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Debütalbum von Hyperpopkünstler MechatokOffline ist das neue Online

Popmetropole London: Dort ist der Münchner Produzent Mechatok inzwischen zu Hause und haut mit „Wide Awake“ ein schillerndes Debütalbum raus.

Ja, Merci Mausi: Mechatok Foto: Erika Kamano

Social Media macht depressiv, Streamingdienste fluten ihre Plattformen mit KI-Musik und lassen Künst­le­r:in­nen verhungern. Gibt es ein Licht am Ende des Pop-Tunnels oder fährt bald alles gegen die Wand? Anfang der 2010er Jahre sah das noch anders aus. Es gab damals Zukunftsvisio­nen.

Eine kleine internationale Szene stand für musikalischen Aufbruchsgeist, der keine Präsenz an einem bestimmten Ort mehr voraussetzte. PC Music, Drain Gang, Lotic, Charli XCX waren die Namen jener Stunde. Oder der Musiker Mechatok aus München.

Aus München? Ja, ganz genau. Mechatok, der eigentlich Emir Timur Tokdemir heißt und 27 Jahre als ist, stellt ein Bindeglied dieser Szene dar. Wahrscheinlich die letzte Musikszene, die das Internet noch als utopischen Raum und Vertriebskanal verstanden hat und noch immer im aktuellen Pop-­Zeitgeist nachwirkt. Mechatok hat mit all den vorher genannten Künstlern Musik gemacht. Doch vieles hat sich seither verändert.

Post-Internet-Art

Sein Freund, der schwedische Rapper Yung Lean, hat als Trotzreaktion und radikalen Akt der Selbstentblößung gerade ein knapp 600 Seiten umfassendes Buch mit seinen iPhone-Fotos der letzten Dekade veröffentlicht. Man könnte das vielleicht Post-Internet-Art nennen. Digitales wird wieder haptisch: ausgedruckte Selfies und Urlaubsfotos. Vielleicht, um sich gegen die Insta-Nutzung zu schützen? Mechatok dagegen versucht nun, mit einem Album gegen den hyperbeschleunigten Musikmarkt der Gegenwart anzuarbeiten. Aber von vorn.

Mechatok-Album

Mechatok: „Wide Awake“ (Young/XL/Beggars/Indigo)

In Mechatoks anonymem Freundeskreis Anfang der zehner Jahre vernetzten sich noch alle online auf Plattformen wie Soundcloud, morphten Sounds zusammen. Eine digitale Szene, die später auch in persona auf denselben Partys zwischen Berlin und London aufeinandertraf. Oder wie Mechatok, es formuliert: „Es war wie ein cooler Wilder Westen.“

Als er Teil davon wird, ist er gerade 14, erholt sich von einer intensiven Gitarrenausbildung und streng beurteiltem Vorspielen in einer Jugendgruppe der Münchner Philharmoniker. „Konservativ, fast wie ein Fußballverein“, so fasst er diese musikalische Ausbildungszeit und Findungsphase zusammen.

Versteckt hinter Avataren

Im digitalen Nischenpopkosmos sind Alter, Geschlecht und Aussehen dagegen egal. Regeln gibt es keine, Abo-Modelle und Paywalls auch nicht. Viele Künst­le­r:In­nen verstecken sich hinter Avatar-Profilbildern. Es entstehen immer neue Subgenres, die Witchhouse oder Cloudrap getauft werden, Hyperpop oder Deconstructed Club Music.

Extrem kreative Zeiten, es klirrt und klackert und man hört noch den Jubel darüber, dass jegliche Musik digital frei zugänglich und damit auch samplebar ist. Und Mechatok? Der saugt all das von München aus auf und macht munter mit. Heute sagt über diese Frühzeit retrospektiv: „Von den Erfolgen hat sich erst mal nichts ins richtige Leben übertragen. 300.000 Klicks bei Soundcloud, aber in der Schule blieb alles schön wie immer.“

In München gab es damals ohnehin nur wenig Raum für die digitale Avantgarde. Lediglich ein Kurator des Münchner Kunstvereins habe Mechatok und seine internationalen Freun­d:in­nen manchmal für Vernissagen gebucht und dann oberkörperfrei auf Ecstasy zu ihrer Musik getanzt.

Einlaufmusik für Wrestlingshows

Die bayerische Landeshauptstadt hat Mechatok dann so bald wie möglich Richtung Berlin verlassen, ist weiter nach Amsterdam gezogen, für ein Kunststudium, und sitzt inzwischen in London. In der britischen Hauptstadt hat der Künstler Soundtracks für Games und Einlaufmusik für Wrestlingshows komponiert und Soundinstallationen für Kunstausstellungen kreiert. Das Schaffensspektrum ist groß.

Sein Debütalbum „Wide Awake“ ist ebenfalls vor Ort entstanden. Auch das beschäftigt sich mit einem Avatar, seinem eigenen: Mechatok. Nachdem er in den letzten Jahren vor allem den musikalischen Unterbau für seine Freunde wie den schwedischen Emo-Songwriter Bladee geliefert hat, steht der eigene Avatar nun im Fokus.

Über London, die Weltmetropole, die er hassliebt, sagt er: „Hier ist der kreative Wettbewerb intensiver, nonstop. Alle kommen ständig mit neuen Ideen um die Ecke. So stressig und negativ dieser spätkapitalistische Vibe in London ist, schafft er doch auch eine harsche Umwelt, die abgefahrene Sachen provoziert.“

Im Uber durch London

Abgefahrene Sachen wie Mechatoks Soloalbumdebüt also, dessen Songs, so sagt er, aber trotzdem auf einer Fahrt in einem Uber-Taxi im Radioprogramm von BBC 6 laufen könnten, denn in Großbritannien herrsche ein anderes, freieres Pop-Verständnis als in Deutschland.

Wie also klingt so eine musikalische Taxi-Fahrt? Um Mechatoks Hyperpopsound zu verstehen, muss man genauer auf seine Prägung schauen. Da erklingen akustische Gitarren, aber auch die elektronisch grundierten Subgenres blinken auf. Da mischt im Geiste einer seiner ersten Mentoren mit: der italienische Produzent und bildende Künstler Lorenzo Senni. Senni ist Meister darin, in seiner der Trance nahen Musik auf einen Höhepunkt hinzuarbeiten, in sich immer weiter auffächernden Synthesizer-Melodien ganz ohne Drumsounds. Doch der Höhepunkt kommt nie.

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Ein musikalisches Tantra eine sinästhetische Qualität, die auch Mechatok in einigen seiner Songs aufgreift. Und noch etwas eint Mechatok mit seinem Mentor Senni: Für die Komposition der elf Songs auf „Wide Awake“ hat er seinen Instrumentenpark verschlankt und setzt bewusst auf einen einzigen Synthesizer und holt aus diesem einen Gerät alles raus, was möglich ist. Mechatok hatte den „Acess Virus TI Snow“-Synthie einst bei einem Mitschnitt eines Madonna-Konzerts entdeckt und nachgekauft.

Ultrabeschleunigt, quietschig-fidel

„Wide Awake“ ist nun der geglückte Versuch, den Eklektizismus des Online-Wilden-Westens in einem weitestgehend instrumentalen Pop aufgehen zu lassen. Es schlurft schöner krachiger House; es wummert der frühe, noch nicht überkommerzialisierte Dubstep-Sound der Nullerjahre; es blitzt der ultrabeschleunigte, quietschiege Hyperpop durch. „Everything! Now!“, skandiert einmal eine Stimme, und die trifft es gut. Mechatoks Album „Wide Awake“ ist eine allumfassende Gleichzeitigkeit von zeitgenössischen Popgenres.

Im Fokus der Musik stehen dabei immer die Harmonien. Experimentalsound habe ihn nie so sehr interessiert, sagt Mechatok. Seinem Popverständnis nach solle man einen Song auch dann sofort wiedererkennen, wenn man ihn auf einem Klavier oder mit der Gitarre nachspielt. „Wide Awake“ ist nun eine Sammlung schöner Melodiepartikel, in denen Sounds des letzten Jahrzehnts zusammenfließen und zwischendurch verzerrte Stimmen von alten Freun­d:in­nen reinglitchen.

In der Musik von Mechatok kann K-Pop aufblitzen, Vocoder-Techno von Chris Korda oder die kompositorische Raffinesse einer Micachu. „You don’t exist“, singt die honduranische Sängerin Isabella Lovestory immer wieder auf dem gleichnamigen Song und stellt die existenzielle Frage: Wer bin ich?

Die Antwort ist interessant. Während in der Online-Subkultur der zehner Jahre Avatare in der öffentlichen Wahrnehmung von den Personen dahinter entkoppelt waren, findet gerade ein Wandel statt. Vor allem in London. Stichwort Post-Internet. Die Kunstfigur Mechatok und der Künstler Emir Tokdemir werden eins. Und er erzählt davon, dass bereits die nächste Generation, die sich auf ihn und seine Freunde bezieht – Figuren wie Fakemink oder Esdee­kid –, gar nicht mehr nur digital unterwegs ist.

„London hat eine große Studiolandschaft. Szenen, Freundeskreise, Mu­si­ke­r:In­nen kommen in Kellern zusammenkommen, die sich sonst maximal im Club treffen können“, sagt er. „Man läuft sich die ganze Zeit über den Weg, gemeinsame Musik entsteht nicht mehr online, sondern offline im direkten Austausch.“

Eine begrüßenswerte Tendenz und die willkommene Gegenbewegung zur grassierenden Vereinzelung. Mechatok und seine Freunde zeigen sich iPhone-Fotos jetzt wahrscheinlich lieber im Studio, als sie zu posten. Dann braucht es in zehn Jahren auch kein Fotoalbum mehr.

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