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Debatte Sterbehilfe im BundestagDer Wert der Selbstbestimmung

Gegner und Befürworter der Hilfe bei der Selbsttötung ringen um ein neues Gesetz. Sterbehelfer Roger Kusch kündigt eine Verfassungsbeschwerde an.

Zuhörer waren viele da, als die Abgeordneten debattierten. Foto: dpa

Berlin taz | Wenn es um den Anfang oder das Ende des Lebens geht, geraten die Debatten im Bundestag gemeinhin emotional. Am Donnerstag dagegen blieben Gefühlsausbrüche aus, als in Berlin die Parlamentarier gleich vier Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Suizidhilfe berieten.

Und das lag zum einen daran, dass die Entscheidung darüber, ob die Beihilfe zur Selbsttötung künftig strafbar sein soll in Deutschland, erst im November getroffen werden wird. Dazu kam, dass angesichts sonstiger weltpolitischer Probleme nur rund 150 der mehr als 600 Abgeordneten an der knapp dreistündigen Diskussion um eines der ethisch umstrittensten Gesetzgebungsvorhaben dieser Legislatur teilnahmen.

Derzeit ist es in Deutschland erlaubt, dass Angehörige, Ärzte oder Sterbehelfer aus Vereinen Menschen, die sich selbst das Leben nehmen wollen, dabei helfen – etwa, indem sie ihnen ein todbringendes Medikament überlassen, aber nicht verabreichen. Schätzungen zufolge nehmen rund 500 Menschen jährlich in Deutschland diese Hilfe in Anspruch – bei 10.000 Selbsttötungen insgesamt.

Dennoch waren sich die Abgeordneten fraktionsübergreifend darüber einig, dass es eine – wie auch immer geartete – gesetzliche Neuregelung brauche: „Zusehen ist keine Option mehr“, warnte etwa der CSU-Politiker Michael Frieser. „Wir werden sonst zu einer Gesellschaft, in der Ältere das Gefühl haben, der Tod auf Bestellung sei eine akzeptierte Norm“, prophezeite er.

Die vier fraktionsübergreifenden Gesetzentwürfe reichen von einem kompletten Verbot der Suizidhilfe bis zu einer Erlaubnis für Sterbehilfe-Vereine unter Auflagen.

Bislang zeichnet sich eine Mehrheit für den Antrag um die Parlamentarier Kerstin Griese (SPD), Michael Brand (CDU), Harald Terpe (Grüne) und Kathrin Vogler (Linksfraktion) ab, der ein Verbot der geschäftsmäßigen, organisierten und auf Wiederholung angelegten Sterbehilfe vorsieht.

Sie soll mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. „Die Selbstbestimmung bleibt dabei mitnichten auf der Strecke“, verteidigte der Grünen-Politiker Terpe den Antrag. Wer einmal helfe, werde ja nicht sanktioniert. Es gehe bloß darum, die Ausweitung der Sterbehilfe zu verhindern, beteuerte der CDUler Brand.

Ihm widersprach seine CDU-Fraktionskollegin Katherina Reiche: „Wenn es um die letzten Stunden geht, kann jeder Mensch nur für sich selbst entscheiden, was er als würdevoll empfindet. Da hat der Staat Abstand zu wahren.“ Reiche forderte mit dem SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach und dem CDU-Bundestagsvizepräsidenten Peter Hintze mehr Rechtssicherheit für Ärzte, die ihren todkranken Patienten bei der Selbsttötung assistieren wollen. Für unfreiwillige Komik sorgte der CSU-Politiker Johannes Singhammer mit seiner Bemerkung: „Der Tod ist der größte Feind der Menschheit, und kein Gesetz kann ihn besiegen.“

Unterdessen kündigte Roger Kusch, der Vorsitzende des einzigen Vereins, der derzeit Suizidhilfe in Deutschland anbietet, an, diese im Fall eines gesetzlichen Verbots umgehend einzustellen. Zugleich werde er Verfassungsbeschwerde einlegen.

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5 Kommentare

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  • "Vom Einzelfall zum Massenschicksal bzw. Massenmord (1)"

    Oder : Es gibt Menschen , die sich selber nicht über den Weg trauen , zumindest anderen Deutschen alles zutrauen . Argument : Die Deutschen haben schon mal "Euthanasie" und Holocaust hingekriegt .

    Tja , @ROSALUCHS , ...ob man es wohl überhaupt verantworten kann , die Deutschen frei rumlaufen zu lassen ?

    Zur Erinnerung :

    Selbsttötung ist nach unserem StGB nicht strafbar , ebenfalls die Beihilfe dazu , was auch für Ärzte gilt . Soweit nach den Berufsordnungen verschiedener kassenärztlichen Vereinigungen in D die Beihilfe für Ärzte nicht erlaubt ist , beruht das letztlich auf einer Privatethik Einzelner bzw. einer Berufsgruppe , der zu folgen unser Gesetzgeber bisher keinen Grund sah .

  • Vom Einzelfall zum Massenschicksal bzw. Massenmord (1)

     

    "Mediziner sollen unter Einhaltung strenger Sorgfaltspflichten einem unheilbar Kranken mit begrenzter Lebenserwartung helfen dürfen, sich zu töten", so wird, ganz auf Beschwichtigung und Beruhigung angelegt, für das geplante Selbst-Mord-Gesetz geworben. Hatten wir das nicht schon mal? "Reichsleiter Bouhler und Dr.med. Karl Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, daß nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann." (1933 ff). Was folgte, war der Massenmord an Patienten ("Aktion T 4").

  • Es ist nicht zu fassen, was vorwiegend Christen im Bundestag planen und bald wohl beschließen. Zum Schutze von Menschen vor Menschen, die helfen, in Würde zu sterben, statt furchtbar zu leiden, will streng man verbieten, was etliche Ärzte sowie ein Verein schon seit längerem machen. Sie geben Patienten drei Medikamente, die diese dann nehmen, um friedlich zu sterben. Es fürchten nun viele, dass viele sich töten, wenn besser bekannt wird, dass dies ganz legal ist. Man fürchtet, es würde in Deutschland normal dann. Das ist übertrieben, wie man an der Schweiz sieht. Politiker sind sehr oft gläubige Menschen und glauben, dass „Gott“ Suizide nicht will. Wo kämen wir hin, wenn oft todkranke Menschen Ihr Leiden verkürzten durch Sterbevereine? Wer einmal aus Mitleid geholfen, bleibt straflos. Doch wehe dem Arzt, der zu oft jemand beisteht. Beim zweiten, beim dritten Patienten riskiert er Gefängnis und Löschung der Approbation. Vereine: verboten, man muss in die Schweiz fahr´n, was viele nicht können, was mancher nicht tun will. Es bleibt noch das Bahngleis, der Strick und das Hochhaus. Und Traumata bleiben bei denen, die´s sehen. Und manch Lebensmüder nimmt Menschen noch mit sich. Und mancher tut´s früher, als eigentlich nötig. Es ist nicht ganz einfach, sich selber zu töten. Von Zehn, die´s versuchen, gelingt es nur Einem. Wer´s nicht tut riskiert, ganz erbärmlich zu enden: Gepampert, gefüttert, ernährt dann per Sonde, entrechtet, entmündigt, der Blick geht zur Decke. Das Pflegeheim müht sich, doch fehlt es an Stellen bei so viel Bewohnern und so wenig Pflegern, bei so vielen Rentnern in kommenden Jahren.

  • Aus : Katechismus der katholischen Kirche ,2280:

    "Jeder ist vor Gott für sein Leben verantwortlich. Gott hat es ihm geschenkt. Gott ist und bleibt der höchste Herr des Lebens. Wir sind verpflichtet, es dankbar entgegenzunehmen und es zu seiner Ehre und zum Heil unserer Seele zu bewahren. Wir sind nur Verwalter, nicht Eigentümer des Lebens, das Gott uns anvertraut hat. Wir dürfen darüber nicht verfügen. "

    Daraus wird dann im Bundestag auf Gut-Verquast-CSU-Sprech :

    "Wir werden sonst zu einer Gesellschaft, in der Ältere das Gefühl(!) haben, der Tod auf Bestellung(!) sei eine akzeptierte Norm(!) ."

    Nun ja , der gute alte Gott , der Lebenschenker . Der hat offenbar kein Problem damit , z.B. tausende nach einem Leben Suchende unfreiwillig im Mittelmeer ersaufen zu lassen .

  • In der EU ist ja Sterbehilfe schon gang und gäbe.... geschieht jeden Tag.... in Griechenland....http://www.taz.de/Gesundheitsversorgung-in-Griechenland/!5208100/