Debatte ums Berliner Humboldt Forum: Kein Ende gut, alles gut
Kurz vor der Eröffnung des Humboldt Forums erinnern Kritiker an die verdrängte Frage der Ausstellung von kolonialer Beutekunst.
Barazani bedeutet in Kiswahili unter anderem Forum oder Versammlung. Anstelle des Schlosses ist also ein Raum entstanden für Versammlungen, Diskussionen, Zusammenkünfte, in dem die Perspektiven jener zu Wort kommen, die von den europäischen Kolonialmächten unterjocht und ausgeraubt wurden und bis heute von Europa nicht wirklich gehört werden.
Mit diesem Gedanken spielt barazani.berlin. Die Webseite, die sich im Untertitel „Forum Kolonialismus und Widerstand“ nennt, im Umfeld des Bündnisses Decolonize Berlin entstanden ist und am Montagabend online ging, zeichnet den vielfältigen Protest und die Kritik am Humboldt Forum nach „und sucht nach einem aufrichtigen und angemessenen Umgang mit den generationsübergreifenden Traumata, die Kolonialismus und Imperialismus bis heute verursachen“.
So wird etwa mit einer Fotostrecke erinnert an die zahlreichen Demonstrationen vor der Schlossbaustelle, man kann Dokumente nachlesen von Diskussionsveranstaltungen wie dem „Anti-Humboldt“ 2009 oder die fünf Thesen gegen Schloss und Forum, die das 2012 gegründete Bündnis No Humboldt 21 seinerzeit formulierte und die bis heute nichts an Aktualität verloren haben.
Da Vincis „Abendmahl“ in Mogadishu
Die Webseite ist bei weitem nicht der einzige aktuelle Beitrag zum Thema. Kritik am Humboldt Forum ist durch die anstehende Eröffnung wieder in der breiteren Öffentlichkeit angekommen. Vorigen Freitag brachte Jan Böhmermann in seiner Sendung „ZDF Magazin Royale“ die Problematik auch für „Dummies“ auf den Punkt: „Das kulturelle Erbe ganzer Zivilisationen wurde geklaut und woanders hingebracht. Das wäre so, als müssten Italiener heute nach Mogadischu fliegen, um sich da im Museum Da Vincis Abendmahl anzusehen.“
Zur Frage, wie viel „Geklautes“ wirklich im Humboldt Forum steckt, befragte Böhmermann die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy von der TU, die bis 2017 Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Forums war und aus Protest zurücktrat, weil ihr dort zu wenig Wert auf Erforschung der Provenienz der Ausstellungsobjekte gelegt wurde.
Auch Savoy nahm kein Blatt vor den Mund: Fast alles, sagte sie, was heute in ethnologischen Sammlungen liegt, „ist in der Kolonialzeit gekommen“. Damals hätten sich die Europäer einfach „bedient“, wenn sie auch nicht alles direkt mit Gewalt genommen hätten. Sprich: In asymmetrischen Machtkonstellationen kann man eigentlich nicht von rechtmäßigen „Erwerbungen“ sprechen, weil das Gegenüber keine Chance hatte, Nein zu sagen.
Gegen diese Aussagen der Kunsthistorikerin, die sich nebenbei auch gegen die Vereinnahmung der Gebrüder Humboldt für das Raubkunst-Museum verwahrte, montiert Moderator Böhmermann einen Satz Hermann Parzingers, seines Zeichens Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), der noch 2011 gesagt habe: „Die Sammlung entstand auf legale Weise. Die Berliner Museen sind die rechtmäßigen Besitzer.“
Nigeria will Bronzen zurück
In Afrika sieht man das anders. Vorige Woche platzte der Botschafter Nigerias in Berlin, Jusuf Tuggar, mit der Nachricht heraus, er habe im Namen der Regierung und des ganzen nigerianischen Volks eine formale Restitutionsforderung an Deutschland gestellt und warte auf Antwort. Aus Nigeria stammen unter anderem die weltbekannten Benin-Bronzen, ein Prunkstück der künftigen ethnologischen Ausstellung im Forum. Die Äußerung des Botschafters wenige Tage vor der Eröffnung des Humboldt Forums wurde von Experten wie dem Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer als „Blamage“ bezeichnet, wenn auch als selbst verschuldete, weil man sich seit Jahren um das Thema Restitution von kolonialem Raubgut herumdrücke.
Auf taz-Anfrage erklärte nun das Auswärtige Amt, das Schreiben des Botschafters sei bereits im August 2019 eingegangen, man sehe darin aber kein „offizielles“ Rückgabeersuchen der Regierung Nigerias. Zugleich verwies eine Sprecherin auf den „Benin Dialogue“, eine Gesprächsrunde verschiedener europäischer Museen mit Nigeria, bei denen es darum geht, ein Museum in Benin City zu realisieren mit Benin-Kunstwerken, die in Europa verstreut sind.
Auch das Berliner Ethnologische Museum ist an dem Dialog beteiligt, bislang ist allerdings nur von möglichen Leihgaben für Benin City die Rede. Vielleicht deshalb scheinen die Gespräche zu stocken. Nach taz-Informationen ist nicht damit zu rechnen, dass man sich bis nächstes Jahr einigt, wenn das Museum in Benin City eröffnen soll.
In diesem Zusammenhang erinnerte Savoy am Dienstag in einem Artikel in der FAZ daran, dass Nigeria bereits 1972 die Restitution seiner Benin-Bronzen gefordert hat. Dies hat sie unter anderem verschiedenen Verwaltungsakten der SPK entnommen. Savoy zufolge wollte Nigeria schon damals ein Museum bauen und dafür „Dauerleihgaben“ aus Europa bekommen. Das Auswärtige Amt habe dieses Ansinnen zuerst sogar positiv unterstützt, allerdings habe die SPK gemauert, was das Zeug hielt, so die Kunsthistorikerin.
„Sie sperrte sich gegen ‚jedes Nachgeben‘ und gab unverzüglich zu Protokoll, dass ‚man aus grundsätzlichen Erwägungen‘ dem Verlangen des afrikanischen Staates ‚wohl kaum‘ werde nachkommen können.“ Offenkundig, so Savoy, sahen sich die Museen der 1970er in einem nationalen Prestigewettbewerb um die größten und schönsten Sammlungen, und die SPK meinte, keine „Verluste“ verkraften zu können. Am Ende setzte sie sich durch, so Savoy, das Auswärtige Amt ließ Lagos abblitzen.
Ganz so einfach kommen die Museen heute nicht mehr davon. Nach außen müssen Dialogbereitschaft und guter Wille demonstriert werden, das verlangt schon der Zeitgeist. Doch das Stocken des Benin Dialogues zeigt, dass die Bereitschaft zur Rückgabe bis heute nicht allzu hoch einzuschätzen ist. Wofür braucht es, mehr als 100 Jahre nach dem Ende des deutschen Kolonialismus, jahrelange Verhandlungen, wenn hiesige Museen bereit wären zurückzugeben, was ihnen nie gehörte?
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