Debatte um antisemitische Straßennamen: Luther ein „Freiheitskämpfer“?
Bischof Stäblein hält eine Umbenennung der Luther-Straße in Berlin für „abwegig“. Dessen Antisemitismus müsse man aber aufarbeiten.
„Er war aber auch ein Mensch mit antijüdischen Vorstellungen und Denkmustern, ein großer Geist, aus dessen Mund und Feder zugleich antijüdische Hetzreden flossen“, schreibt Stäblein. Dass das in seiner Epoche und darüber hinaus lange zur christlichen Theologie gehörte, dürfe keine Entschuldigung sein. Und dass sich bei Luther gerade in frühen Schriften auch Worte voller Wertschätzung für den jüdischen Glauben finden, ändere nichts an seinen furchtbaren antisemitischen Aussagen.
Die evangelischen Kirchen hätten diese antijüdische Seite Luthers beim Reformationsjubiläum 2017 ausdrücklich benannt. Im Zentrum von Luthers Namen und Wirken wohne aber auch die Freiheit – für den Einzelnen und für Europa. Was der Reformator für die Kirche und die gesamteuropäische Kultur mit errungen und auf den Weg gebracht habe, sei Freiheit. „Dafür steht sein Name, auch für mich“, betonte der Bischof
Das zu erinnern verdiene nicht nur die Benennung von Kirchen, sondern auch von Straßen. „Luthers antijüdische Denkmuster müssen wir dabei bekennen und aufarbeiten. Das wäre konsequent in seinem Sinne: Mit Luther gegen Luther für die Freiheit des anderen eintreten“, so Stäblein.
Studie sorgt für Wirbel
Laut einer Studie im Auftrag des Berliner Antisemitismusbeauftragten Samuel Salzborn haben 290 Straßen- und Platznamen in Berlin problematische, antisemitische Bezüge. Der Studienautor Felix Sassmannshausen aus Leipzig empfahl bei der Vorstellung im Dezember 2021 eine gesellschaftliche Debatte und in einer Vielzahl der Fälle auch eine Umbenennung. Dazu gehören neben der Martin-Luther-Straße mit der Otto-Dibelius-Straße und dem Pastor-Niemöller-Platz weitere Namen berühmter evangelischer Theologen. Bei anderen Straßennamen wie der Treitschkestraße in Berlin-Steglitz und der Pacelliallee in Berlin-Dahlem wurde schon zuvor über eine Umbenennung diskutiert.
Die Studie hat eine kontroverse Debatte ausgelöst. Der Berliner Antisemitismusbeauftragte hat die Vorschläge wiederholt verteidigt. Ein Stadtplan sei kein Museum, sagte Salzborn der „Berliner Morgenpost“. Er teile nicht den Eindruck, dass durch Umbenennungen historische Erinnerungen verloren gingen.
Initiative fordert Umbenennung
Der Streit um die etwa 2,3 Kilometer lange Berliner Martin-Luther-Straße ist dabei nicht neu. Im September 2020 forderte eine Initiative bereits eine Umbenennung, weil Luther „in seiner Zeit für ausgebeutete Menschen, Minderheiten und Frauen eine sehr negative Rolle gespielt und – wo immer es ging – Öl ins Feuer der Auseinandersetzungen gegossen und bitterbösen Hass gesät“ habe, wie es hieß. Die Initiative setzte sich stattdessen für eine Namensgebung zugunsten von Prista Frühbottin ein – eine Wittenbergerin, die 1540 als „Hexe“ verbrannt wurde.
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