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Debatte StudiengebührenKeine Untoten wecken!

Ralf Pauli
Kommentar von Ralf Pauli

Studiengebühren galten als erledigt. Viele Unis wollen sie nun aber wiederbeleben – weil Bund und Länder falsche Akzente setzen.

Studierende aus Nicht-EU-Staaten sollen demnächst Studiengebühren bezahlen Foto: dpa

D er Grünen-Vorstoß aus Baden-Württemberg erinnert an die Dobrindt-Maut: Nicht-EU-Ausländer, das könnte die grün-schwarze Landesregierung kommende Woche beschließen, müssen künftig 1.500 Euro Semestergebühren zahlen. So wie Autofahrer mit nichtdeutscher Kennung plötzlich die Sanierungskosten für heimische Autobahnen tragen sollten, sollen jetzt nichtdeutsche Studierende die selbst auferlegten Sparvorgaben im Südwesten ausbaden.

48 Millionen muss das Wissenschaftsministerium 2017 mehr einnehmen. Misslingt das, kriegen die Unis weniger Geld für aktuelle Forschungs- oder Kunstprojekte überwiesen.

Kein Wunder, dass die „Campus-Maut“ unter diesen Vorzeichen bei den Rektorinnen und Rektoren auf Zustimmung stößt. Besser Chinesen oder Amis zahlen lassen, als weniger Geld für die eigene – heute so wichtige – Profilbildung ausgeben zu können. Zumal die Studierendenzahlen steigen und steigen.

Die „Gebühren für einige wenige“-Überlegung ist nachvollziehbar, aber grundfalsch. Und zwar nicht nur aus Gründen der Ungleichbehandlung – denn warum sollte eine Chilenin für einen Ingenieurs-Master Tausende Euro blechen und ein Franzose nicht? Oder weil man damit junge Menschen möglicherweise abschreckt, fürs Studium nach Deutschland zu kommen.

Zweiter Anlauf

Der Vorstoß aus Stuttgart ist auch deshalb grundfalsch, weil er eine Selbstverständlichkeit infrage stellt – und verheerend für die Chancengleichheit im Land sein könnte. Der Staat investiert aus Steuereinnahmen ausreichend in die öffentliche Bildung. Idealerweise. Wer Studiengebühren als notwendige Kofinanzierung betrachtet, entlässt den Staat aus dieser Pflicht. Doch genau das Szenario zeichnet sich derzeit ab.

Die Befürworter der Studiengebühren jedenfalls freuen sich, dass die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (ausgerechnet eine Grüne!) mit ihrem Vorstoß der totgeglaubten Debatte neues Leben einhaucht. Zehn Jahre nachdem sieben Bundesländer allgemeine Studiengebühren eingeführt – und zwei Jahre nachdem das letzte Bundesland (Niedersachsen) sie wieder abgeschafft hat – hört man nun: Die Zeit ist reif für einen zweiten Anlauf.

Die Modelle dafür liegen schon längst in der Schublade. Politiker, Wissenschaftler und selbst Bildungsjournalisten verkaufen sie nun mutig als „sozialverträglich“. Denn nicht Studiengebühren an sich seien das Problem gewesen, sondern nur, wie sie gestaltet waren. Derart äußerten sich in diesem Jahr Wissenschaftsschwergewichte wie der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, Exwissenschaftsratschef Wolfgang Marquardt oder Exwissenschaftssenator von Berlin, Jürgen Zöllner (SPD). Und auch Wirtschaftsverbände, Unionspolitiker und Uni-Rektoren sprechen sich wieder offen für allgemeine Studiengebühren aus.

Nachgelagerte Finanzierung

Ihr Lieblingsmodell: die sogenannte nachgelagerte Finanzierung, die in Australien seit bald 30 Jahren funktioniert. Studierende häufen während des Studiums Schulden an und müssen sie zu erst dann zurückzahlen, wenn sie ein bestimmtes Jahresgehalt erreichen. Die Regierung streckt das Geld vor, so sind die Unis flüssig – und die Studis zunächst sorgenfrei. Fair an dem Modell soll auch sein, dass das Studium je nach späterer Gehaltserwartung unterschiedlich teuer ist. Medizinstudenten zahlen mehr als Informatiker. Informatiker mehr als Historiker. Alright!

Nur: Kann sich jemand ernsthaft vorstellen, dass dieses Modell in Deutschland zu mehr Chancengleichheit führt? Wo bleibt das Ziel, mehr Studierende aus einkommensschwachen oder Nichtakademiker-Familien an die Hochschule zu bringen? Geschweige denn, sie zum (dann besonders teuren) Medizin- oder Jurastudium zu bewegen? Als ob die Hürden in unserem Bildungssystem für sie nicht schon hoch genug wären! Studiengebühren, auch australisch inspirierte, hätten verheerende Folgen für die Bildungsgerechtigkeit.

Wo bleibt das Ziel, Studierende aus einkommensschwachen Familien an die Unis zu bringen?

Eine Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) belegt anhand der bisherigen Erfahrungen, dass vor allem Frauen und Nichtakademiker-Kinder bei Gebühren auf das Studium verzichten. Und von einer aktuellen Langzeitstudie aus Berlin wissen wir, dass Abiturienten aus bildungsfernen Elternhäuser selbst ohne Studiengebühren stärker vor einen Studium zurückschrecken als Akademikerkinder.

Ein häufig genannter Grund dafür: Angst, sich das Studium nicht leisten zu können; Unsicherheit, ob sich die Investition später auszahlt. Wer solche Bedenken hat, will sicher nicht verschuldet ins Berufsleben starten. Den wird man noch schwerer überzeugen können, es doch zu wagen. Deshalb: Weckt keine Untoten!

Unterfinanzierung

Doch schon heute sind Studiengebühren wieder eine süße Einnahmequelle: In Rheinland-Pfalz, dem Saarland oder Sachsen-Anhalt zahlt man für ein Zweitstudium. Auch Baden-Württemberg will dafür künftig 650 Euro pro Semester verlangen. In mehreren Bundesländern werden auch Langzeitstudenten, Berufstätige und Senioren zur Kasse gebeten.

Gebühren für alle lehnen viele Hochschulen und BildungspolitikerInnen – vor allem von der SPD und den Bundes-Grünen – ab. Die Frage ist, wie lange noch. Denn schon jetzt zeigt sich die Schattenseite der notorischen Unterfinanzierung. Weil die Grundfinanzierung durch die Länder nicht im gleichen Maße wie die Hochschulausgaben steigt, hängen Hochschulen immer stärker von Drittmitteln ab. Die bringen aber Probleme mit sich: befristete Arbeitsverträge, potenzielle Einflussnahme privater Geldgeber.

Wenn sich eine Ministerin wie Theresia Bauer nicht gegen Sparzwänge in der Bildung wehren kann oder will – wie soll das erst in vier Jahren werden, wenn die Schuldenbremse gilt? Der Bund ist den Ländern schon zur Hilfe gesprungen. Er übernimmt seit vergangenem Jahr die Bafög-Kosten und schießt wegen der steigenden Studienzahlen jährlich rund 2 Milliarden Euro zu – allerdings ohne vorzuschreiben, wofür. 2020 läuft der „Hochschulpakt“ aus. Spätestens dann müssen die Länder selbst mehr Geld zur Verfügung stellen, um die Untoten, die sie gerade wecken, wieder zu begraben.

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Ralf Pauli
Redakteur Bildung/taz1
Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.
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10 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Was das Hochschulwesen braucht ist eine Debatte darüber ob der Bologna Prozess die besseren Akademiker hervorbringt. Oder ob es nicht gefährlich ist wenn die Ausbildung der Denker zugunsten der wirtschaftlichen Anpassung an den globalen Arbeitsmarkt verdreht wird.

  • Hier fehlen also 0,048 Milliarden für Bildung. Und die Kanzlerin will die Ausgaben für Rüstung gleichzeitig um 20 Milliarden erhöhen.

     

    Ach so.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Früher haben die Tricks auf dem Jahrmarkt aufgeführt und Schlangenöl verkauft, heute machen sie Hochschulpolitik. Die sind auch erst fertig, wenn Bildung mit Survival-Training of the Fittest übersetzt und als Waffe verwendet wird.

    • 3G
      33523 (Profil gelöscht)
      @24636 (Profil gelöscht):

      Schlangenöl hat tatsächlich funktioniert. Es war nur nicht dazu da um das Gift von Schlangen zu neutralisieren, sondern um Entzündungen und Artritis zu lindern. Das hat wohl auch ganz gut funktioniert.

      Die ansässigen Ärzte waren aber von der Konkurenz aus China nicht begeistert und haben sich daran gemacht den Ruf von Schlangenöl zu ruinieren. Das hält bis heute vor,...

       

      Erasmus, U. (1993): Fats That Heal, Fats That Kill. Alive Books, Canada.

  • "Denn warum sollte eine Chilenin für einen Ingenieurs-Master Tausende Euro blechen und ein Franzose nicht?"

     

    - Weil Deutsche das verbriefte Recht haben in Frankreich gleich viel für die Bildung zu zahlen wie Franzosen. Deutsche haben aber nicht das Verbriefte Recht in Chile gleich viel zu zahlen wie chilenen.

  • Studiengebühren schrecken nicht ab. Studien sagen sie entweder keinen oder eher positive Wirkung auf Personen ohne akademischen Hintergrund haben (z.B. WZB 2012 oder DZHW 2014). Da Unis Unis nach wie vor Tummelplatz der Besserverdienerkinder sind, Subventioniert die ärmere Bevölkerung die gute Ausbildung und das höhere Einkommen der oberen Schichten. Gleichzeitig muss für einen Kindergartenplatz, der die Grundlage für den späteren Bildungserfolg legt, viel Geld bezahlt werden.

    Warum soll das sozial gerecht sein?

    • @Horst Horstmann:

      Es gibt eine Lösung für die von Ihnen zurecht beklagte Subventionierung: ein gerechtes Steuersystem, das Ärzte, Anwälte, Apotheker und Ingenieure ihren Beitrag zur Hochschulfinanzierung abfordert.

  • 3G
    33523 (Profil gelöscht)

    Der Staat soll sich um seine Bürger kümmern. Die können umsonst studieren. EU-Ausländer haben die Freiheit in jedem EU-Land zu leben und kommen so auch in den Genuss kostenfreier Bildung. Daran kann man nichts ändern, sonst landet man tatsächlich in der gleichen Misere wie Dobrindt.

    Ausländer zur Kasse zu bitten ist dagegen machbar ohne Ärger mit der EU zu riskieren und 1.500€ im Semester sind für viele Ausländer eher ein Grund als ein Hindernis um in Deutschland zu studieren.

     

    Meine Schwester hat keinen Anspruch auf Bafög und musste für ihr Studium einen Kredit über etwa zehntausend Euro aufnehmen. Das hat sie in der Tat abgeschreckt. Es war eine ziemliche Plackerei ihr einzutrichtern das sie den Betrag ohne Probleme in drei Jahren tilgen kann. Das Problem das ich darin sehe ist aber eher das viele Menschen, nicht nur Frauen, sich mit finanziellen Themen einfach nicht auseinandersetzen und sich dadurch einschränken müssen.

  • "Sparzwänge in der Bildung". Immer wieder interessant zu lesen vor dem Hintergrund der schwarzen Null unseres Finanzministers.

     

    Volle Zustimmung zum Artikel. Um Chancengleichheit geht es wie häufig dann doch nicht.

  • Wir bauen auf und reißen nieder. Dann ha'm wir Arbeit. Immer wieder. (DDR-Handwerkerspruch)