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Debatte über den öffentlichen NahverkehrNeue Konkurrenz

Kommentar von Gottfried Ilgmann

Der öffentlichen Personennahverkehr wird teurer, gleichzeitig sinken die Subventionen. Das führt zu steigenden Fahrpreisen. Was ist zu tun?

U1 in Frankfurt/Main: Rosig nur mit anderen Monatskarten Bild: ap

D ie gute Nachricht: Seit der Bahnreform 1994 ist der öffentliche Personennahverkehr um 12 Prozent gestiegen – gemessen in Personenkilometern. Die Schlechte: Im gleichen Zeitraum hat der Pkw-Verkehr aber ebenso zugelegt. Am Verhältnis zwischen öffentlichem und Pkw-Verkehr hat sich nichts geändert. Es stagniert hartnäckig bei 15 : 85, noch immer ist der öffentliche Verkehr nur eine Restgröße.

Wenn wir also die Zukunft von Bus und Bahnen einschätzen wollen, müssen wir wissen, was sich im Individualverkehr tut. Und da tut sich mehr als im öffentlichen Verkehr.

Ein gewichtiger neuer Konkurrent etwa wird dem öffentlichen Verkehr heftig zusetzen: Das Elektro-Fahrrad (E-Bike). Sein Stromverbrauch ist vernachlässigbar gering, der Akku im täglichen Gebrauch unproblematisch. Die Fahrzeit über mindestens 10 Kilometer ist in aller Regel kürzer als mit Bus und Bahnen. Der Preis des E-Bikes wird stark fallen, sobald gute Qualität aus Asien kommt. E-Bikes könnten zur üblichen Haushaltsausstattung avancieren. Es gibt völlig neue Typen von Radlern, zum Beispiel solche mit geringerer körperlicher Leistungsfähigkeit, mit schwerem Gepäck (wenn nötig mit Anhänger) und mit erheblich größeren Fahrtweiten.

Aber was geschieht dadurch im öffentlichen Personennahverkehr, dem ÖPNV? Er verliert Kunden bei gutem Wetter. Bei schlechtem Wetter und Dunkelheit, bei Glatteis und Schnee, drängen viele E-Biker wieder in Busse und Bahnen. Folge: Die Spitzenlastigkeit des ÖPNV steigt. Das ist das Verhältnis zwischen der Besetzung in der Verkehrsspitze morgens und der mittleren Besetzung eines ganzen Tages. Die Kosten des ÖPNV sind hochgradig von der Belastung in der Spitze abhängig. Sie bestimmt, wie viel teure Infrastruktur gebaut wird und wie viele Fahrzeuge anzuschaffen sind. Mit der Ausbreitung des E-Bikes bleiben die Kosten hoch, die Einnahmen sinken.

Apps machen Autos billiger

Bild: privat
Gottfried Ilgmann

70, Thermodynamiker und Wirtschaftswissenschaftler, promovierte über die Gestaltung des Leistungsangebotes im ÖPNV, arbeitete mehr als zehn Jahre für die Regierungskommission Bahn sowie für den Bundesverkehrsminister und den Vorstand der Deutschen Bahn. Er war Experte in vielen Anhörungen des Bundestages und der Landtage. Mit Klemens Polatschek Autor des Buches „Zukunft der Mobilität“, erschienen 2013 bei Collective Intelligence Press, 20 Euro.

Eine weitere künftige Konkurrenz sind die Internetplattformen in Verbindung mit Smartphones. Sie erlauben bei geringen Kosten, Pkw-Fahrer und Mitfahrer zusammenzubringen. Die vielen Start-up-Unternehmen sind sehr innovativ. Und sie sind zahlreich. Die Mitfahrzentralen für weite Fahrten sind uns geläufig. Nunmehr etablieren sich auch Klubs für das (tägliche) Pendeln, so zum Beispiel in einer Kooperation mit dem ADAC mit seinen 18 Millionen Mitgliedern.

Außerdem etablieren sich Plattformen für spontanes Mitfahren im Nahverkehr. Dieses Mitfahren heißt: Ohne zusätzlichen Aufwand wird im Pkw mehr Verkehr abgewickelt. Der Pkw konkurrenziert den öffentlichen Nahverkehr gerade dann, wenn der ohnehin kläglich ausgelastet ist.

Was geschieht? Der ÖPNV verliert Kunden, aber seine Spitzenlastigkeit steigt an. Denn sobald sich auf der Straße die Autos stauen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, kalkulierbar ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Dann sind Bus und Bahnen wieder erste Wahl. Folge: siehe oben.

Es tut sich noch mehr.

Und noch Car-sharing und Billigautos

Carsharing 2.0 etabliert sich. Der Klubbeitrag kostet einmalig 30 Euro für die Registrierung. Das Smartphone teilt mit, wo in der Umgebung ein Kleinwagen bereit steht, den man für 30 Cent pro Minute benutzen kann, um ihn dann am Ziel wieder abzustellen. Manche Städte wollen für Carsharing-Pkw privilegierte Parkplätze einrichten, denn die knappen Parkplätze werden besser ausgenutzt, weil sich schnell wieder ein weiterer Nutzer findet. Noch wissen wir jedoch wenig, wie sich diese neue Form der Mobilität auf den ÖPNV auswirkt.

Aus Asien kommen künftig Kleinstwagen an den Markt. Es wird deutlich billiger, ein Auto zur Verfügung zu halten. Der Test, wie sich das auswirkt, steht auch noch aus.

Zurück aus der Zukunft in die Gegenwart: Der ÖPNV ist hoch subventioniert, 55 bis 60 Prozent der Kosten werden aus Steuermitteln bestritten, klagt der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesverkehrsminister. An dem Anteil hat sich seit 1997 nichts geändert. Der Forderung der Piratenpartei nach einem ÖPNV zum Nulltarif sind wir eigentlich schon sehr nahe.

Die ÖPNV-Branche wird künftig in ein Bermudadreieck geraten: Kunden werden zu mehr individueller Mobilität abwandern. Der ÖPNV wird durch steigende Personalkosten teurer. Die Schuldenbremse wird die Subventionen ausbremsen. Alle Effekte zusammen führen zu einem drastischen Anstieg der Fahrpreise – und das vor dem Hintergrund, dass sich völlig neue preiswerte und nachhaltige Möglichkeiten der Mobilität im Individualverkehr bieten.

Was kann dem ÖPNV helfen?

Heldentaten sind gefragt. Dazu gehören Maßnahmen, die die meisten Verkehrspolitiker scheuen, nämlich das Beflügeln des Wettbewerbs. Bei der Deutschen Bahn ist vorrangig die Infrastruktur (Netz, Bahnhöfe, Energieversorgung) und das Fahren von Zügen auf der Schiene unternehmerisch zu trennen. Das vom Vorstand der Deutschen Bahn und der Eisenbahn-Gewerkschaft EVG favorisierte Modell des integrierten DB-Konzerns kann nur geringe Wettbewerbsschübe auslösen.

Die Länder und Kommunen sollten bei Ausschreibungen von Verkehrsverträgen (Wettbewerb um den Markt) größere Spielräume lassen. Wenn zu viel staatlich vorgegeben ist, fehlen die Innovationen – das wichtigste Ziel des Wettbewerbs.

Die Fahrgäste werden aufheulen, wenn Mobility Pricing kommt. Das bedeutet mehr Finanzierung durch Tickets und differenziertere Preise, wie wir sie aus der Luftfahrt kennen. Bisher bekam man hohe Rabatte per Monatskarte, die sich so richtig nur für Pendler lohnen. Die aber verursachen die höchsten Kosten, weil sie in der Regel genau zu Spitzenzeiten auf den höchst belasteten Strecken fahren. Ihre deutliche Mehrbelastung bedeutet eine herbe Umkehr bisheriger Werbung der Branche.

Noch rechne ich nicht mit Umkehr, sondern mit aggressiver Ablehnung dieser Heldentaten. Aber wenn die Nachrichten schlechter werden?

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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • In Berlin gibt es günstigere 10-Uhr-Monatskarten, mit denen man an Arbeitstagen (Mo-Fr) nicht im Berufsverkehr fahren darf. Das reduziert die Spitzenlast im Berufsverkehr.

  • Reiner Metzger , Autor , Leiter Wochenendtaz

    Kommentar des Autors Gottfried Ilgmann:

    Die Kommentare enthalten alle Vorurteile und Desinformationen, die in der Szene zum ÖPNV bestehen. Insofern ist die Lobby des ÖPNV mit der DB an der Spitze, höchst wirksam. Eigentlich müsste ich die Kommentare mal aggregieren: die größten Irrtümer..... Mach ich vielleicht, wenn ich Zeit habe.

    Im nächsten Kommentar werde ich meine Sehnsucht nach der (grauen)

    Bundespost, dem Telekombereich der Deutschen Bundespost, outen. Da hatte ich noch Rechnungen von über 1000 DM im Monat (heute im Mittel etwa 45 Euro),

    aber niemand verdiente sich dumm und dämlich. Die graue Post

    subventionierte die gelbe Post. Die Deutsche Bundespost insgesamt

    verdiente nur etwa 10 % des Umsatzes. Das kompensierte gerade, dass sie von der Mehrwertsteuer befreit war. Und ein Beamter oder Angest. konnte sich auch keine goldene Nase verdienen.

     

    Ach war das alles gerecht und ganz links! Nein, es war nicht rechts oder

    links, es war nur bescheuert.

  • Nun, die Privatisierung und Vergabe jeder einzelnen Zuglinie an irgendwelche phantasienamigen Firmen macht das System doch nur unflexibel. Durchläufe und Direktverbindungen werden unmöglich. Die Trennung Netz-Betrieb gelingt nicht. Sie schafft nur neue Probleme. Die Schweiz kann es besser - ohne Autoindustrie, die die Bahn seit der "Privatisierung" nur behindert - mit abgelegten Managern in den Gremien.

    Die Pendler sind schuld? Weil sie alle gleichzeitig fahren müssen? Wie wäre es denn mit flexibleren Zeiten bei allen Institutionen und Firmen? Verkehr verteilen. Und vielleicht Heimarbeitstage usw - da müssen nicht ie Preise rauf, sondern die Termine und Arbeitszeiten flexibilisiert werden.

  • Ist das ein Witz, dass die taz einen Artikel bringt, wo mehr Privatisierung im ÖPNV gefordert wird? Wann hat die taz eigentlich aufgehört, eine linke Zeitung zu sein?!

     

    Die Analyse ist ja soweit richtig (Spitzenlastzeiten, Konkurrenz durch E-Bike und Carsharing), aber die Schlussfolgerung hat der Autor weder begründet noch wäre sie begründbar. Wie soll denn mehr Wettbewerb gegen E-Bikes helfen? So ein Unsinn. Und jede Verschiebung hin weg vom MIV ist doch wünschenswert, ob das jetzt Bus&Bahn sind oder E-Bike ist ja erstmal unwesentlich (im Gegenteil wäre es ja sogar noch besser, wenn alle Fahrrad fahren statt den ÖPNV zu nehmen).

     

    Wer ernsthaft Privatisierungen fordert kann sich ja mal den Bahnverkehr in England anschauen. Den kann man nämlich völlig knicken.

    • @Dubiosos:

      "Wann hat die taz eigentlich aufgehört, eine linke Zeitung zu sein?!"

      Ich glaube das war mitte der 0er Jahre, wenngleich ich diesen Artikel hier eher als Debattenbeitrag verstehe; insofern könnt der auch in einer linken Zeitung stehen.

      • @Wer Smith:

        Wenn es ein beatten beitrag oder Pro & Contra wäre, wäre ich durchaus damit einverstanden, schließlich will ich zeitung nicht nur lesen, um meine eigene Meinung bestätigt zu sehen. Aber dann sollte man doch bitte auch einen gegenteile Meinung drucken bzw. online stellen und verlinken. So wirkt das Ganze, als ob es die Redaktionsmeinung darstellt und das finde ich verheerend.

  • Zu hoher Fahrpreis? In Frankfurt 1,60€ Kurzstrecke, Normalfahrt 2,60€. Als Hartzer fährt man da nur wenn es sein muß, ansonsten gehst zu Fuß oder nimmst das Rad.

    In grauer Vorzeit hat der Fahrschein mal 0,80 DM = 40 Cent gekostet. Kann man sich heut kaum noch vorstellen.

  • Das ist ja herrlich. Wenn mich nicht alles täuscht war Herr Ilmann in der Regierungskommission Bahn als die Weichenstellung zu derer Privatisierung vorgenommen wurde. Die katastrophalen Folgen hiervon sind mir als Berliner (S-Bahn) der nach Potsdam pendelt und (zumindest bis zur Legalisierung der Fernbusse) regelmäßig Langstrecken gefahren ist schmerzlich bewusst. Herr Ilmann; Ziel des ÖPNV ist nicht die Erwirtschaftung von Gewinn sonder die Erbringung einer Mobilitätsdienstleistung, eine staatliche Subventionierung solcher Leistungen ist angebracht und sollte meiner Meinung nach eher ausgebaut werden. Die Effekte der von Ihnen vorgeschlagenen "Heldentaten" haben sich bei der Deutschen Bahn gezeigt, das Sie, als Mittverantwortlicher dieses Desasters, die selben offensichtlich fehlerhaften Patentrezepte erneut durchsetzen wollen grenzt an Dreistigkeit.