Debatte um das coole Berlin: Der große Wumms

Der Coolnessfaktor sinkt: Der von Berlin im allgemeinen und der von Kreuzberg im Besonderen. Endlich!

Seifenblasen platzen auch im Görlitzer Park Bild: Miguel Lopes

Berlin ist nicht cool oder uncool, sondern hat einen Knall. Seit Wochen wird in dieser Stadt über allerlei Knalliges geredet, unter anderem über die Frage, ob Berlin den Standortfaktor Coolness verspielt habe. Wäre diese Debatte nicht von Zeitschriften aus New York, sondern von Zeitungen aus Neuruppin ausgegangen, es hätte wohl niemanden interessiert.

Von New York völlig unbeachtet, ist für die Berliner eine andere Debatte mittlerweile viel wichtiger. Seit Monaten nämlich raubt den Bewohnern von Wedding und Prenzlauer Berg ein lauter Wumms ihren Schlaf. Und immer noch weiß keiner, wo er herkommt. Immerhin weiß man seit dieser Woche, wie er aussieht.

Das für investigative Lokalrecherche vielfach unterschätzte Fachblatt B.Z. hat das Geräusch mithilfe einer „Hightech-Kamera“ sichtbar gemacht. Aufgrund dieser sensationellen Entdeckung schob die Boulevardzeitung ihre Berichterstattung über einen anderen Knall, der diese Woche Furore machte, auf die hinteren Seiten. Der Knall, der die Menschheit hervorbrachte, und seine Schallwellen, die die Astronomen diese Woche gehört und sichtbar gemacht hatten, kamen hier nur als leises Rauschen an. Warum sollte man sich an der Spree für den Urknall des Universums auch mehr interessieren als für den eigenen Knall? Knallköpfe hat diese Stadt schließlich genug.

Muttis raus

Einer von ihnen sprühte kürzlich ein Graffito an eine Kreuzberger Wand – auf dass die Debatte über Gentrifizierung und Coolnessfaktor neuen Knallstoff erhalte: „Muttis raus“.

Noch bis vor Kurzem lautete der angesagteste Graffitischrei in diesem besonderen Kiez „Touris raus“. Es würde einen kaum wundern, wenn demnächst nicht nur wieder das alte „Dealer raus“, sondern auch „Ausländer raus“ an den Wänden auftauchen würde. Provo? Nein. Die Angst der Muttis und Vatis vor den „Heroinspritzen im Sandkasten“ des Görlitzer Parks – in dem es im Übrigen gar keinen Sandkasten gibt – ist nicht zu überhören, und ihre Ursachenforschung konzentriert sich, ähnlich wie die der Investigativspezialisten von der B.Z., auf die Flüchtlinge vom Oranienplatz.

Sitzt man in einem der Cafés am Görli, kann man den Muttis und Vatis dabei zuhören, wie sie mit anderen Muttis und Vatis darüber reden, wie dramatisch sich der Zustand Kreuzbergs verschlechtere. Man habe ja nichts gegen die Flüchtlinge, aber gegen Ratten und Drogen. Natürlich nur der Kinder wegen.

Ich habe nichts gegen Muttis und Vatis im Kiez, so wenig wie gegen Flüchtlinge, Harald-Juhnke-Gedächtnissäufer, Drogendealer und andere Knalltüten. Und wenn doch irgendwann mal, dann ziehe ich eben weg.

Kürzlich aber saß ich neben einer Mutti und einem Vati, die sich über all das beschwerten und nach drastischen Lösungen suchten. Ich musste daran denken, dass ich früher auf den Spruch „Nazis raus“ mit der Frage „Wohin denn?“ reagierte. Jetzt hätte ich Mutti und Vati wenigstens einen Tipp geben wollen. Neuruppin zum Beispiel. Das soll ja viel cooler sein. Weniger Ratten, weniger Knallköpfe, wenig Wumms, aber „Happy“ sind die da auch.

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

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