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Debatte um Stuttgart 21Unterirdischer Wahlkampfbahnhof

Wie geht es weiter mit Stuttgart 21? Weil unklar bleibt, wer die Mehrkosten übernimmt, könnte die Sache am Ende vor Gericht entschieden werden.

Tausende auf den Beinen: Protest vor dem alten Bahnhof am Samstag. Bild: dpa

STUTTGART/BERLIN taz | So viele Menschen sind seit Langem nicht mehr gekommen, um gegen Stuttgart 21 und für einen Erhalt und Umbau des alten Kopfbahnhofs zu demonstrieren. Am Samstag gingen mehrere tausend Demonstranten auf die Straße, 8.000, behaupteten die Veranstalter, 6.000, sagte die Polizei. Das ist immer noch nur ein Bruchteil der 100.000 vom Oktober 2010, aber eben viermal mehr, als normalerweise zu den traditionellen Montagsdemonstrationen kommen.

Das ist ein weiteres Indiz, dass die Meinung in Baden-Württemberg zu dem Milliardenprojekt gekippt ist. Der verflixte Umbau des Bahnknotens beschäftigt die Stuttgarter seit über 20 Jahren. Er trug seinen Anteil daran, dass Stadt und Land nun von den Grünen regiert werden: Mit „Schuster weg“ und „Mappus raus“ versuchten die Demonstranten, die CDU-Granden aus ihren Ämtern zu jagen.

Doch trotz der Regierungswechsel in Stadt und Land wird das Projekt immer noch gebaut – also adressieren die Projektgegner ihren Protest nun an die Ebene darüber: Mit einem Transparent „Merkel weg“ führten sie ihren Demonstrationszug am Samstag an, auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zählte zum Feindbild.

Ob sich die Bundesregierung im fernen Berlin davon beeindruckt zeigt, steht auf einem anderen Blatt. Dass das Thema Stuttgart 21 dort wie ein nervtötender Straßenzeitungsverkäufer schon wieder allen in den Ohren liegt, ist allerdings nicht zu überhören: Mit einem „Stuttgart 21 wird gebaut“ unternahm Schäuble am Wochenende in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung den Versuch, die Sache klarzustellen. Es gebe ein gesamtstaatliches Interesse an dem Projekt, sagte er. Das sind klarere Worte als die von Kanzlerin Angela Merkel, die ausrichten ließ, man stehe zu dem Projekt, weitere Kostenüberraschungen dürfe es aber nicht geben.

Projekt wird immer teurer

Der Auslöser der ganzen Diskussion sind, wie so oft, die Kosten: Eigentlich hätte der Umbau des Bahnknotens mit neuem Tiefbahnhof in der Stadt, ICE-Anbindung des Flughafens und kilometerlangen Tunnelanlagen maximal 4,5 Milliarden Euro kosten sollen – bis zu dieser Summe waren die Kosten zwischen Stadt und Region Stuttgart, dem Land Baden-Württemberg, dem Bund und der Bahn vertraglich aufgeteilt.

Obwohl der Betrag bereits einen Risikopuffer enthielt, musste die Bahn im Dezember einräumen, dass die Kosten 1,1 Milliarden Euro über den vorher kalkulierten Maximalkosten liegen würden, zudem gebe es Risiken von weiteren 1,2 Milliarden.

Aktuell gibt es zwei Knackpunkte: Zunächst muss der Aufsichtsrat der Bahn zustimmen, dass der Schienenkonzern 1,1 Milliarden Euro mehr für S 21 ausgeben darf – das Gremium tagt am 5. März. Da die Bahn dem Bund gehört, handelt es sich aber letztlich um eine politische Entscheidung der Bundesregierung – insofern ist Schäubles Äußerung eine Vorentscheidung für einen Weiterbau.

Risikofrage ungeklärt

Allerdings gibt es eine zweite, wesentlich umstrittenere Frage: Wer übernimmt die Risiken für den anderen Kostenblock von 1,2 Milliarden? Die baden-württembergische Landesregierung wie auch die Stadt Stuttgart lehnen es bisher strikt ab, sich daran zu beteiligen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) begründete dies zuletzt mit dem Argument, dass der Bau von Bahnhöfen und Schienen nicht Aufgabe der Länder sei. Die finanzielle Beteiligung an S 21 sei deshalb „eine freiwillige Leistung des Landes“ gewesen. „Deshalb kann es keine Nachschuss-Verpflichtung geben.“

Mit dieser Linie konnte Kretschmann gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen: Dass das Land keinen Cent mehr bezahlt, war für die Grünen der einzige gemeinsame Nenner mit ihrem Koalitionspartner SPD, die mehrheitlich für den Tiefbahnhof ist. Zudem könnte Kretschmann so das Land aus der Verantwortung ziehen, sollte die Bahn oder der Bund als Eigentümer den Ausstieg beschließen. Denn dann geht es um die Schadenersatzzahlungen.

Möglicherweise weicht Kretschmann seine Strategie auf: Nach Informationen der Stuttgarter Zeitung wird in der grün-roten Landesregierung darüber diskutiert, inwieweit sich das Land unter Umständen an Zusatzkosten für den Flughafenhalt beteiligen könnte. Hierfür war unter Beteiligung von Bürgern eine verbesserte Variante erarbeitet worden.

Sollte es keine Einigung geben, gibt es eigentlich nur nur zwei Möglichkeiten: Entweder das Projekt wird beendet – dann dürften sich die Projektpartner um die Ausstiegskosten streiten. Oder die Gerichte entscheiden: Laut Focus will der Bahn-Aufsichtsrat, also mehrheitlich die Vertreter des Bundes, dem Unternehmen notfalls eine Klage gegen die Vertragspartner empfehlen.

Dann würden sich im Bundestagswahlkampf eine grün regierte Stadt und ein grün geführtes Bundesland gegen eine von der schwarz-gelben Bundesregierung kontrollierte Bahn vor Gericht streiten. Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) hatte schon angekündigt: „Wenn die Bahn von uns mehr Geld will, muss sie klagen.“

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6 Kommentare

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  • AW
    Alexandra Wirth

    Das zweite Milliardengrab für den Bund wird immer nicht erwähnt:

    Die Neubaustrecke Wendlingen - Ulm. Auch hier Kostensteigerungen ins Unermäßliche. Und noch ist kein einziger Tunnel angebohrt.

    Vermutlich werden nicht einmal die sogenannten (und bisher nicht existenten) leichten Güterzüge auf der NBS fahren. 20 sollten es einmal sein, 16 würden es, wenn die "leichten Güterzüge" einmal konstruiert werden würden. Aber auch die gibt es bisher noch nicht. Die Wendlinger Kurve wird nielmals so für schwerere Güterzüge befahrbar sein(Radius), alles ein Projekt der unsäglichen Profitgier bezüglich des Gleisvorfelds in Stuttgart,

    die NBS schafft dazu die Voraussetzungen, denn nur durch sie ist die Gleisanbindung für den gedrehten Halbtief-Schrägbahnhof S21 möglich.

    (Halbtief: 8 Meter Wall sind am Anfang zum Bonatzbau, schief ist er, da das Gefälle zum Schlossgarten tiefer wird, alles nur durch eine Sondergenehmigung möglich!)

    Die Strecke ist zu steil, der Energieaufwand zu hoch. Güterzüge fahren langsamer, deswegen können sie eben nur nachts eingeplant werden, tags wären sie für die schnelleren ICEs ein Hindernis.

    Die Tunnel durchlaufen teileweise Gestein, dass zum Anspruchsvollsten überhaupt im Tunnelbau gehört.

    Höhlen mit 2 bar Wasserdruck, eine Wassersäule von 200 Metern.

    Und dazu eine Steigung, die höher als die bisherige Geislinger Steige sein wird.

    Ein Ertüchtigung der bisherigen Strecke plus Nutzung anderer Möglichkeiten würde Milliarden einsparen. Von der Instandhaltung der ca. 60 km Tunnels oder dem kleingesparten Brandschutz ganz zu schweigen. ("Trockene Leitungen", Fluchtwege, die durch die Steigungen an Kaprun erinnern.)

    Aus BER wurde absolut nichts gelernt, der Souverän

    wird weggeprügelt (30.09.) und am Ende werden wir vor einem halbfertigen Milliardengrab stehen.

    Der Preis für den Merkel-Wahlkrampf ist zu hoch.

     

    Eine englische Königin wollte einmal den Park in England für das Volk sperren lassen. Sie fragte ihren Minister, was sie das kosten würde.

    Seine Antwort war: "Eine Krone"!

  • W
    Waage

    Warum "Merkel raus?"

     

    Merkel wird bei S21 noch genauso die Kurve kriegen wie beim Atomausstieg, der Homoehe und demnächst noch dem Mindestlohn.

    Man muss sie nicht mögen, sie weiß aber was geht und vor allem was nicht geht und handelt irgendwann auch danach.

    Das war bisher immer so.

     

    Viel wichtiger ist, dass die Regierung Kretschmann nicht weiterhin jeden Ball verstolpert und das Ding endlich reintut - in das gegnerische Tor versteht sich!

  • OK
    Opa Kolja

    Das sündteure,leistungseinschränkende und kropfunnötige Tiefbahnhöfle wird dann endlich vor Gericht gestoppt werden.Zuviele Tricks und gesetzeswidrige Durchstechereien bei Planung und Kosten werden dabei ans Tageslicht kommen.Es wird nur dauern und die Murks-Bahn wird bis dahin versuchen-zerstörerisch wie bisher-Unumkehrbarkeit zu schaffen.

    Venceremos!

  • HS
    Hari Seldon

    @arzt:

     

    Nun, ein Heimspiel des Stuttgarter VfBs mobilisiert wesentlich mehr Menschen nur in Stuttgart als 6000 S21-Gegner Randalierer aus dem Gesamten Bundesgebiet. So eine Aussage, dass die Stimmung ist gekippt, kann nicht anders als ein Treppenwitz interpretiert werden. Mit ähnlichen Umfragen hausierten die S21-Gegner auch vor der Volksabstimmung, und am Ende des Tages hat das Volk gezeigt, dass Umfragen hin und her, das Volk für S21 ist (die S21-Gegner wurden in 19 Wahlbezirken aus 23 in Stuttgart nach Hause geschickt). Nun BaWü ist kein Grün-geführtes Land, und die Grünen haben keine andere Option als die Koalition mit der SPD (SPD ist mehrheitlich für S21), aber die SPD kann S21 mit einem anderen Koalitionspartner-ohne die Grünen---locker verwicklichen. Vergessen wir es auch nicht, dass in der Geschichte der Bundesrepublik gab es noch NIE einen MP mit einer so niedrigen Unterstützung wie Kretschmann. Habe das Demo am Sonntag gesehen: Die langweilenden ehemaligen 68er Rentnerinnen (mindestens 75% der Teilnehmer gehörte zur Generation 65+) für die Unterstützung der egoistischen wirtschaftlichen Eigeninteressen der Villen- und Immo-Besitzer in Stuttgart.

     

    Kosten: Die Bahn erwartet Beteiligung der Projektparner zu den Kosten der Sonderwünschen der Landesregierung. Und Bezahlen für Sonderwünsche ist völlig i.O.

  • P
    Profibürger

    Mit den Hütchenspielern aus dem CDU- und Bahn-Tower kommuniziert man am besten vor Gericht.

  • B
    Bahnkundin

    http://www.bei-abriss-aufstand.de/

     

    Rede vom Kolumnisten Joe Bauer am 23.2.2013 auf dem Stuttgarter Schlossplatz:

     

    "(...)Eine der dümmsten Floskeln überhaupt will den Leuten in der Republik weismachen, in Stuttgart gehe es um einen Bahnhof. Wer so redet, ist hereingefallen auf das Propagandaprinzip Merkel/Geißler. Der Bahnhof, diese Ruine neben dem umgepflügten Schlossgarten, ist vor allem dies:

     

    ein Symbol für die Stadtzerstörung, ein Symbol für Immobilienspekulationen in großem Stil.

     

    Der kaputte Bahnhof steht schon jetzt als Mahnmal für die Überheblichkeit der Politiker gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern.

     

    Manche mögen denken, der Einzug grüner Regierungsspolitiker in die Villa Reitzenstein und ins Stuttgarter Rathaus sei so etwas wie die Endstation einer aufregenden Reise der Aufmüpfigen – man könne jetzt aus dem Protest aussteigen und sich zum Schnarchen aufs Sofa zurückziehen.

     

    Wer so denkt, muss dringend geweckt werden – weil er die kalten Duschen der Grün-Roten Mitmacher und Wegschauer womöglich verpennt hat."

     

     

     

    "24.02.2013 + Der Verkehrsexperte Professor Heiner Monheim widerspricht Wolfgang Schäubles These, wonach Stuttgart 21 aus staatspolitischen Gründen gebaut werden müsse.

     

    Liebe Freunde, das Gegenteil von Schäubles Aussagen ist richtig: es gibt ein gesamtstaatliches Interesse, S 21 nicht zu bauen, und zwar aus demokratiepolitischen, finanzpolitischen und verkehrspolitischen Gründen.

    (...)

    Minister Schäuble wird seinem Auftrag als Finanzminister in keiner Weise gerecht, wenn er fordert, das Geld weiter mit vollen Händen zum Fenster rauszuschmeißen, statt die Chance für eine massive Einsparung und erhebliche Haushaltssanierung zu nutzen.

     

    http://www.sonnenseite.com/Aktuelle+News,Stuttgart+21+ist+finanzpolitisch-+verkehrspolitisch+und+demokratiepolitisch+fatal,6,a24714.html