Debatte um Sterbehilfe: Nicht das Leben vergessen

Der Bundestag hat sich nicht auf eine Regelung zur Sterbehilfe einigen können. Können wir jetzt erst mal über ein Leben in Würde für alle sprechen?

Menschen packen Lebensmittel der "Tafel" in ihre Taschen und Hackenporsche

Essensausgabe der „Tafel“ in Offenbach Foto: imago

Nicht jeder kann es sich leisten, gesund zu sein. Arme Menschen ernähren sich schlechter, rauchen mehr und leben meist in solch prekären Verhältnissen, dass sie unter großem Stress stehen. Schwere physische und psychische Schäden können die Folge sein.

Wenn über Sterbehilfe diskutiert wird, ist immer von Würde die Rede. Oder von Selbstbestimmung. Oder würdevoller Selbstbestimmung und selbstbestimmender Würde. Dabei ist es interessant, sich anzusehen, wovon nicht die Rede ist und warum. Denn die Debatte über die Sterbehilfe lenkt ungemein davon ab, dass der Leidensweg, der zum Wunsch nach dem Tod führt, meist ein würdeloser ist. Darüber, dass der Zugang zu Gesundheit ungerecht ist, wird geschwiegen.

Das Ziel, grundlegende Bedürfnisse wie Ernährung zu sichern, ist in Deutschland schon fast utopisch. So rufen beispielsweise die Tafeln diese Woche den Ausnahmezustand aus. Die Lebensmittelpreise werden höher, die Spenden rarer und die Kundschaft vervielfacht sich.

Nicht nur hat der Staat seine Verantwortung, das menschliche Existenzminimum zu sichern, durch die Tafel ausgelagert, er hat diese dann auch noch finanziell aushungern lassen. Andere Grundbedürfnisse, die für die Gesundheit essenziell sind, bleiben ebenfalls unerfüllt.

Keine Wohnung, kein Leben

In einigen Ländern, in denen Sterbehilfe legalisiert ist, lässt sich erkennen, dass es meistens arme Menschen sind, die den Antrag darauf stellen.

In Kanada gab es bereits einige Fälle von Kranken, die sich für die Sterbehilfe anmeldeten, nachdem sie keine geeignete Wohnung finden und nicht von der Behindertenhilfe (Disability Payments) leben konnten. Nur wenige bekommen den Antrag letztlich genehmigt und erhalten das Recht zu sterben. Trotzdem: Es zeichnet sich ein tiefgehendes Problem ab.

In Deutschland ist die häufigste Ursache für Suizid immer noch psychische Krankheit. Auch die Sterbehilfe wird von Leuten mit schweren psychischen Krankheiten wahrgenommen, auch wenn das hierzulande noch umstritten ist. Die Betroffenen meinen oft, ihren Angehörigen zur Last zu fallen oder sich in einer ausweglosen Situation zu befinden. Ein Kriterium, um in diesem Fall Sterbehilfe zu bekommen, ist, dass die betroffene Person austherapiert ist.

Eigentlich sollte viel früher angesetzt werden: Es hat sich gezeigt, dass die Früherkennung einer psychischen Erkrankung für deren Verlauf von Vorteil ist. Hierzulande sieht die Realität aber so aus, dass man monatelang auf Therapieplätze warten muss, insbesondere dann, wenn man sie nicht aus eigener Tasche zahlt. Auswege sind also vorhanden, doch denjenigen, die nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, bleiben sie versperrt.

Die Sterbehilfe deswegen zu kriminalisieren, ist dennoch keine Lösung. Im Notfall nehmen Kranke die Sache nämlich selbst in die Hand. Zudem ist es absurd, dass eine Person, die ein Leben in Armut lebt, bei dem Wunsch zu sterben mit weiterer Ungerechtigkeit konfrontiert ist. Menschen, die es sich leisten können, reisen, wenn es hart auf hart kommt, ins Ausland, um den Service dort wahrzunehmen. Diese finanziellen Mittel hat eine arme Person nicht.

Wenn ein kranker Mensch, der von Armut betroffen ist, keine Sterbehilfe bekommt, ist er durch ein miserables Leben gestraft und muss dann qualvoll aus diesem miserablen Leben scheiden.

Sind das Leben und der Tod von Problemen belastet, reicht es nicht aus, nur den Tod einfacher zu gestalten. Wir dürfen in dieser Debatte nicht aus den Augen verlieren, dass die Ungerechtigkeit schon viel früher beginnt: Wir dürfen bei all dem Reden über den Tod nicht das Leben vergessen.

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