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Debatte um fehlende Spezialist*innenHeil fordert „Anwerbestrategie“

Am Montag befasst sich die Groko mit dem Fachkräftemangel. Wie genau dafür gesorgt werden soll, dass die Spezialist*innen kommen, bleibt umstritten.

Metallverarbeitung in Brandenburg: Fehlende Fachkräfte bedrohen die wirtschaftliche Entwicklung Foto: dpa

Berlin afp | Vor einem Gipfel im Kanzleramt zur Einwanderung ausländischer Fachkräfte hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) von der deutschen Wirtschaft die Entwicklung einer „Anwerbestrategie“ verlangt. Die Wirtschaft müsse der Bundesregierung sagen, in welchen Ländern sie für welche Branchen Fachkräfte anwerben wolle, sagte Heil am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“. Erst dann könne die Bundesregierung dies durch bürokratische Vereinfachungen unterstützen.

Bei dem Treffen am Montagnachmittag von Spitzenvertreter*innen aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Regierung soll darüber beraten werden, wie das Fachkräfteeinwanderungsgesetz am besten in die Praxis umgesetzt werden kann. Das Gesetz tritt am 1. März 2020 in Kraft. Es soll es spezialisierten Arbeitskräften aus nicht zur EU gehörenden Staaten erleichtern, nach Deutschland einzuwandern.

„Das Beste ist, wenn wir von der Wirtschaft wissen, auf welche Länder wir uns erst mal konzentrieren, wo sie Fachkräfte haben wollen und vermuten“, sagte Heil. Dann könnten sich Anstrengungen gezielt auf diese Länder konzentrieren.

Ohne ausreichend Fachkräfte kann ein Wirtschaftsstandort nicht erfolgreich sein“, hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU in ihrer Videobotschaft vom Wochenende gewarnt. Die Kanzlerin will selber an dem Spitzengespräch zur Fachkräfte-Einwanderung am Montag teilnehmen.

Die Demografie schlägt zu

Der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, kündigte unterdessen bereits weitere Partnerabkommen mit anderen Ländern über die gezielte Zuwanderung von Fachkräften nach Deutschland an. Die Bundesagentur werde neue solche Abkommen abschließen, wie sie beispielsweise schon mit den Philippinen oder Mexiko existierten, sagte Scheele der „Rheinischen Post“ aus Düsseldorf. Dabei gehe es vor allem um die Anwerbung von Fachkräften für den Gesundheitssektor.

Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz müsse nun mit Leben gefüllt werden, sage Scheele. Dafür müssten Strukturen aufgebaut werden, damit die im Ausland erworbenen Berufsabschlüsse schneller anerkannt würden. Der Fachkräftemangel werde in Zukunft deutlich spürbarer werden, betonte der BA-Chef: „Die Demografie schlägt jetzt voll zu.“

DIHK-Präsident Eric Schweitzer forderte seinerseits eine „unbürokratische und effektive“ Umsetzung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Für mehr als die Hälfte der Unternehmen stelle der Fachkräftemangel derzeit „das größte Geschäftsrisiko“ dar, sagte Schweitzer den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Heftige Kritik an dem Gesetz kam von den Grünen und der FDP. Es handle sich um „ein kompliziertes Regelungslabyrinth mit hohen Anforderungen und vielen bürokratischen Hürden“, sagte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Ein „herzliches Willkommen“ für ausländische Fachkräfte sehe anders aus.

Die Grünen-Politikerin dämpfte die Erwartungen an das Spitzentreffen. Was die Regierung mit dem Gesetz nicht geschafft habe, könne ein Gipfel im Kanzleramt nicht richten. Göring-Eckardt forderte stattdessen „ein echtes, modernes Einwanderungsgesetz, das kleinen und mittleren Unternehmen wirklich hilft“.

Der Arbeitsmarktexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Johannes Vogel, sagte, das Fachkräfteeinwanderungsgesetz sei „noch nicht einmal in Kraft getreten, da gibt es schon den ersten Krisengipfel im Kanzleramt“. Im Gespräch mit der „Augsburger Allgemeinen“ kritisierte Vogel, die mit dem Gesetz anvisierte Zahl von 20.000 zusätzlichen Fachkräften sei „lächerlich gering“.

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7 Kommentare

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  • Dass jährliche Märchen vom Fachkräftemangel wird also mal wieder aufgeführt. Der Fachkräftemangel-Alarmismus, den die Wirtschaftsverbände schüren, und der in Ministerien und Parteien unkritisch übernommen wird, ist doch seit Jahren reine Propaganda. Dass Arbeitgeber immer ein großes Interesse an einem großen Angebot des Arbeitsmarktes haben, nicht zuletzt um die Entlohnung niedrig halten zu können, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Ebenso die Tatsache, dass es für Arbeitgeber in jedem Fall sinnvoll ist, einen Fachkräftemangel zu behaupten und den Staat dazu zu veranlassen, das Arbeitskräfteangebot möglichst groß zu machen.

    Was ist eigentlich mit den Millionen Arbeitslosen, die wir in Deutschland haben, sind das alles Analphabeten? Auch die Jugendarbeitslosigkeit nimmt bei uns immer mehr zu, aber die "Alten" sollen immer weiter strampeln - Rente gibt es erst mit Vollendung des 67. Lebensjahres. Wo ist da eigentlich die Logik? Und jetzt fehlen angeblich sogar 400.000 Fachkräfte. Wer glaubt eigentlich dieses Märchen vom Fachkräftemangel noch? Nun ja, wahrscheinlich glaubt der "Arbeitsmarktexperte" der FDP-Bundestagsfraktion, Johannes Vogel, noch an das Märchen vom Fachkräftemangel und einige andere "Volksvertreter", die das Wort 'Arbeit' nur aus dem Duden kennen und die wir mit Diäten "durchfüttern".

    taz: "Der Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, kündigte unterdessen bereits weitere Partnerabkommen mit anderen Ländern über die gezielte Zuwanderung von Fachkräften nach Deutschland an". - Das war ja klar, dass Detlef Scheele seine Millionen von deutschen Arbeitslosen in der BA "behalten" möchte, sonst wäre er ja arbeitslos und er bekäme nicht mehr sein schönes Jahresgehalt von 300.000 Euro als BA-Chef. Nichts wäre für BA-Vorstände schlimmer als "Vollbeschäftigung" oder ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), denn dann müssten die BA-Chefs sich einen anderen Job suchen, der vielleicht nicht so lukrativ ist, wie der Job als BA-Vorstand.

  • Hier die wahren Gründe für die fehlenden Spezialisten, selbst die Frankfurter Runschau ist da weiter als die taz:

    www.fr.de/meinung/...ecke-11231681.html

  • Bei mehreren Mio. Arbeitslosen in Deutschland ist das durchaus heikel, Arbeitskräfte im Ausland anzuwerben. Vollbeschäftigung sieht doch anders aus. Außerdem steigen die Löhnen nicht besonders stark an, ein echter Mangel liegt m.M. gar nicht vor.

    • @Andreas_2020:

      "Außerdem steigen die Löhnen nicht besonders stark an (...)"

      Genau das ist u.a. ein Ziel der Anwerbung. War schon zur Gastarbeiter-Zeit während des Wirtschaftswunders so, als Vollbeschäftigung herrschte.

  • Ich verweise hier nur auf einen Artikel aus der "taz" vom 12.12.2019:



    Streit um Lohnerhöhungen - Pflegekräfte sind Kassen zu teuer



    taz.de/Streit-um-L...oehungen/!5645831/

    Es geht um Lohndrückerei, sonst nichts. Dass SPD und Gewerkschaften hier mitziehen, ist unglaublich.

  • Ja genau, Anwerbestrategie für DE ist nix anderes als eine DE-Abwerbestrategie im Ausland.



    Gleichzeitig lese ich Berichte vom Brain-Drain von DE nach US oder sonstwohin, wo es besser läuft.



    ---Suche den Fehler---

  • Wie wäre es denn wenn man das 2000 Jahre alte Bildungssystem der Bundesrepublik mal echt modernisiert.Jedes Jahr purzeln fast 100.000 Jugendliche aus der Hauptschule die nicht richtig lesen und schreiben können.Das werden bestimmt nicht die Fachkräfte die gebraucht werden.Einfach mal nach Finnland schauen und sich schämen denn deren Bildungssystem hatten wir schon mal in Deutschland.Da es aber in der DDR war mußte das ja abgewickelt werden.