Debatte über Geflüchtete: Die Solidarität ist noch da
Vor sieben Jahren ertrank der zweijährige Aylan Kurdi im Mittelmeer. Sein Tod verpflichtet bis heute zu einem solidarischen Umgang mit Geflüchteten.
T ypisch für eine „Sommerdebatte“ ist ihre Kondition: Über Wochen hinweg war sie in diesem Jahr mit dem Thema „Duschen“ befasst. Zur Erinnerung: Wirtschaftsminister Habeck hatte Ende Juni gegenüber dem Spiegel erklärt, er habe seine persönliche Duschzeit wegen der Energieknappheit „noch mal deutlich verkürzt“. Die Reaktionen kamen prompt: Dies sei „Verzichtspropaganda“ empörten sich die einen, andere kommentierten Habecks Bemerkungen süffisant als „Kalt duschen gegen Russland“.
Die Ursache dieser Debatte liegt in der Ukraine: Der Krieg dort hat Millionen in die Flucht getrieben, bereits Tausende im Bombenhagel das Leben gekostet, Familien auseinandergerissen. Dieses massenhafte Schicksal ist die eigentliche Krisenthematik. Aber die Aufmerksamkeit hat sich verschoben, weg von den Kriegsereignissen und Todesnachrichten, weg von der Situation der geflüchteten Ukrainer*innen in Deutschland, hin zu dem, was diese Nation umtreibt.
Das erinnert an den medialen Diskurs 2015/16. Auch damals ging es innerhalb kurzer Zeit nicht mehr um Geflüchtete, sondern um „uns“, „unsere“ Belastungsgrenze, „unsere“ Sicherheit und, ausgelöst durch die Silvesternacht 2015, um „unsere“ Frauen. Man kann diesen Aufmerksamkeitsschwund für Geflüchtete beklagen, wie es jüngst der Soziologe Armin Nassehi getan hat. Man kann aber auch auf das schauen, worüber kaum mehr berichtet wird: Da sind Tausende, damals wie heute, die Geflüchteten zur Seite stehen, sie bei Behördengängen begleiten, sich um die Einschulung der Kinder bemühen, Sprachunterricht erteilen, dolmetschen, eine Wohnung besorgen.
Am 2. September 2015 ist der zweijährige Aylan Kurdi leblos am Strand von Bodrum aufgefunden worden, vermeintlich schlafend, nur mit einem T-Shirt, einem kurzen Höschen und Turnschuhen bekleidet. Die internationale Bestürzung über dieses Bild war nach wenigen Tagen verebbt. Aber seinen Tod erinnern noch heute viele in der Flüchtlingshilfebewegung, ihre Solidarität mit Geflüchteten bleibt lebendig.
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