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Debatte zu Coronapolitik mit SteinmeierZu einig im Schloss Bellevue

Der Bundespräsident hat eingeladen. Zwar missglückt die Debatte um Demokratie und das Coronavirus. Erhellend ist das Gespräch trotzdem.

Irgendwas fehlt: Das fiel auch Bundespräsident Steinmeier am Dienstag auf Foto: Christophe Gateau/dpa

Berlin taz | Die gefährdete Demokratie – dieser Schriftzug leuchtet bildlich gesprochen über Frank-Walter Steinmeiers bisheriger Amtszeit als Bundespräsident. Nichts ist naheliegender, als diskursiv zu prüfen, ob die Demokratie die Zumutungen der Coronapandemie heil überstanden hat.

In dem Debattenformat „Forum Bellevue“ debattieren am Montag, auf Abstand und ohne Publikum, die Schriftstellerin Herta Müller, der US-Politiologe Daniel Ziblatt und der Philosoph Rainer Forst, zudem in zweiter Reihe die Virologin Marylyn Addo, der Soziologe Heinz Bude, Elke Büdenbender und die Autorin Elisabeth von Thadden. Alles kluge Köpfe. Steinmeier ist ein souveräner Moderator. Und doch missglückt die Debatte, auf erhellende Art und Weise.

Kein Spoiler: Für Steinmeier hat die bundesdeutsche Demokratie „schnell, kraftvoll und solidarisch“ auf die Gefahr reagiert. Bürgerschaft und Politik seien sich sogar nähergekommen, so Steinmeier, der sonst stets vor der Kluft zwischen den Institutionen der Republik und Teilen der Gesellschaft warnt. Also: Test bestanden. Und vielleicht sogar eine Blaupause gewonnen, um der Gefahr des Klimawandels zu begegnen.

So kann man es sehen. So sieht es auch der Philosoph Rainer Forst, der glaubt, dass sich in der Krise politische Rationalität und die Moral, Schwächere zu schützen, in einem demokratischen Akt verknüpft haben. Forst, der Kritischen Theorie verbunden, deutet in einer dialektischen Volte „die Freiheit, seine Freiheit nicht zu nutzen“, als demokratischen Reifebeweis und gibt, praktisch kritiklos, Steinmeier recht.

Ohne Dissens kein demokratischer Diskurs

So sieht es auch Herta Müller, die es für gefährlich hält, wie manche Ex-DDR-BürgerInnen, den Verzicht auf Freiheitsrechte mit Diktatur zu verwechseln. „Wir gehorchen der Angst, nicht dem Staat“, sagt sie und erinnert an das Ceaușescu Risikomangement in Sachen Tschernobyl: Die Katastrophe wurde einfach verschwiegen. Müller, in Rumänien erwachsen geworden, ist die lebensgeschichtliche Beglaubigung der Ansicht, dass die Grundrechtseinschränkungen nichts mit Diktaturen zu tun haben.

So siehte es auch Daniel Ziblatt, der mit einer Studie über Demokratien berühmt wurde. Die Pandemie habe das Vorhandene beschleunigt. Autokratien seien noch autoritärer geworden, die Bundesrepublik hätte die Krise gemeistert, extrem polarisierte und ungleiche Gesellschaften wie Brasilien und USA seien fragiler geworden.

So folgt man also einem vernünftigen, ausgeruhten Austausch von vernünftigen, ausgeruhten Argumenten. Dass trotzdem etwas schief läuft und das Meinungsbild monochrom ist, merkt auch Steinmeier nach einer knappen Stunde. Brauche man keine scharfe Debatte, welche Einschränkungen richtig waren, fragt er – ohne Antwort zu bekommen. Es wurde niemand eingeladen, der diesen Ball spielen will.

Dies ist ein Gespräch im Hause Steinmeier über die abwesende Frau Zeh, also Köpfe, die die Grundrechteinschränkungen für übertrieben hielten. Niemand will Aluhüte im Bellevue. Aber wo ist der Ex-Vorsitzende des Ethikrates, Peter Dabrock, der der Regierung Paternalismus attestiert?

Aufklärung, schreibt Jens Bisky hat in seinem famosen Berlin-Buch, war in den Salons des 18. Jahrhunderts kein behagliches Räsonieren über Werte. Es herrschte Streit, Polemik, Angriff. Das „harmonistische Bild der Aufklärung, das viele heute zur Erbauung der Zivilgesellschaft“ pflegen, sei falsch. Aufklärung gedeiht nicht gut bei lauen Temperaturen.

Den Ratschlägen der Virologen zu folgen war richtig. Aber auch im Richtigen gibt es Mängel. Ein Schaden ist die Engführung der Debatte auf das sachlich Gebotene und Neigung zum Konsens. Ohne Dissens gibt es keinen demokratischen Diskurs.

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