Debatte US-Luftangriffe in Syrien: Hau drauf und dann?
Die Strategie der Luftschläge bleibt zweifelhaft. Sie werden die Verhältnisse nicht grundlegend ändern und stützen sich auf zweifelhafte Verbündete.
E s ist ein ungeschriebenes Gesetz: Bei jeder militärischen Planung muss nach dem strategischen Ziel einer militärischen Aktion gefragt werden. Bei den Luftschlägen in Syrien ist dieses Ziel nicht definiert.
Welches Ziel haben die Luftangriffe in Syrien? IS soll bekämpft werden. Doch schlimmstenfalls könnte sich der IS auf eine Guerillataktik verlegen, womit er noch schwerer zu bekämpfen wäre. Rein militärisch ist dem IS nicht beizukommen. Soll also erreicht werden, dass weniger Flüchtlinge über die Grenzen kommen? Ein zweifelhafter Versuch. Denn die Menschen fliehen nicht nur vor den Dschihadisten des IS, sondern auch vor den Luftangriffen.
Will man dafür sorgen, dass keinen weiteren westlichen Journalisten und Mitarbeitern von Hilfsorganisationen vor laufenden Kameras der Kopf abgeschnitten wird? Wahrscheinlicher ist das Gegenteil: Die Brutalität wird zunehmen. Soll verhindert werden, dass die internationalen Dschihad-Touristen nach Syrien reisen und später in ihren Heimatländern Unheil anrichten? Das lässt sich aus der Luft schwer verhindern. Stattdessen dürften die Dschihad-Touristen durch die Angriffe weiter radikalisiert werden und die Gefahr von Anschlägen steigen. Will man den Menschen in der Region helfen? Da muss man sich die Frage gefallen lassen, warum man den Krieg in Syrien jahrelang einfach hat laufen lassen.
Luftschläge können nur Teil einer größeren militärischen Strategie sein, die am Ende auch Bodentruppen beinhaltet. Da im Moment kein Land der Welt bereit ist, Truppen in den syrischen Sumpf zu schicken, wird verzweifelt nach „moderaten“ syrischen Rebellen gesucht, die man bewaffnen kann. Nachdem man vier Jahre lang Mord und Totschlag in Syrien zugelassen hat, ist dort naturgemäß nicht viel Moderates übriggeblieben.
Kinder und Karriere lassen sich einfach nicht vereinbaren, klagen zusehends mehr Mittelschichtseltern. Und es geht doch. Alles eine Frage der Verhandlung. Den Beweis finden Sie in der taz.am wochenende vom 27./28. September 2014. Außerdem: Wir könnten alle in Grand Hotels leben, wirklich. Ein Visionär rechnet das vor. Und: Warum das zweite Album von Kraftklub doch nicht scheiße ist. Ein Gespräch. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Die Rebellen sind zersplittert und fast allesamt ideologisch islamisiert. Denn ohne Hilfe von außen blieb den meisten nur der Glaube und die Motivation, als Märtyrer im Paradies zu enden. Das Leben unter dem täglichen Bombardement des Assad-Regimes hat dazu geführt, dass ein Teil der verbliebenen Syrer den IS als Erlöser ansieht.
Nach den Ursachen fragen
Jeder Versuch, den IS zu bekämpfen, wird scheitern, wenn man sich nicht damit beschäftigt, wie diese Terrorgruppe entstanden ist. Und da landet man schnell beim Assad-Regime und der großen Gefahr, dass man dem Diktator ein nächstes Geschenk macht, indem man einen Teil der Opposition gegen ihn wegbombt.
Man muss in Syrien nicht nur effektive Rebellen-Bodentruppen gegen den IS aufbauen, sondern auch eine vernünftige politische Alternative zu Assad. Denn die Syrer, die am Regime festhalten, tun das meist aus Angst vor dem, was danach passieren könnte.
Und wo wir schon bei den Ursachen für die Entstehung des IS sind: Sicherlich macht es Sinn, die arabischen Staaten militärisch einzubinden. Und mit dem Einsatz jordanischer, saudischer und emiratischer Luftwaffen beugt Obama dem Vorwurf vor, dass es sich wieder um einen Kreuzzug des Westens handele.
Das Problem dabei ist, dass er auch den Bock zum Gärtner macht. Denn die undemokratischen arabischen Regime, gerade die Golfstaaten mit ihrem erzreaktionären Islamverständnis, haben einen guten Teil an der Entstehung des IS beigetragen. Insofern sind sie weniger Teil einer kurzfristigen militärischen Lösung als vielmehr langfristig ein Teil des Problems.
Hier kämpft der Westen mit den altbekannten Mitteln militärischer Macht, mit denen er es bislang noch nie geschafft hat, die Kräfteverhältnisse in seinem Sinne zu verändern, gemeinsam mit überkommenen undemokratischen arabischen Königen und Emiren gegen reaktionäre Dschihadisten, die das Rad der Geschichte mit aller Macht bis in die Zeiten des Propheten Mohammed zurückdrehen wollen. Irgendwie stinkt das Ganze vom Kopf her. Wie ein alter, vergammelter Fisch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr