist oder nicht. Wir sind alle Janeze … Janez sein in Bosnien, das ist ein ganz neuer Frust.“

Lässt auch an den Tschefuren kein gutes Haar

Die Größe des Romans liegt darin, dass Marko auch an den Tschefuren kein gutes Haar lässt und deren eigene Beschränktheit, Schicksalsergebenheit und hinterwäldlerlischen Stolz aufs Korn nimmt. „Mirsad ist so ein typischer Gastarbeiter, dass du ihn nicht verfehlen kannst.

Aus dem Flugzeug erkennst du den. Er kommt nach Fužine und drosselt schön seinen Merđo (Slang für Mercedes, Anm. d. Red.), lässt die Scheiben runter, dreht die Musik auf bis zum Anschlag und fährt dann direkt vor den Block, und das immer auf den Behindertenparkplatz.“

Marko erzählt von den rabia­ten Erziehungsmethoden, die heilige Unantastbarkeit von Schnaps, Sport, Stolz und Ehe („wenn du bei einem Tschefur das Wort Scheidung nur in den Mund nimmst, wird er käsebleich“). Und er entlarvt das Heiligste, den Humor.

Das Sprücheklopfen und Witzemachen, für das die Tschefuren, diese lustigen Gesellen so berühmt sind – beispielsweise der Witz, Fužine sei ein Olympiadorf, weil alle in Trainingsanzügen rumlaufen und jeder eine andere Sprache spricht – sei eigentlich nichts anderes als das Überspielen der kompletten Unfähigkeit, sich ganz normal zu unterhalten. Diese Unfähigkeit ist auch der Grund, warum sich die Eltern der Kinder immer nur anschreien und kein Kind mit seinen Eltern redet, außer im Streit.

Deutsche Übersetzung von Klaus Detlef Olov

Dass „Tschefuren raus!“, der 2008 in Slowenien erschien, erst jetzt auf Deutsch publiziert wird, liegt ebenfalls an der Sprache. Denn verfasst ist der Roman im Fužiner Jugendslang. Der österreichische Folio Verlag, der die beiden Nachfolgeromane Vojnović’ („Vaters Land“ und „Unter dem Feigenbaum“) publizierte, hat dem Übersetzer Klaus Detlef Olov die Zeit gelassen, die er braucht.

Und es hat sich gelohnt. Auch wenn man keine Ahnung von serbokroatischen Schimpfwörtern, Witzen, Anspielungen hat, verfällt man dem Helden des Buches allein wegen seiner präzis-vulgären Sprache, seiner absurd komischen Wut, den hinreißenden Beschreibungen seines Kampfes darum, bloß nicht zu weinen.

Die deutsche Übersetzung kommt zudem pünktlich zum slowenischen EU-Ratsvorsitz unter dem amtierenden Premier Janez Janša. Goran Vojnović ist berühmt für seine ultrakritische Haltung zu dem populistischen Premier, die er unter anderem in seiner Kolumne in der linken Tageszeitung Dnevnik veröffentlicht.

So wie Janša immer noch die Gegenwart Sloweniens bestimmt, obwohl er seit den späten 1980er Jahren bereits zwei Mal im Gefängnis saß (einmal aus politischen Gründen, einmal wegen Korruption), so beschreibt auch Vojnović’ Roman noch immer die Gegenwart Sloweniens. Und nicht nur die.

Obwohl er über die slowenischen Spezialitäten, Mentalitäten, Sprachen und Besonderheiten erzählt, steht der Roman für eine gesamteuropäische, wenn nicht globale Erfahrungsgeschichte, die so gut wie jeder Arbeitsmigrant so oder ähnlich erzählen könnte.

Vojnović hat dieser globalen Schicht ein Denkmal gesetzt, das weder heroisch noch dämonisch ist. Sondern eines, das ohne Kitsch, aber mit großer Unterhaltungskunst die menschlichen Ruinen der postindustriellen Depression zeigt.

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