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Debatte Ursprung von ExtremismusDie korrupten Eliten sind schuld

Kommentar von Sarah Chayes

Terror blüht dort, wo die Mächtigen täglich die Bevölkerung bestehlen. Der Westen will das partout nicht wahrhaben.

Mutmaßliche Dschihadisten hinter Gittern, Sanaa, Jemen. Bild: dpa

W arum hat sich der halbe Irak für die Milizen des Islamischen Staats geöffnet, also für eine Gruppierung, die als eine der psychotischsten überhaupt gilt? Wie konnte Boko Haram in Nordnigeria dauerhaft Fuß fassen? Warum werden die al-Qaida-Führer im Jemen trotz der regelmäßigen Drohnenangriffe einfach nicht weniger? Haben diese so unterschiedlichen Länder etwa etwas gemeinsam?

Allerdings: Sie alle haben eine endemisch korrupte Elite.

Wir reden hier nicht von einem Maß an Bestechlichkeit, die sich überall auf der Welt findet. Die Bevölkerung in Irak, Nigeria oder Jemen – sowie auch in der Ukraine und einem halben Dutzend weiterer arabischer Staaten – sind einer Korruption ausgesetzt, die keine Entsprechung in westlichen Ländern hat.

Bei dieser Form der Korruption handelt es sich nicht um das leise Anzapfen von öffentlichen Geldern. Diese Korruption bestiehlt die Menschen direkt – und jeden Tag. Wenn die Polizei einen Bus betritt, müssen die Mitfahrenden bar bezahlen oder sie riskieren, aus dem Fahrzeug gezerrt und zusammengeschlagen zu werden. Müssen sie ihr Kind ins Krankenhaus bringen, sind sie gezwungen, dafür zu bezahlen, um auch nur beachtet zu werden.

Erst kürzlich sprach ich mit einem Journalisten aus Usbekistan, der darüber nachdachte, sein Auto zu verkaufen, damit er den Weg zum College für seinen Sohn freikaufen könnte – obwohl dieser die Einstellungsprüfung mit Bestnoten bestanden hatte. Ein Bekannter von mir aus Afghanistan musste unlängst Schmiergelder für die Todesurkunde seines Vaters bezahlen. Dieser war von einer Drohne getötet worden.

Wenn der Peiniger die Regierung ist

Die Empfänger jener Bestechungsgelder stehen am unteren Ende der gesellschaftlichen Hierarchie und müssen bei ihrem Weg nach oben einen Gutteil ihrer Beute mit anderen „teilen“. Die ihnen übergeordneten Regierungen aber sind am treffendsten nicht als solche, sondern als hoch effiziente kriminelle Organisationen beschrieben.

Wenn Menschen Tag für Tag so ausgequetscht, erniedrigt und missbraucht werden und ihre Peiniger auch noch Mitglieder der Regierung sind – also just der Institution angehören, die Gesetze einhalten und nicht brechen sollte – dann werden sie irgendwann wütend. Und wütende Menschen, insbesondere wütende junge Männer, die man in ihrem Stolz verletzt und ihrer Zukunftsperspektiven beraubt, greifen manchmal auch zur Gewalt.

Extremistische Bewegungen bieten solchen Männern – und mittlerweile auch zunehmend Frauen – zwei Dinge an. Erstens: Sie offerieren eine Erklärung. Die Expertin für Zentralasien, Marlene Laruelle, verwies mich darauf: „Islamisten argumentieren, dass die Regierung korrupt und ungerecht handelt, weil sie säkular ist.“ Früher haben solche Überlegungen nicht weiter verfangen, inzwischen tun sie es.

Dschihadisten, anders formuliert, spielen ein doppeltes Spiel mit dem Begriff der Korruption. Sie propagieren, dass die Regierungsvertreter so korrupt sind, weil sie sich einer rigorosen Auslegung religiöser Verpflichtungen entzogen haben. Für sie lässt sich das öffentliche Leben entsprechend nur durch die Anwendung eines strikten Codes reformieren, der nicht weniger als die private Moral regelt. Per Zwang oder – wenn nötig – auch Gewalt.

Die Quellen reduzieren

Das Zweite, was die Dschihadisten den Opfern von grenzenlos korrupten Regierungen anbieten, ist ein Ventil für ihre Wut. Sie geben ihnen eine Waffe und darüber hinaus die Möglichkeit, ihren Stolz wenigstens in Teilen zurückzugewinnen. Der Preis dafür ist hoch, im Zweifel kann es sie ihr Leben kosten. Doch für viele ist die Frustration so groß, dass ihnen dieser Deal lohnenswert erscheint.

US-Präsident Barack Obama wird nicht müde zu betonen, dass sich „dieser andauernde Krieg ohne eine Strategie, die die Quellen des Extremismus reduziert“, als zerstörerisch erweisen werde. Zu Recht.

Doch de facto konzentriert sich der Großteil der US-amerikanischen Anstrengungen allein auf militärische Lösungen – seien es Drohnen und Luftangriffe im Irak oder die Ausbildung von Kämpfern von sogenannten Frontstaaten. Der für 2016 verabschiedete US-Verteidigungshaushalt stellt 5,8 Milliarden US-Dollar für Aktivitäten allein in Irak und Syrien bereit.

Von den Geheimdiensten übergangen

Keine dieser Ausgaben wurde vorgemerkt für die Kleptokratie-Einheit im US-Justizministerium und für die Handvoll der dort angesiedelten Staatsanwälte und FBI-Investigatoren, die sich gemeinhin der schamlosesten – und bestbezahlten – Kriminellen der Welt annehmen sollen.

Das Thema Korruption und ihre Bekämpfung steht auch nicht im Lehrplan für Leute, die für den auswärtigen Dienst ausgebildet werden. Geheimdienste sammeln und analysieren nicht systematisch über korrupte Netzwerke. Sie fragen nicht, über welche Machtinstrumente diese verfügen, wie die Einkommensströme verlaufen, wo die regierenden Eliten und Netzwerke verwundbar sind und wie ihre Verbindungen zum organisierten Verbrechen oder offenbar legitimierten Geschäftsleuten verlaufen.

Sich mit solchen Regierungen zu verbünden, um den Terrorismus zu bekämpfen – und das tun die USA und ihre westlichen Partner für gewöhnlich – bedeutet, die Situation zu verschlimmern. Denn die Dschihadisten werden in ihrer Annahme bestätigt, dass der Westen von der Korruption profitiert und sie also nicht nur billigt, sondern auch noch unterstützt. Unterm Strich werden mithilfe dieser Strategie einige wenige Terroristen kaltgestellt und gleichzeitig viele neue geschaffen.

Wenn es westlichen Verantwortlichen ernst damit wäre, tatsächlich die Ursachen für Extremismus anzugehen, dann böte die Korruption eine gute – und bemerkenswert ignorierte – Möglichkeit, damit endlich zu beginnen.

Aus dem Englischen übersetzt von Ines Kappert

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20 Kommentare

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  • Das Abschlachten ganzer Dörfer durch Boko Haram bspw. lässt sich dadurch nicht erklären. Auch ähnliche Aktionen der IS nicht.

  • Sicherlich wird hier ein wichtiger Zusammenhang aufgezeigt und ist deswegen empfehlenswert, aber er kann nur eine Erklärung unter anderen bieten. Erklärungen haben dies naturgemäß an sich. Bei den konkreten Lösungen wird es allerdings noch schwieriger. Wie schafft man es z.B. in klientelistischen, nach Clans oder Stämmen organisierten Gesellschaften von außen rechtsstaatliche Institutionen, die den Namen verdienen, zu befördern? Indem man jeden Kontakt abbricht? Und haben wir nicht eben gelernt, dass es sinnvoller sein kann, autoritäre, ja sogar brutale Regime wie im Irak, in Syrien, in Libyen zu belassen, ja zu unterstützen, da ihre Auflösung erst recht das Chaos gebiert? Vielleicht sollten wir uns in viel mehr Geduld üben – nach dem Motto: Rom wurde auch nicht an einem Tage erbaut? Ein etwas ratloser Schreiberling. Quelle NDS

  • Terror blüht dort, wo die Mächtigen täglich die Bevölkerung bestehlen. Der Westen will das partout nicht wahrhaben.

     

    Richtig. Es beginnt mit der Diskriminierung der Bevölkerung (also Kapitalismus in seiner äußersten Form).

     

    Dann entfaltet es sich in der Gewalt gegen Kinder und Frauen. Hier kann man die diesjährige Friedensnobelpreisträgerin, Malala Yousafzai, als Beispiel benennen. Die wurde durch Schüsse aus nächster Nähe im Schulbus fast ermordet. Ein kleines Mädchen, das sich für die Rechte der Kinder in Pakistan eingesetzt hat.

     

    Die Äußerste extremistische Form ist dann T. bzw. Massenvernichtung von unschuldigen Menschen weltweit.

     

    Man muss den Extremissmus an den Wurzeln packen und früh behandeln, damit es sich nicht entfaltet und nicht ausbreitet.

  • Wir haben auch "korrupte Eliten".

     

    KOmpradorenbourgeoisie heiossen die damit vebundenen im Südennach denn sehr US nahen südamerikaerfahrungen, due sich jederzeit beim Sozialgipgfel

    vergegebwärtigt werdeb kännen. Due sind da vol christlich - was so gut wie nichts änderte am deb worklichen Problemen.

    TUPAMSAROS"!! gab's schon!!

     

    Gerder unte den heiisten Sionne gerrsacht dre größe "Wiedrholungszwang" scheint ES

  • ...."Und wütende Menschen, insbesondere wütende junge Männer, die man in ihrem Stolz verletzt und ihrer Zukunftsperspektiven beraubt, greifen manchmal auch zur Gewalt. "...sie werden dann alzu leicht als terroristen verschrien, ohne auf die wahren beweggründe dieser menschen einzugehen. die fehlende gerechte umverteilung von einkommen und vermögen durch das jeweilige kapitalistische system und die damit fehlenden chancen für eine entsprechende entwicklung immer größerer bevölkerungsschichten. das tot und kaputtschlagen derjenigen, die aufbegehren ist der falsche weg.

  • Ist ja auch kein Wunder, denn wenn ihnen Unrecht geschieht, kennen die meisten Leute keine andere Reaktion als Moral, Moral, Moral; Empörung, Empörung, Empörung.

    Und davon, und überhaupt von Wahnvorstellungen über Reinheit und Rechtschaffenheit, haben die Terroristen eben ganz viel.

    Damit löst man zwar praktisch kein einziges Problem; aber es klingt so schön und wenn Waffenstärke hinzutritt - Stärke ist doch gut, oder?

  • Wenn es um Ursachen von Terrorismus geht, sollte man unbedingt auch Jürgen Todenhöfer googeln. Er sagt sinngemäß, jede Bombe, die geworfen wird, jede Drohne, produziert hunderte von Terroristen. Das heißt, die Kriege, die gegen den Terrorismus geführt werden, bewirken das Gegenteil dessen, was sie angeblich sollen. Todenhöfer vergleicht das mit einem Mann, der mit einem Knüppel auf ein Wespennest losgeht, um die ste-chenden Biester zu bekämpfen. Das bedeutet, dass es im Wesentlichen die Supermacht ist, die überall in der Welt eingreift, Länder destabilisiert, Unruhen schürt und "regime changes" arrangiert ("Fuck the EU"), die Ter-rorismus zu verantworten hat.

    Interessanterweise scheint es auch einen Zusammenhang zwischen Rohstoffen (z.B. Erdöl) und Terrorismus zu geben: Wo immer die Supermacht Terroristen bekämpft, gibt es auch Öl oder pipelines.

    • @Bernhard Meyer:

      Sie meinen gegen Boko Haram und IS sollte die internationale Staatengemeinschaft keine Unterstützung leisten, weil das Boko Haram und IS nur stärken würde?

  • Eine erschütternde aber sehr gute Analyse...

  • Die Erklärung greift zu kurz. Sie sagt nichts über die wohlhabenden Mittelstandsjungs aus Saudi Arabien, die am 9/11 Flugzeuge ins World Trade Center geflogen haben.

    • @Nase Weis:

      9/11 ist ein völlig anderes Kapitel.

    • @Nase Weis:

      Wenn diese 9/11 - Attentäter überhaupt was zu tun haben mit dem islamistischen Terror der jetzt - vor allem in arabischen Ländern - tobt.

       

      Ihr Kommentar zeugt allerdings von einer ganz typischen Ignoranz: Als "Terror" wird vor allem wahr genommen, was sich gegen westliche Staaten richtet, deren Bürger bedroht. Der Terror des IS oder von Boko Haram richtet sich aber auch (vor allem!) gegen Muslime, Landsleute - und hat in diesen Ländern schon weit mehr Opfer gefordert als im Westen.

       

      Ja doch, was die beiden wohl gemeinsam haben: Junge, aufstrebende Menschen, die der westlichen Dominanz mit Gewalt etwas entgegensetzen wollen ...

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "If you want Peace, work for Justice"

     

    Paul VI

    • @10236 (Profil gelöscht):

      "Als Paul IV. am 18. August 1559 starb, feierte dies das römische Volk wie ein Volksfest. Der Palast der Inquisition wurde eingeäschert, die Gefangenen befreit, die Marmorstatue des Papstes auf dem Kapitol zerstört. Den mit der Tiara geschmückten Kopf wälzten übermütige Knaben durch die Straßen und warfen ihn in den Tiber"

      Sonntagsblatt, Evangelische Wochenzeitung für Bayern, 16.8.2009, Nr. 33

      • @fornax [alias flex/alias flux]:

        Vier ist ungleich sechs...

  • Guter Beitrag.

    Aber ist es für den Westen überhaupt erstrebenswert, die Bildung von guten, verantwortungsbewussten Regierungen zu fördern, die sich ihrem Land und ihrer Bevölkerung verpflichtet fühlen?

    Diese Regierungen könnten ja den Westen und seine Politik durchaus ablehnen.

    Was nur zu verständlich wäre. S.Iran.