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Debatte um sexualisierte GewaltZu Hause ist es am gefährlichsten

Es ist gut, dass gerade über sexualisierte Gewalt geredet wird. Doch die Anlässe dafür sind trügerisch. Die meisten Femizide geschehen in Beziehungen.

Frauen müssen sich wehren gegen sexualisierte Gewalt – meist kommt sie aus dem direkten Umfeld Foto: Unsplash/Luz Fuertes

Der feuchte Traum von Fe­mi­nist*innen ist jetzt ­Wirklichkeit: Es wird flächendeckend über sexualisierte Gewalt diskutiert. Allerdings machen das die einen, weil sie das Problem bekämpfen möchten, während es den anderen darum geht, Frauenfeindlichkeit für rassistische Zwecke zu missbrauchen sowie ihre eigene Misogynie unsichtbar zu machen: zwei Fliegen auf einen Schlag.

Gerade erst ist das Urteil gegen Ali B. gefallen, der die 14-jährige Susanna B. vergewaltigte und ermordete und nun lebenslänglich ins Gefängnis muss. Zwei anderen Fälle, die die Öffentlichkeit zurzeit einigermaßen beschäftigen, nämlich die Gruppenvergewaltigungen in Mülheim und Freiburg, kommen erst noch vor Gericht. Bei diesen Schreckensmeldungen mögen viele dazu neigen, die Gefahr lediglich in fremden Männern auf der Straße zu erkennen. Doch laut einer aktuellen UN-Studie ist das eigene Zuhause immer noch der gefährlichste Ort für Frauen, und zwar weltweit.

Demnach wurden 2017 rund 87.000 Frauen getötet, mehrheitlich von Männern in ihrer eigenen Familie. Auch aus der Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu „Partnerschaftsgewalt“ geht hervor, dass in Deutschland männliche Täter im selben Jahr 147 Frauen töteten, mit denen sie in einer Beziehung waren. Ein Viertel aller Frauen in Deutschland gaben an, mindestens einmal Gewalt in Partnerschaft erlebt zu haben. Davon erlitten 64 Prozent Körperverletzungen. Fast die Hälfte von diesen Betroffenen lebten im selben Haushalt mit dem Täter.

Seit der Reform des Sexualstrafrechts von 2016 reicht ein Nein aus, um eine Vergewaltigung als solche gelten zu lassen – keine Ausreden mehr. Das ist ein Lichtblick in der Bekämpfung der Vergewaltigungskultur und ermutigt Betroffene, anzuzeigen, weil ihre Chancen für Gerechtigkeit nicht mehr so gering scheinen. Dass die Zahl der Anzeigen seit 2017 steigt, muss also nicht unbedingt an mehr Taten liegen, sondern hat auch mit dieser Gesetzesänderung zu tun.

Gewalt gibt's auch in Liebesbeziehungen

Die flächendeckenden gesellschaftlichen Diskussionen weltweit über sexualisierte Gewalt sowie #MeToo führen auch zu einer wichtigen Selbstverständlichkeit im Umgang mit dem Problem. Das macht Mut.

Allerdings sollten wir auch viel mehr über Gewalt innerhalb von Liebesbeziehungen und Familien sprechen. Denn dort kommt es leider nach wie vor zu den meisten Femiziden.

Hinweis: In einer früheren Version des Artikels stand fälschlicherweise, dass 64 Prozent der Frauen in Deutschland von ihrem Partner verletzt wurden. Diese Stelle ist nun korrigiert.

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8 Kommentare

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  • 9G
    94066 (Profil gelöscht)

    was ist egentlich das Problem der Autorin? Sie mahnt bedeutungsvoll (etwas selbstverliebt wirkend) an, häusliche Gewalt endlich zu thematisieren. Das erscheint mir geschichtsvergessen! Vielleicht sollte sie sich mit der Geschichte der 2.Frauenbewegung befassen. In den 70 - er und 80 ern haben Feministinnen HÄUSLICHE GEWALT herkunftsunabhängig ganz ganz oben auf ihre Agenda gesetzt. Sie haben flächendeckend Frauenhäuser, autonome Frauensuchtberatungsstellen, Notruftelefone, Kooperationen mit Polizei und Justiz aufgebaut, Wildwasser etc.etc... Dies oft zu Beginn unbezahlt und gegen einen gesellschaftlichen Widerstand, den sich jüngere Feministinnen glaube ich gar nicht mehr vorstellen können, die sich eher "ins gemachte Netz" setzen konnten! Es wurden auch Courage und Emma (ich weiss der Autorin nach ist A. Schwarzer wahrscheinlich eine Rassistin) gegründet, auch hier häusliche Gewalt ein Dauerthema. Also eher kein Neuigkeitswert, sollte aber immer wieder aus der Schublade geholt werden.... Die Autorin verweisst auf die UN Studie, deren Ergebnis bekannt sein dürfte, ebenso wie die Situation beim sexuellen Missbrauch: zuhause wird mehr als sonst wo sexuell missbraucht, das ist auch bekannt seit Wildwasser und co.. Jetzt haben wir aber durch die Fluchtbewegungen zusätzlich noch ein etwas anders gelagertes Problem. Und an dieser Stelle differenziert die Autorin nicht, sondern spaltet zuerst und wirft dann alles in einen Topf und arbeitet mit Unterstellungen (Mysogenie etc. Instrumentalisierung). Das mag zutreffen, wenn AFD Politiker sich plötzlich für Frauenrechte interessieren, sie subsummiert sonst auch Feministinnen, die einen differenzierteren Blick z.B. auf die Sozialisationsbedingungen und zivile Gesetzgebung (z.B. legitimierte Gewalt gegen Frauen) in diesen Ländern werfen und die Auswirkungen auf das Frauenbild, Neigung zu Gewalt, etc. thematisieren und auch auf die Vorfälle im öffentlichen Raum reagieren und nicht schweigen , wie die Jüngeren.

  • Gewalt sollte nicht gegen Gewalt aufgewogen werden. Nicht, wenn man sie abstellen will. Denn die Gewalt der Zugereisten hat keine anderen Ursachen, als die Gewalt der Immer-schon-da-Gewesenen. Sie macht auch für die Opfer keinen großen Unterschied.

    Gewalt ist immer eine Folge fehlgeleiteter Aggressionen, die ihrerseits wiederum eine Folge fehlerhafter Entwicklungen sind. Wer über die Herkunft der Täter hinweg auf die Auslöser ihres Hasses schaut, erkennt womöglich Ursachen, die auch andere Gewaltformen fördern, nicht nur die sexualisierte. Er kann also im günstigsten Fall gleich mehrere Fliegen auf einen Schlag erlegen.

    Mit denen, die Frauenfeindlichkeit für rassistische Zwecke missbrauchen und so ihre eigene Misogynie unsichtbar machen wollen, braucht man über derartige Zusammenhänge natürlich nicht zu reden. Diese Leute erreichen ihre Zwecke ja nicht, wenn nicht mehr unterschieden wird zwischen der Gewalt der einen und der Gewalt der anderen Täter. Im Gegenteil: Je länger das Problem besteht, um so besser ist das für sie und ihre ganz private Strategie.

    Alle anderen allerdings sollten nicht (nur) fragen, was die zugereisten Täter von den hausgemachten unterscheidet, sondern vor allem nach Gemeinsamkeiten suchen, die beide Tätergruppen verbinden. Das, was nach Abzug der Unterschiede übrig bleibt, ist wahrscheinlich die Ursache eines Problems, das viele verschiedene Facetten und Verkleidungen hat.

    Nur wer die Ursachen abstellt, hilft den betroffenen Frauen aus ihrer Opferrolle und den Tätern aus ihrer Gewaltfalle heraus. Er kann der Gesellschaft insgesamt eine Chance gegeben, verlorenes Vertrauen wiederzufinden. Auch, weil er das Unterscheiden leichter macht zwischen denen, die ernsthaft was gegen Gewalt tun, und denen, die sie nur für eigene Zwecke missbrauchen wollen. Die Letztgenannten nämlich werden höchstwahrscheinlich Gift und Galle spucken gegen ihn. Auch und gerade, wenn rückläufige Zahlen ihm klar recht geben.

    • @mowgli:

      Danke. anschließe mich

  • Liggers - Schonn

    “Der feuchte Traum von Fe­mi­nist*innen ist jetzt ­Wirklichkeit: Es wird flächendeckend über sexualisierte Gewalt diskutiert.“

    Alles aber kein Grund - Däh -



    “…Es ist gut, dass gerade über sexualisierte Gewalt geredet wird.



    Doch die Anlässe dafür sind trügerisch.



    Die meisten Femizide geschehen in Beziehungen“

    Ja wie jetzt^?^ Geht‘s noch?



    & =



    Hirn & Logik - an der Garderobe abzulegen. 👺



    (btw vom Neusprech mal noch ganz ab.



    = Hülsenfrüchte ;) 👹

  • „64 Prozent der Frauen in Deutschland geben in derselben Studie an, mindestens einmal von ihrem Partner körperlich verletzt worden zu sein.“

    Das stimmt schlichtweg nicht. Korrekt ist: 64% der 25% betroffenen Frauen haben durch den Übergriff sichtbare Verletzungen davongetragen. Die Studie dazu: „Bei 64% der Betroffenen hatten die gewaltsamen Übergriffe durch (Ex-)Partner körperliche Verletzungen . . .“

    Danke für den Hinweis. Die Moderation

  • Tja, dieses Problem sitzt im Kopf und ist auch kulturell bedingt. Der an sich sinnvolle Schutz der Familie, wie er im Grundgesetz verankert ist, wendet sich leicht gegen Frauen und Kinder. Schließlich ist in christlich dominierten Kulturen das Bild der "Heiligen Familie" fest verwurzelt und wird auch sehr gern herangezogen, um gleichgeschlechtlichen Paaren abzusprechen, eine Familie sein zu können.



    Es ist viel passiert in den letzten Jahrzehnten, aber noch nicht genug. Es gibt in Deutschland recht, nun, originelle Gerichtsurteile, in denen ein pädophiler Vater vom Richter trotz erwiesener und gerichtlich festgestellter Schuld in die Familie zurückgeschickt wurde, "um diese nicht zu zerstören". Eine Gesellschaft, die zu solchen Ungeheuerlichkeiten noch vor wenigen Jahrzehnten fähig war, tut sich schwer, die heilige Kernfamilie aus Vater, Mutter, Kind(ern) anzugreifen, um das Wohl von Frauen und Kindern sicherzustellen. Es ist nun mal so, dass man Frauen eher empfehlen sollte, das traute Heim zu verlassen, denn in den berüchtigten dunklen Ecken der Stadt ist es statistisch sicherer als zu Hause. Wer Frauen und Kindern in von Gewalt geprägten Umfeldern helfen will, muss auch das gesellschaftliche Konstrukt Familie in Frage stellen, und das tut man hier doch eher ungern.



    Es hat sich viel getan in den letzten Jahren, doch vermehrter Entzug von Kindern aus als ungeeignet erkannten Elternhäusern und neue Sorgerechts- und Umgangsrechtsregelungen haben versucht, alte Probleme zu heilen, aber auch neue aufgezeigt. Denn es ist nun mal so, dass man zwischenmenschliche Probleme nicht auf juristischem Wege lösen kann. Das gilt auch für das Gewaltproblem. Juristische Eingriffe in die Familie, Umgangsverbote etc. funktionieren eben nur so gut, wie die Menschen sie einhalten. Das ist bei Verurteilten, die sich über Kontaktverbote hinwegsetzen, Opfern, die sich den Tätern familiär verpflichtet fühlen und näheren Umfeldern, die Fassaden aufrecht erhalten, eben nicht gegeben.

    • @Anne Pipenbrinck:

      Dieses Problem sitzt vermutlich nicht allein im Kopf, sondern auch im Geldbeutel und vor allem auf Chef*innensesseln. „Kulturell bedingt“ ist die Familie nämlich der Ort, an dem wieder gekittet werden soll, was „die Gesellschaft“ (die von diversen Ton-Angebern und Entscheidungs-Trägern repräsentiert wird) vorher zerdeppert hat.

      Wenn Frauen nichts zu sagen haben, sollen Ehemänner (oder halt Lebenspartner) für sie sprechen. Wenn Unternehmen Frauen schlecht bezahlen, müssen Ehemänner (oder halt Lebenspartner) das mit Überstunden und Karrieren ausgleichen. Wenn Frauen nicht genug gefördert werden, müssen Ehemänner (oder halt Lebenspartner) stellvertretend für sie glänzen. Wenn Frauen mit ihren Kindern überfordert sind, weil die Gesellschaft sie verzogen hat, sollen Ehemänner (oder halt Lebenspartner) Machtworte sprechen. Wenn Frauen als Freiwild angesehen werden, sollen Ehemänner (oder halt Lebenspartner) sie verteidigen. Es gibt unendlich viele Beispiele dafür, dass „die Gesellschaft“ von Familien fordert, Unrecht auszugleichen, das „draußen“ an der Tagesordnung ist.

      Immer, wenn „die Gesellschaft“ auf Kosten der Frauen Profit macht, sollen deren Partner das entstehende Loch stopfen. Zugleich aber sollen außerhalb der Familie „Durchsetzungskraft zeigen“. Von acht bis fünf sollen mitrangeln um die Poleposition unter den Frauenfeinden, anschließend aber sollen sie den gerechten Softie geben. Tag für Tag für Tag. Das kann einfach nicht gut gehen.

      Männer sind auch Menschen. Wenn man sie derart überfordert, braucht man sich über gar nichts wundern. Damit will ich keinen Schläger verteidigen. Es steht jedem Mann frei, sich für die richtige Seite zu entscheiden, wenn der Spagat zu schmerzhaft wird. Ich will nur sagen, dass mich die Scheinheiligkeit (oder Dummheit) ankotz, mit der Frauen in Führungspositionen gerufen werden, ohne die Probleme, die Führer jetzt schon haben/verursachen, auch nur zu bedenken.

      • @mowgli:

        "Wenn Frauen mit ihren Kindern überfordert sind, weil die Gesellschaft sie verzogen hat" - wen hat denn "die" Gesellschaft in Ihrem Weltbild verzogen, die Frauen oder die Kinder?