Debatte Rolle der Väter: Volle Teilhabe an elterlicher Sorge
Kinder sollten von Mutter und Vater gleichermaßen betreut werden. Das hat der Europarat beschlossen. Deutschland ist noch nicht soweit.
D as Abstimmungsergebnis war erstaunlich klar im Europarat. Sozialisten, Konservative, Liberale, alle hoben sie am 2. Oktober vergangenen Jahres die Hand für die Resolution 2079 mit dem etwas sperrigen Titel: „Gleichberechtigte und geteilte elterliche Verantwortung: Die Rolle der Väter“. In seltener Einmütigkeit haben die Ratsmitglieder etwas festgestellt, was zumindest in Deutschland für weitreichende Veränderungen sorgen könnte.
Im Kern verlangt der Beschluss, dass die Mitgliedstaaten des Europarats den Vätern auch nach einer Trennung die volle Teilhabe an der elterlichen Sorge ermöglichen sollen. Dazu soll die sogenannte paritätische Doppelresidenz oder auch das Wechselmodell zum Standardmodell nach einer Trennung werden. In der Praxis bedeutet das: Kinder sollen, wo irgend möglich, zu gleichen Teilen mit Vater und Mutter aufwachsen können.
Kinder, die mit beiden Elternteilen leben, teilen mit ihnen gleichermaßen Alltag, kommen weniger in Loyalitätskonflikte, sind in der Schule besser. Das ist jedenfalls das Ergebnis einer viel zitierten schwedischen Studie aus dem Jahr 2012, in der 17.000 Trennungskinder befragt wurden.
Dennoch: Was für ein revolutionärer Gedanke! Zumindest aus deutscher Sicht. Kinder sollen auch nach der Trennung beide Eltern gleichermaßen behalten dürfen. Nur wenn zwingende Gründe dagegensprechen, soll von diesem Modell abgewichen werden können.
Der Mutter stehen alle Geldleistungen zu
Im deutschen Recht gibt es nur ganz oder gar nicht. Lebt das Kind nach der Trennung überwiegend bei einem Elternteil, wird es – im Streitfall – gerichtlich diesem zugesprochen. In 90 Prozent aller Fälle leben Trennungskinder mit der Mutter. Selbst wenn Väter ihre Kinder an 3 bis 4 Tagen in der Woche bei sich haben, wird das Gericht sie komplett der Mutter zusprechen.
Die Folgen sind für viele Väter gravierend. Selbst wenn sie sich mit der Mutter einigen können und die Kinder 40 Prozent der Zeit betreuen, stehen allein der Mutter alle Geldleistungen zu – vom Unterhalt für die Kinder bis zum Entlastungsbetrag für Alleinerziehende von rund 1900 Euro im Steuerrecht.
Der Vater bekommt den hälftigen Anteil am Kindergeld. Das war es für ihn. Dabei geht es ihm nicht anders als der Mutter: Er braucht für die Kinder eine größere Wohnung, den wichtigsten Kostenfaktor, ein größeres Auto, Geld für Klamotten, Essen, Urlaub und so fort. Auf der anderen Seite verzichten Väter auf Einkommen, wenn sie ihre Arbeitszeit für die Kinder reduzieren. So wie auch viele Mütter, die nur Halbtagsjobs annehmen.
Die paritätische Doppelresidenz ist das Beste für die Kinder, aber eben auch doppelt so teuer. Eine Tatsache, die sich im Gesetz nicht widerspiegelt. Und nur ganz selten von Gerichten anerkannt wird. Die Rechtsprechung dazu ist gelinde gesagt chaotisch. Von 18 einschlägigen Urteilen zum Thema Wechselmodell hat es in den vergangenen 15 Jahren nur fünf gegeben, die das Modell unterstützt haben.
Bloß nicht beim Vater wohnen oder gar übernachten
Wie schwer sich die Gerichte tun, hat zuletzt der Bundesgerichtshof in einem Urteil aus dem Jahr 2014 gezeigt. Es hat das Wechselmodell zwar grundsätzlich anerkannt. Allerdings wären dann beide Elternteile gegenseitig zum „Barunterhalt“ verpflichten. Die jeweiligen Unterhaltsansprüche müssten miteinander verrechnet werden. Unterm Strich hilft das keinem Elternteil, die Mehrkosten zu decken.
Außerdem hat das Gericht die Grenzen für das Wechselmodell äußerst eng gesteckt. Zeit und Verantwortung müssten schon ziemlich genau 50 zu 50 aufgeteilt sein. Eine im Alltag kaum einzuhaltende Vorgabe.
Wenn es dem Staat allerdings etwas nützt, dann kennt er plötzlich den miterziehenden Vater. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) reformiert gerade das Sozialgesetzbuch II, also die Ansprüche von Hartz-IV-Empfängern. Müttern soll künftig für jeden Tag, den ihr Kind beim Vater wohnt, bis zu 10,20 Euro vom Hartz-IV-Satz abgezogen werden. Dieser Anspruch soll dann auf den Vater übertragen werden. Das Geld ist aber auch dann weg, wenn der Vater gar keinen Anspruch auf Sozialleistungen hat.
Dieses Gesetz pervertiert geradezu die Forderung des Europarats. Künftig werden sich Mütter, die auf Hartz IV angewiesen sind, mit Händen und Füßen dagegen wehren, dass ihre Kinder beim Vater auch nur übernachten, geschweige denn bei ihnen wohnen. Das gilt selbstredend auch, wenn die Rollen andersherum verteilt sind. So werden Eltern gegeneinander ausgespielt und in den Streit getrieben.
Wäre Sozialpolitik am Kindeswohl orientiert, sie würde alles tun, damit sich Väter und Mütter die Erziehungsarbeit teilen können. Auch wenn das nicht immer 50 zu 50 geht. Schon für Väter, die ihre Kinder nur alle zwei Wochen an Wochenende bei sich haben, sind die Kosten hoch. Auch sie brauchen eine größere Wohnung, als wenn sie allein leben würden.
Ein neues Leitbild muss her
Von erziehenden Vätern aber geht das Gesetz nicht aus. Sondern nur von alleinerziehenden Müttern. Mütter haben die Kinder, Väter zahlen. Das ist die Grundannahme. Vor allem im Unterhaltsrecht. The winner takes it all. Wer die Kinder überwiegend hat, bekommt alles. Das Unterhaltsrecht negiert die Kosten, die der andere Elternteil, meist der Vater, hat.
Ein neues Leitbild muss her, weg vom zahlenden Vater und der betreuenden Mutter. Weg von irreführenden Begriffen wie „Alleinerziehende“ oder gar „Ein-Eltern-Familie“. Beide blenden die Rolle des miterziehenden Elternteils aus. Nach einer Trennung sind beide Elternteile verantwortlich für die Kinder. Sie sind beide im besten Sinne Teil-Erziehende. Die teilerziehende Mutter und der teilerziehende Vater. Wenn Sprache die Welt verändert, hier wäre mal ein Ansatz.
Das Familien- und das Justizministerium prüfen derzeit, ob und wie das Wechselmodell umgesetzt werden könnte. Es wäre gut, wenn bald ein Vorschlag dazu käme. Gut vor allem für das Wohl der Kinder. Das Wechselmodell wird auch in Zukunft nicht in jeder Lebenslage das passende sein. Und nicht alle Kinder wollen ständig zwischen Papa und Mama pendeln. Aber Eltern und Staat sollten sich künftig rechtfertigen müssen, wenn sie es nicht wenigstens versucht haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja