Debatte Wohnen: Ein Recht auf den Kiez
Für Leute mit bescheidenem Einkommen muss es mehr Mietwohnungsneubau geben. Das wirft heikle Gerechtigkeitsfragen auf.
D as ging schnell: Fast 50.000 Unterschriften haben die Aktivisten des Mieten-Volksentscheids in Berlin gesammelt, die nötige Schwelle für den Start der ersten Stufe eines Volksbegehrens zur besseren Wohnraumversorgung wurde damit überschritten. Das Berliner Mieten-Begehren sieht den Rückkauf von ehemaligen Sozialwohnungen vor, eine Mietersubventionierung für Geringverdiener und den Neubau von bezahlbaren Wohnungen – letzterem Anliegen muss die Politik in den Metropolen mehr Augenmerk widmen.
Denn während vielerorts über Vertreibung, Gentrifizierung und Milieuschutz gesprochen wird und immerhin die Mietpreisbremse kam, ist die Versorgung mit bezahlbarem zusätzlichen Wohnraum in den Metropolen ziemlich ungeklärt. Lediglich 12.000 Wohnungen werden derzeit im sozialen Mietwohnungsbau jährlich gebaut, gleichzeitig fallen in Deutschland aber jährlich 70.000 bis 100.000 dieser Wohnungen aus der Mietpreisbindung heraus, rechnete die IG BAU kürzlich vor.
Einfach nur neu zu bauen ohne zusätzliche Förderung hilft also wenig. Denn Neubaukosten und die Kaufkraft vieler Wohnungssuchender klaffen in den Metropolen weit auseinander. Nach Schätzungen der Wohnungswirtschaft muss ein Neubau, der nicht öffentlich gefördert wird, am Ende für eine Nettokaltmiete von mindestens zehn Euro vermietet werden, damit sich der Bau rechnet.
Das liegt an den gestiegenen Baukosten und an den Grundstückspreisen, die auch durch die Immobilienspekulation in den Metropolen nach oben getrieben werden. Zehn Euro nettokalt, das sind für einen Single mit einer 45-Quadratmeter-Wohnung fast 550 Euro Miete warm. Geringverdiener oder RentnerInnen mit einem Netto von 1.000, 1.200 Euro im Monat können sich das nicht leisten, von Hartz-IV-Empfängern ganz zu schweigen.
Man kann natürlich die Mietshäuser einfach weit draußen vor der Stadt errichten, dort sind die Grundstückspreise niedriger. Aber man weiß aus Studien, dass langes Pendeln unglücklich machen kann. London dient gerne als abschreckendes Beispiel, weil manche Angestellten hier jeden Tag zwei Stunden in die Stadt hinein- und abends wieder hinauspendeln müssen. Kurze Wege sind nötig, auch weil in den Familien heute meist beide Partner arbeiten und die Transportlogistik mit Job, Kita und Wohnung kompliziert geworden ist.
Bund und Länder sind gefordert
Angesichts der vielen Singlehaushalte ist zudem der Wunsch nach einem durchmischten Kiez mit Gastronomie und Einzelhandel keine überflüssige Kiezromantik, sondern eine überschaubare Nachbarschaft kann ein Gefühl von Bindung und Heimat vermitteln. Die Verkäufer von Luxuswohnungen werben gerne mit dem „Szenekiez“ in der Umgebung, dessen Vitalität oftmals Geringverdiener geschaffen haben. Mietpreisgedeckelte Sozialwohnungen müssen auch auf Grundstücken „im Szenekiez“ erhalten bleiben oder neu entstehen können.
Man kann auch billiger bauen. Im „Bündnis für bezahlbares Wohnen“, das bei der Bundesbauministerin angesiedelt ist, grübeln Experten darüber nach, wie man mit Fertigelementen, kleinen Grundrissen mit Wohnküchen, Laubengängen statt großer Hausflure Geld sparen kann. Im sozialen Neubau rückt man schon ab von den früheren Höchstgrenzen, die für einen Alleinstehenden ein Apartment mit 45 Quadratmetern vorsahen. In Berlin entstehen Appartements für Sozialmieter mit 34 Quadratmetern.
Es gibt also schon Neubauprogramme mit Mietpreisdeckelung, aber es sind zu wenig. Und leider verlockt die Förderung mit billigen Darlehen allein viele Investoren nicht, weil sie gegenwärtig ganz normale, billige Bankkredite haben können, mit denen sie sich zu keiner späteren Belegungsbindung verpflichten. Der Deutsche Mieterbund hat also recht, wenn er mehr Hilfe vom Bund für den Wohnungsneubau in den Ländern fordert, mehr direkte Zuschüsse, mehr kostengünstige Abgaben von landeseigenen Grundstücken und bessere steuerliche Abschreibungsmöglichkeiten für den Neubau von Wohnungen mit Belegungsbindung. Doch das kostet. Berlins Senator für Stadtentwicklung, Andreas Geisel (SPD) hat gewarnt, dass für Kitas, Schulen und Behindertenhilfen kein Geld mehr zur Verfügung stünde, würde das milliardenteure Mieten-Volksbegehren umgesetzt, das im Übrigen nur einem kleinen Teil der Bevölkerung in Berlin zugutekäme.
Verteilungsdebatten
Die Warnung Geisels zeigt bereits, dass die Politik das Geld für die Wohnungsbaupolitik gegen andere öffentliche Leistungen ausspielen könnte. Denn die Subventionierung von Mietwohnungen und Mietern trägt von jeher ein großes Verhetzungspotenzial in sich. Schon heute gibt es an Kneipentischen die Diskussion, ob Mieter überhaupt ein Dauerrecht hätten auf ihren Kiez und sich nicht damit abfinden müssten, nach weit draußen ziehen zu müssen, wenn die Mietpreise steigen, weil der Markt nun mal enger wird.
Wer genau soll also wie in den Genuss der Förderungen kommen? Das ist die heikle Frage. In Berlin können derzeit Alleinstehende mit einem monatlichen Nettoeinkommen von bis zu 1.400 Euro eine geförderte Wohnung mit Preisbindung beziehen, in München gilt eine Obergrenze von 1.900 netto. Für Familien gibt es entsprechend höhere Grenzen. Kämen Subventionierungen dieser Gruppen im größeren Stil, könnten die ganz Armen auf der Strecke bleiben. Würden vor allem die Armen gefördert, könnten sich Familien mit Doppelverdienerschaft, hohen Ausgaben für den Nachwuchs und großem Raumbedarf als zu kurz gekommen fühlen, weil sie knapp über den Einkommensgrenzen liegen für den geförderten Wohnungsbau.
Genau das ist der Horror jedes Regionalpolitikers: Verteilungsdebatten, in denen Arme, Angehörige der unteren und oberen Mittelschichten eine Opferkonkurrenz beginnen, als Leistungsempfänger oder als Steuerzahler oder als beides. Die Länderregierungen werden sich dieser Verteilungsfrage im Neubau stellen müssen. Weit draußen auf der grünen Wiese liegt die Lösung jedenfalls nicht.
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