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Debatte Waffenstillstand von MinskDie Macht hinter der Macht

Kommentar von Erhard Stölting

Am Donnerstag vor einer Woche wurde in Minsk ein Waffenstillstand vereinbart. Im Donbass wird dennoch gekämpft, nicht alle setzen auf Frieden.

Pause? Ein Seperatist ist der Nähe von Debalzewe am Dienstag. Bild: dpa

D ie Kampfpause stieß von Anfang an auf Skepsis – sogar bei den Verhandelnden selbst. Unter den eingeschlossenen ukrainischen Soldaten war es unpopulär, den Verkehrsknotenpunkt Debalzewe kampflos aufzugeben, wie unter den separatistischen Belagerern, ihn nicht zu erobern. Hier waren alle, außer der leidenden Zivilbevölkerung, gegen den Waffenstillstand.

Wer in Verhandlungen eintritt, muss davon ausgehen, dass die jeweils andere Seite dem Ergebnis nicht nur zustimmen, sondern es auch umsetzen will. Aber in allen Verhandlungen versucht die eine Seite auch, die andere über den Tisch zu ziehen. Das ist nicht nur im Geschäftsleben so. Wo der Vertragsbruch nicht von Anfang an geplant war, wird er zuweilen als Notbremse eingesetzt. Die Gegner werden dann – oft zu Recht – als abgefeimte Schufte hingestellt.

Gelegentlich ist es aber auch so, dass die eine Seite die eingegangenen Verpflichtungen gar nicht einlösen kann. Aus allen organisatorischen und politischen Kontexten ist das Problem der Durchsetzung von bindenden Entscheidungen doch vertraut. Die Personen mit Herrschaftsanspruch können ihren Willen in den Machtgeflechten, die sie repräsentieren sollen, nur eingeschränkt umsetzen; die oben befehlen, die unten nicken und machen dann irgendetwas anderes.

In dieser Frühphase des ukrainischen Kriegs erschien Putin immer wieder nicht nur als böswilliger Verbrecher, der er wahrscheinlich ist, sondern auch als – im eigenen Lager – allmächtig, was er sicherlich nicht ist. Dass er vom Großmachtstatus Russlands retten will, was sich irgendwie noch retten lässt, ist offenkundig, und dafür lässt er alle möglichen plausiblen und unplausiblen Geschichtsbilder mobilisieren. Ein solch stolzer und freier Umgang mit Geschichte kennzeichnet alle Nationalismen und begeistert ihre Anhänger. Der Putinismus wird dabei von machtvollen Strömungen getragen – nicht zuletzt in der russischen Armee, den Geheimdiensten, der orthodoxen Kirche und den verschiedenen nationalistischen Netzwerken.

Auf russische Lieferungen angewiesen

Der Anschein absoluter Macht, den der Putin’sche Personenkult produziert, bedeutet aber nicht, dass der Halbgott beliebig gegen die Wunschträume seiner politischen Basis agieren kann. Es ist daher nicht recht glaubhaft, dass Putin eine Einstellung der militärischen Hilfen an die separatistischen Kampftruppen durchsetzen könnte; selbst wenn er es wollte. Die Kommandeure der Aufständischen tanzen ohnehin nicht nach seiner Pfeife, obwohl sie auf russische Lieferungen angewiesen sind.

Auf ukrainischer Seite gibt es andere Restriktionen der präsidialen Handlungsmacht. Poroschenko ist zwar in freien Wahlen zum Präsidenten gewählt worden; die regierende Koalition steht aber keineswegs einig hinter ihm. Ihr rechter Flügel war gegen das Abkommen von Minsk. Die verschiedenen ukrainischen Kampfverbände, die durchaus nicht unter dem Dach der ukrainischen Armee vereinheitlicht worden sind, erstreben überwiegend nicht einen verlustreichen Waffenstillstand, sondern den Sieg.

Nicht nur die separatistische Seite, auch die nationalukrainische würde europäische Friedenspolizisten, die Poroschenko in seiner Verzweiflung herbeiwünscht, nicht ernst nehmen. Ministerpräsident Jazenjuk, den die amerikanische Regierung ohnehin lieber als ukrainischen Präsidenten gesehen hätte, wartet nur darauf, die Anklage des nationalen Verrats vorbringen zu können, die ansonsten längst zirkuliert.

Selbst die Durchsetzungsfähigkeit der europäischen Verhandlungspartner ist prekär. Das Streben nach einer Deeskalation hat sogar in der EU – sowohl bei Regierungen wie generell in den Medien – gewichtige Gegner. Der Vorwurf der Feigheit findet in den USA Rückhalt nicht nur unter den Republikanern im Kongress, sondern auch insgesamt in der politischen Öffentlichkeit. Die Stunde der tapferen Nationalisten rückt näher.

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5 Kommentare

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  • Schade, dass wir den Pazifismus von Gandhi und Martin Luther King, Jr., offenbar vergessen haben. Denn auch gewaltfreier Widerstand erfordert Tapferkeit, mehr sogar noch als das Zurückschießen. Schläge einzustecken, ohne zurückzuschlagen, kann den Gegner massiv verwirren - WENN es aus einer Position der Stärke heraus geschieht. Es kann den Gegner handlungsunfähig machen, weil er dann in der Öffentlichkeit wirklich als unberechtigter Aggressor dasteht.

     

    Lassen wir uns nicht einreden, dass es zum Krieg keine Alternativen gibt. Meistens gibt es sie. Es ist allerdings oft schwer, sie zu finden. Einen schon seit vielen Jahren laufenden Krieg mit all seinen Verlusten zu beenden, ist jedenfalls oft noch schwieriger, als Konflikte frühzeitig zu lösen.

  • 0G
    0564 (Profil gelöscht)

    Sorry, dass ich nicht wirklich auf den Artikel eingehen, habe nur ein kleine Anmerkung. Putin die Zuschreibung anzukleben er sei eventuell ein "böswilliger Verbrecher" ist mal wieder nichts anderes als Feinbildpropagandaproduktion und null zeugt nicht gerade von politikanalyse Interesse. Damit für Stimmung gemacht, wie wenn ich verkünde unser allseits beliebter Bundespräsident sei eventuell ein durch die Zeit gereister verrückter Schachtürke aus dem 18. Jh.. Schachtürke und Zeitreise läßt sich relativ leicht als unwahr entlarven, aber verrückt, tja, bei der Zuschreibung kommen wir dann nie übereins, wird zur Frage der Sympathie.

  • Zutreffende Beschreibung der Situation: beiden Seiten ist nicht zu trauen. Man kann die Überschrift auch wörtlicher nehmen, als der Autor es tut, und kurz und bündig feststellen: Hinter den Konfliktparteien stehen die eigentlichen Mächte. Hinter Kiew die USA, hinter den Separatisten Rußland. Beide betreiben Geopolitik auf Kosten der Ukrainer und der Europäer. Allerdings frage ich mich die ganze Zeit, wofür eigentlich Menschen auf beiden Seiten bereit sind, sich totschießen zu lassen bzw. zu Mördern zu werden. Wofür? Dafür, daß irgendwelche Gebiete nun zu der einen, oder der anderen geopolitischen Machtsphäre der jeweiligen Verbrecher gehören? In einer Machtkonstellation, welche die Ukrainer allein ohnehin nicht ändern können? Ist dieser lächerliche Unterschied wirklich das Blutvergießen wert? Warum lassen sie sich gegeneinander hetzen? Warum ist es nicht möglich, in einer Volksabstimmung die Ostukraine entscheiden zu lassen? Was wäre denn - gegenüber der jetzigen, für die Zivilbevölkerung mörderischen Situation - so schlimm daran, wenn die Ostukraine sich abspaltete, autonom würde und dann zur russischen Machtsphäre gehörte? - Der Maidan begann mit friedlichem Protest gegen einen zwar demokratisch gewählten, aber korrupten Präsidenten und war damit legitim.Von dem Zeitpunkt an, als die Demonstranten sich bewaffneten, verloren sie ihre Legitimität. Diejenigen, die auf gewaltfreien Widerstand gesetzt hatten, lieferten sich verbrecherischen Gruppen wie dem Rechten Sektor aus oder entbehrten der Kraft, sich ihnen zu widersetzen. Das war der Anfang der jetzigen Tragödie.

  • "Das Streben nach einer Deeskalation hat sogar in der EU – sowohl bei Regierungen wie generell in den Medien – gewichtige Gegner." Wie wahr! Erschreckend ist dabei die Irrationalität der westlichen Kriegstreiber: Glaubt jemand ernsthaft, einen Krieg gegen Russland in der Ukraine entscheidend gewinnen zu können? Russland würde im Fall einer drohenden Niederlage kaum zögern, auch taktische Atomwaffen gegen westliche Panzerverbände einzusetzen. Die heutige russische Militärdoktrin sieht explizit - wie früher die NATO, als sie sich noch konventionell unterlegen fühlte - einen Ersteinsatz im Notfall vor. Und selbst wenn man Russland besiegen würde, ohne dass es zu einem die Gattung vernichtenden strategischen Atomkrieg kommt - was wäre wohl nach einem solchen Krieg NATO-SU noch von Mitteleuropa übrig?

    Merkel hat, nachdem sie zuerst den Konflikt wesentlich eskalierte, indem sie den paramilitärischen Putsch gegen eine demokratisch gewählte russlandfreundliche Regierung in Kiew unterstützte, spät (aber vielleicht noch nicht zu spät) verstanden, was für uns alle auf dem Spiel steht - und die Grenzen westlicher Macht in München sehr klar benannt. Leider haben viele Politiker und Kommentatoren das alles noch nicht verstanden - selbst jemand wie Ischinger war im Interview dumm genug, Russland mit Serbien und die Ukrainekrise mit den Jugoslawienkriegen zu vergleichen. Aus solchen Fehleinschätzungen entstehen "schlafwandlerisch" Weltkriege ...

    • @HELMUT FALLSCHESSEL:

      Da hängt viel zusammen. Die Ukraine ist nur eine westliche Spielwiese von vielen.Es gibt gute Quellen wie Frau Leukefeld die seit Jahrzehnten vor Ort recherchiert, Menschen und Länder kennt. Das will den Maistream aber nicht interessieren.

      http://leukefeld.net/?cat=6