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Debatte VorratsdatenspeicherungAbwarten bis zum Erfolg

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Die EU-Richtlinie ist vom Tisch. Nun kommt es darauf an, die Gunst der Stunde zu nutzen – also erstmal auf die europäische Debatte zu warten.

Abwarten – und unentdeckt bleiben Bild: dpa

H erzlichen Glückwunsch, Frau Leutheusser-Schnarrenberger! Ihre Unbeugsamkeit hat sich zumindest vorläufig gelohnt. Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, die Sie nicht umsetzen wollten, ist nun vom Tisch. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sie am Dienstag für ungültig erklärt, weil sie unverhältnismäßig in die Grundrechte der Bürger eingreift.

Damit war lange nicht zu rechnen. Es ist deshalb ein großer Moment für Europa, für die europäischen Grundrechte und für den Europäischen Gerichtshof. Europa präsentiert sich hier – gerade im Vorfeld der Europawahl – als Europa der Bürger, mit funktionierenden checks and balances.

Aber wie geht es nun weiter? Der juristische Erfolg ist leider nur eine Momentaufnahme. Der EuGH hat die Idee einer Vorratsspeicherung aller Telefon- und Internetverbindungsdaten nicht völlig verworfen (ganz ähnlich übrigens das Bundesverfassungsgericht 2010).

Die EU-Mitgliedstaaten könnten also durchaus eine neue, etwas abgemilderte EU-Richtlinie beschließen, die Deutschland dann würde umsetzen müssen. Oder der Bundestag wartete nicht einmal hierauf, sondern beschlösse seine eigene Vorratsdatenspeicherung, so wie es die Union jetzt auch vehement fordert.

Das Prinzip generell ablehnen

Die politische Debatte ist nun immerhin wieder offen. Niemand kann sich mehr hinter der EU verstecken. Jetzt müssen die Kritiker klarmachen, dass es nicht um ein paar kleinere Korrekturen geht, sondern das Prinzip der Vorratsdatenspeicherung generell abzulehnen ist. Die anlasslose Speicherung der Verbindungsdaten von 80 Millionen Bundesbürgern ist nichts weniger als die Perversion einer rechtsstaatlichen Kriminalpolitik. Sie registriert vorsorglich das Kommunikationsverhalten von allen, damit man später einmal die Straftaten von einigen wenigen mutmaßlich besser aufklären kann.

taz am wochenende

Kann die EU ein Zuhause sein? Ja, finden Silvia Koch-Mehrin und Ursula von der Leyen. Für wen Brüssel ein Sehnsuchtsort ist und wie junge Griechen in einer verslumten Gasse ihre Zuversicht wiederfinden, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 12./13. April 2014. Außerdem: Die letzte Fotoreportage von Anja Niedringhaus. Sie wurde bei ihrer Arbeit in Afghanistan erschossen. Und: Warum viele Palästinenser bei einem Filmprojekt über Jerusalem nicht mitmachen. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Und das Speichern der Telekommunikationsdaten wäre nur der Anfang, also ein Präzedenzfall. Auf EU-Ebene ist schon eine mehrjährige Speicherung von Fluggastdaten geplant. Und der damalige EU-Kommissar Franco Frattini eklärte 2008: „In der nächsten Stufe müssen wir uns um die Züge kümmern.“ Der NSA-Skandal zeigt: Was möglich ist, wird gemacht, wenn wir nicht Einhalt gebieten.

Die politischen Rahmenbedingungen sind leider nicht günstig. Die Gegner der Vorratsdatenspeicherung sitzen in der Opposition (Grüne, Linke) oder haben den Sprung ins Parlament verpasst (FDP, Piraten). Dagegen haben Parteien, die mehr oder weniger für die Vorratsdatenspeicherung sind (CDU/CSU, SPD) eine 80-Prozent-Mehrheit im Bundestag.

Selbst Voßhoff hat keine Eile

Ein Minimalziel sollte es sein, die europäische Debatte abzuwarten und nicht mit schlechtem deutschem Beispiel voranzupreschen. Selbst die neue Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff (CDU), eine Befürworterin der Vorratsspeicherung, plädiert hierfür. Und auch für skeptische Sozialdemokraten könnte das ein taktischer Kompromiss mit der Union sein.

Strategisch ist es durchaus sinnvoll. Vielleicht kommt gar keine neue Richtlinie zustande. Vielleicht sitzt in der nächsten Bundesregierung wieder eine Partei, die die Vorratsdatenspeicherung generell ablehnt und sie blockieren kann.

Und falls das Spiel auf Zeit nicht gelingt, muss zumindest differenziert werden. Die ganz große Mehrheit der erfolglosen Polizeianfragen bezieht sich auf die „Übersetzung“ von IP-Adressen in reale Namen. Laut Bundesverfassungsgericht ist dies zugleich der mildeste Eingriff in Grundrechte im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung. Schließlich geht es hier nur um Momentaufnahmen, nicht um persönliche Netzwerke und Bewegungsbilder.

Im Gegenzug könnte auf die deutlich heiklere Vorratsspeicherung der Telefon-, E-Mail- und Mobilfunkdaten verzichtet werden. Das übrigens hatte 2011 auch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vorgeschlagen.

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Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
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