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Debatte Regierungswechsel in MadridSpaniens neue bunte Mehrheit

Reiner Wandler
Kommentar von Reiner Wandler

Die Koalition für den neuen sozialistischen Präsidenten Pedro Sánchez ist so vielfältig wie das Land. Dieses muss sich neu definieren.

Aufbruchstimmung in Spanien Foto: dpa

D as wahre Spanien ist nun an der Macht. Der neue sozialistische Regierungspräsident Pedro Sánchez gewann das Misstrauensvotum gegen den konservativen Mariano Rajoy mit einer deutlichen Mehrheit, bestehend aus einem breiten Sammelsurium politischer Kräfte, von der linksalternativen Podemos über seine Mitte-links-Sozialdemokraten der PSOE bis hin zu linken, ja, selbst konservativen Nationalisten und Separatisten aus dem Baskenland und Katalonien. Sie eint der Wunsch, die korrupten Seilschaften der Konservativen aus den Institutionen zu verbannen.

Die Mehrheit von Sánchez beim Misstrauensvotum ist so bunt und vielfältig wie das Land. Diese Parteien repräsentieren weit mehr Wähler als Rajoys Partido Popular (PP) und die rechtsliberalen Ciudadanos (Cs). Und sie werden dort gewählt, wo PP und Cs kaum Stimmen holen: in der Peripherie. Ihr Spanien ist die Vielfalt. Es ist eine zersplitterte, oft zerstritten Mehrheit, doch wenn sie aus der Not zum Dialog eine Tugend macht, kann Sánchez regieren und wichtige Probleme angehen.

Der Druck ist groß. Denn ihr gegenüber steht das Bündnis aus PP und Cs, das eine harte, unerbittliche Opposition angekündigt hat. Die beiden eint ein Bild von einem Spanien, das nicht Realität widerspiegelt. Ihr Spanien ist „einheitlich und groß“, wie einst das der Franco-Diktatur. Unterschiede in der Kultur, Sprache und, ja, auch der nationalen Identität sind für die beiden rechten Parteien nur lästige Folklore. Die eigenen Sprache der Katalanen, der Basken, der Galicier sind ihnen ein Dorn im Auge. Die letzte Bildungsreform der Konservativen versucht, ihren Einfluss zurückzudrängen.

Vor allem Cs lebt von diesem Konflikt, seit die Partei vergangenen Dezember stärkste Kraft im katalanischen Parlament wurden und auch spanienweit in den Umfragen steigt. Härter noch als die PP wettern sie gegen Sánchez. Er habe das Land an die verkauft, die „Spanien zerstören wollen“.

Justiz statt Politik

Der Politikstil der Rechten ist zutiefst autoritär. In den Jahren des Katalonienkonflikts gab es weder von der PP in Madrid noch von der in Katalonien starken Cs den geringsten Versuch, einen Dialog mit den Befürwortern der Unabhängigkeit zu führen. Statt Politik zu machen, nutzte Rajoy die Justiz. Das Ergebnis: sieben katalanische Exminister und zwei Aktivisten sitzen in Untersuchungshaft. Sieben Politiker, darunter der ehemalige Chef der Regierung, der Generalitat, Carles Puigdemont, haben Spanien verlassen. Allen drohen jahrzehntelange Haftstrafen. Die Separatisten sind nicht die Einzigen, die zu spüren bekamen, dass, wer anders ist, mit dem Schlimmsten rechnen muss. Auch Puppenspieler, Rapper und Twitteraktivisten wurden mithilfe eigens geschaffener Sicherheitsgesetze kriminalisiert.

In den Monaten seit dem umstrittenen Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien am vergangenen 1. Oktober ist es schwierig, außerhalb der Regionen mit eigener Sprache und Kultur eine andere Meinung als die von PP und Cs offen auszusprechen. Nur die linksalternative Podemos tritt unbeirrt für eine Vermittlung ein und muss dafür bei Umfragen Federn lassen. Sánchez und die Sozialisten trauten sich bisher nicht. Sie schauen auf die Umfragen, in denen Cs dank ihrer Konfliktbereitschaft und ihres antiquierten spanischen Nationalismus ständig zulegen. Sánchez gab den Seinen die Anweisung, die Zwangsverwaltung Kataloniens mithilfe des Verfassungsartikels 155 zu unterstützen. Er sprach sich bis heute nie gegen die Inhaftierung der katalanischen Politiker aus.

Unterschiede in der Kultur, der Sprache und der nationalen Identität sind für die rechten Parteien nur lästige Folklore

Jetzt will er, so sein Versprechen, den Dialog suchen. Ihm bleibt nichts anderes übrig, als auf die katalanische Regierung von Quim Torra zuzugehen. Ein erster Schritt könnte sein, die Inhaftierten zumindest in heimatnahe Haftanstalten verlegen zu lassen. Doch ohne eine Reform des spanischen Föderalismusmodells wird es langfristig keinen Frieden mit den Regionen wie Katalonien oder auch dem Baskenland geben. Nur wer sich im gemeinsamen Haus Spanien wohlfühlt, wird von den Unabhängigkeitsbestrebungen ablassen. Zum Bleiben zwingen lässt sich niemand gerne.

Patriotismus-Wettkampf

Es steht zu befürchten, dass PP und Cs jetzt aus der Opposition heraus das Thema Katalonien noch weiter strapazieren und ein Wettkampf darum ausbricht, wer der größere spanische Patriot ist. Sie können auf die Unterstützung durch einen Großteil der Medien und der wichtigsten Unternehmen des Landes setzen. Von der ersten Minute an muss sich Sánchez vorwerfen lassen, er habe „dunkle Abkommen“ mit den „Feinden Spaniens geschlossen“. Um diese erdrückende Hegemonie der Rechten in der Katalonienfrage – oder besser gesagt: der Frage Spaniens – zu brechen, muss Sánchez Mehrheiten beschaffen.

Nichts hat die Menschen in Spanien so aufgebracht wie die Sparpolitik. Es ist richtig, dass Spanien die Krise überwunden hat, wie Rajoy immer wieder stolz beteuerte. Zumindest bei den makroökonomischen Daten. Doch bei den Menschen kommt davon nichts an. Die Arbeitsverhältnisse und die Löhne sind dank einer Arbeitsmarktreform prekärer denn je. 1,2 Millionen Arbeitslose erhalten keine Stütze, täglich werden 100 Wohnungen zwangsgeräumt, die Warteschlangen bei der Gesundheitsversorgung werden immer länger, bei der Bildung fehlt es an allem, von Lehrern über Material bis hin zu Unterstützung sozial schwacher Schüler. Gleichzeitig verschwanden Milliarden von Euro in der Korruption.

Die Empörung darüber ist einer der Hauptgründe, warum so viele Menschen politikverdrossen sind. Sowohl die Separatisten als auch die, die den ganzen Tag die spanische Fahne schwenken, machen sich dies zunutze. Nur wenn Sánchez mit den versprochenen „sozialen Dringlichkeitsmaßnahmen“ Erfolg hat, kann er Vertrauen in seine Politik schaffen. Dies würde ihm den Spielraum für kreative Ansätze bei so schwierigen Fragen wie Katalonien geben. Politik muss begeistern, um von der Mehrheit der Bevölkerung wieder als die ihre begriffen zu werden.

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Reiner Wandler
Auslandskorrespondent Spanien
Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.
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11 Kommentare

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  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Ja die Hoffnung ist gross, aber gerade links herrscht wie immer und überall Uneinigkeit. Sanchez und Iglesias sind zwei Platzhirsche, die sich nicht mögen. Mit Errejon und Alberto Garzón könnte er gemeinsam arbeiten, aber mit Iglesias nicht. Was die spanische Nation anbetrifft, ist Sanchez ein überzeugter Föderalist. Von daher hat er den Regionen etwas anzubieten.

    Rivera will der Macron Spaniens werden, er ist genauso verlogen wie sein rechtsliberaler Amigo aus Frankreich. Und brandgefährlich.

  • Gelingt ein Neuanfang, dann bedeutet das die generelle Änderung des zentralistischen spanischen Staates zu einem föderalen System der Vielfalt in der Einheit. Zu wünsche wäre das, allerdings stellt sich die Frage, ob die PSOE dazu wirklich bereit ist.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Dass Spanien die Krise überwunden habe, ist eine Legende. Solange bei den Spaniern nichts davon ankommt, hat die Krise Bestand. Ähnlich verhält es sich mit diesem Land. Deutschland geht es gut, heißt es - aber vielen Deutschen nicht. Eine gelöste Krise zeigt sich darin, dass es den Menschen gut geht. A l l e n.

     

    Dies laut und vernehmbar zu kommunizieren ist Aufgabe der Abgehängten und Ausgegrenzten. Andere machen es nicht für sie.

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @76530 (Profil gelöscht):

      So ist es leider. Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es den Menschen noch lange nicht gut. Und Wirtschaft ist heute der unumstößliche Maßstab.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @849 (Profil gelöscht):

        Ich habe meine Hoffnung noch nicht gänzlich aufgegeben, dass sich daran zu meinen Lebzeiten noch etwas ändert. In Deutschland eher nicht, da ist die deutsche Mentalität vor. Aber in Ländern wie Italien, Griechenland, Spanien, was dann zu einem Dominoeffekt führen könnte.

         

        Dreamer, I'm nothing but a dreamer ...

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    "Zum Bleiben zwingen lässt sich niemand gern." Richtig. Aber: Niemand kann zum Gehen gezwungen werden. Die Chauvinisten hatten und haben NICHT die Mehrheit. Wird gern geflissentlich übersehen.

    Chauvinismus geht nicht. Egal, ob er von rechts oder von links kommt. Linke, die Spaltung und Ausgrenzung von Menschen befürworten wie CUP in Kakaphonien, spielen das falsche Spiel.

    Rajoy, so sehr man ihn hassen mag, hatte recht, sich für die Einheit des Landes in einem EU-Europa einzusetzen. Und wenn Sanchez dasselbe will, hat er ebenfalls recht.

    Und wer Recht und Verfassung bricht, muss mit Strafverfolgung rechnen. So geht das im Rechtsstaat. Und die Justiz ist keinesfalls blosse Befehlsempfängerin eines faschistoiden Rechtsaussen und seiner korrupten Partei sondern gezwungen, gegen Unrecht einzuschreiten, das nennt man Rechtsstaatsprinzip.

    Genau diese Justiz übrigens hat führende Repräsentanten der PP zu mehreren hundert Jahren Freiheitsstrafen verurteilt und Rajoy ausdrücklich bescheinigt, er sei unglaubwürdig in seinem Bestreiten von den finsteren Machenschaften seiner korrupten Kumpane gewusst zu haben. Damit dürfte genau diese Justiz massiv zum Sturz Rajoys beigetragen haben. Hut ab ! So geht das.

    Komme mir bitte keiner mehr mit Franco-Justiz und ähnlichen dümmlichen Analogien.

    Vielleicht geht die PP endgültig baden wie weiland die italienische Democrazia Christiana, vielleicht entgeht sie diesem Schicksal wie die CDU bei uns, die trotz der schwarzen Kassen, Bimbes, jüdischer Vermächtnisse etc. am Leben geblieben ist. Egal, erst einmal, die PP ist weg vom Fenster und verbrannt fürs erste. Gottlob.

    Spanien ist bunt, Spanien hat eine furchtbare Wirtschaftskrise hinter sich, Spanien hat massive Probleme. Alles richtig. Nur die Lösung für all das kann nicht in einfarbigem grauen Chauvinismus liegen, im Grenzen aufbauen und im Spalten.

    Gut, dass einen Neuanfang gibt, in Madrid wie in Barcelona.

    • @60440 (Profil gelöscht):

      Schon Ihre Wortwahl (Kakaphonien für Katalonien) offenbart Ihre Ressentiments. Bei Katalonien (und dem Baskenland) geht es in erster Linie um das Recht auf Selbstbestimmung, welches ca. 75% der Katalanen seit vielen Jahren gutheissen. Wer an ein reformierbares Spanien glaubt, sollte sich auch eine gute Nachbarschaft mehrerer Nachfolgestaaten in Frieden und Freiheit vorstellen können. Das wird Sie allerdings überfordern, denn Sie halten Separatisten für Chauvinisten. Spanische Patrioten, die mit eiserner Hand und zweifelhaften, rechtsstaatlichen Mitteln die Einheit Spaniens verteidigen (und sie dadurch erst gefärden) sind dagegen keine Chauvinisten. Wenn Sie sich die Definition (Chauvinismus im ursprünglichen Sinn ist ein häufig aggressiver Nationalismus, bei dem sich Angehörige einer Nation aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dieser gegenüber Menschen anderer Nationen überlegen fühlen und sie abwerten.) anschauen, könnte man Sie selbst für einen Chauvinisten halten, auch wenn Sie das überraschen mag.

      • 6G
        60440 (Profil gelöscht)
        @Priest:

        Wer sich im Jahre 2018 in Kakaphonien in eine ausgedachte Fahne hüllt, einem ausgedachten Opfermythos huldigt und von einer ausgedachten jahrtausendalten Kultur in einer ausgedachten Sprache raunt, die stets unterdrückt und doch so ruhmreich war, dabei aus reinem Geiz den Staat Spanien (und dadurch gleich die EU) verlassen will, weil man angeblich zu viel einzahlt, der ist schlicht und einfach ein Chauvinist.

        Vom Hass und dem Unfrieden in der ganzen Region, der Familien, Freunde, Arbeitskollegen spaltet, mal ganz zu schweigen.

        Und Chauvinisten neigten schon immer dazu, ihre speziellen Ansichten für allgemeingültig zu erachten und dabei der andersdenkenden Mehrheit ihren Willen aufdrücken, wobei en passant Gesetze, Verfassungen und allgemeine Regeln nach Gutdünken über Bord geworfen werden.

        Got it ?

        • 8G
          82236 (Profil gelöscht)
          @60440 (Profil gelöscht):

          Kurz: Katalonien ist wie Bielefeld...

        • @60440 (Profil gelöscht):

          Sie sind ja ein ganz toleranter und sensibler Mensch. Auf diesem Niveau bin ich nicht in der Lage, mit Ihnen zu diskutieren.Nur dem neutralen Leser gegenüber würde ich Sie gerne als Beispiel zitieren, weshalb die Gewalt am 1.Oktober und die U-Haft von katalanischen Politikern in Spanien grossteils mit Aplaus bedacht wird. Da stellt sich die Frage nach den Ursachen für so viel Hass, Intoleranz, Ignoranz und Chauvinismus.

    • 8G
      82236 (Profil gelöscht)
      @60440 (Profil gelöscht):

      Mit der Ernennung des Astronauten und Luft-und Raufahrtingenieurs Pedro Duque hat Pedro Sanchez ein Zeichen und Prioritäten gesetzt. Denn Spanien muss in die Zukunft investieren, ein Wachstum, das nur auf Tourismus und Immobilien setzt und nur schlechtbezahlte prekäre Arbeitsplätze für KellnerInnen Zimmermädchen, KassiererInnen und Bauarbeiter schafft, hat auf Dauer keine Zukunft. Die Massenflucht der Jungakademiker muss gestoppt werden. Spaniens Universitäten wurden unter Rajoy ruiniert und produzieren so gut wie nichts mehr. Kein Wunder bei einer Partei, in der die Leute nicht nur Geld klauen, sondern auch ihre Diplome fälschen, siehe den Fall Cifuentes.

      Rajoy hat die Katalonienkrise bewusst herbeigeführt, indem er den von José Luis Zapatero ausgehandelten neuen Autonomiebeschluss torpediert hat. Er kannte die Folgen, als er zum Verfassungsgericht gegangen ist. Sanchez, der ein Föderalist ist und ohne dem der 155 nicht zustande gekommen wäre, muss jetzt wieder ganz von vorn anfangen. Und Genau das ist das Problem mit Rajoy. Spanien hat 7 Jahre verloren und wurde abgehängt: Bildung kaputt, Spanien hat eine überaus hohe Quote von Schulabrechern, demotiviert, wozu studieren, wenn du eh nur einen Job als Kellner bekommst oder ins Ausland gehen musst, das Gesundheitssystem kaputt etc...nur der Tourismus brummt...