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Debatte RechtspopulismusWo Linke nicht irren dürfen

Die Interpretation des Rechtspopulismus als Neuauflage der sozialen Frage geht am eigentlichen Kern der Sache vorbei.

Pegidisten verstehen sich als die „kleinen Leute“, der Mehrheit geht es aber wirtschaftlich gut Foto: reuters

D ass die Populismusdebatte die moralisierende Empörung über die ewig gestrigen Feinde der Demokratie inzwischen hinter sich gelassen hat, ist gut. Denn diese Attitüde hilft hauptsächlich den guten Demokraten, sich ihrer Rechtschaffenheit zu versichern und ihr Festhalten an unseren Werten, unserer Freiheit und unserer Lebensweise zu legitimieren, von denen längst jeder weiß, dass sie sozial exklusiv und ökologisch zerstörerisch sind.

Es ist auch richtig, dass die Frage der sozialen Ungleichheit wieder in den Mittelpunkt der Diskussion rückt. Wer aber glaubt, das Populismusproblem ließe sich lösen, indem die politische Linke sich ihrer ursprünglichen Werte und Klientel erinnert, der irrt.

Ingolfur Blühdorn, Felix Butzlaff

Ingolfur Blühdorn, Jahrgang 1964, ist Leiter des Instituts für Gesellschaftswandel und Nachhaltigkeit (IGN) an der Wirtschaftsuniversität Wien.

Felix Butzlaff, Jahrgang 1981, ist Universitätsassistent am IGN.

Dirk Jörke und Nils Heisterhagen sind in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Christian Volk, Winfried Thaa und zuletzt Heike-Eva Mauer in der taz der Frage nachgegangen, ob die Rechtspopulisten heute deshalb so viel Zulauf haben, weil die Linke mit ihrer postmaterialistischen Identitätspolitik die „kleinen Leute“ vernachlässigt hat. Daran knüpft sich die Forderung, die europäische Sozialdemokratie müsse jetzt mit einer entschiedenen Rückwendung zur Sozialpolitik reagieren. Zumindest Jörke und Heisterhagen sehen hier „eine Chance und die Aufgabe der Linken“.

Wenn sich das Problem wirklich so lösen ließe, dann wäre das ein Grund zur Hoffnung. Aber die Interpretation des Rechtspopulismus als Neuauflage der sozialen Frage geht am eigentlichen Kern der Sache vorbei. Denn ein guter Teil derer, die bei Pegida auf die Straße gehen und die AfD attraktiv finden, stehen eben nicht im ökonomischen Sinne unter Druck.

Auch international gesehen floriert der Rechtspopulismus keineswegs vor allem dort, wo besonders drastische neoliberale Spardiktate herrschen, sondern etwa in Österreich oder Dänemark. Und Donald Trump hat in allen Einkommensgruppen über 50.000 Dollar eine Mehrheit erreicht.

Tatsächlich kommen wir bei den nichtmateriellen Ursachen des Rechtspopulismus auch dem eigentlichen Beitrag der emanzipatorischen Linken einen Schritt näher: Modernisierung hat für diese stets Befreiung aus bevormundenden Traditionsüberhängen und die Erweiterung individueller Gestaltungsspielräume bedeutet. Der „Schutz der Integrität der eigenen Person“ und das Versprechen, „ohne Angst verschieden sein zu können“, waren, wie Christian Volk zu Recht in Erinnerung ruft, der normative Kern des linken Projekts.

Allerdings nur dessen einer Teil, denn der gleich wichtige zweite Teil war der feste Glaube an die eine universelle Vernunft, in deren unverrückbaren Grenzen sich alle Selbstbestimmung zu bewegen habe. Dieser Glaube ließ sich aber nicht aufrechterhalten, und die emanzipatorischen Bewegungen haben zu seiner Zersetzung selbst tüchtig beigetragen.

Entgegen der Argumentation von Winfried Thaa ist das Problem der Linken daher nicht, dass sie „vor allem auf eine Politik der Identitäten“ gesetzt haben, die „keine gemeinsamen Handlungsfelder eröffnet“. Dass dem nicht so ist, machen die Populisten uns vor! Aber die Linken hatten eben den zentrifugalen Kräften der Individualisierung und Emanzipation, die sie selbst eifrig befeuert haben, nichts haltbares Integratives entgegenzusetzen. Sie sind also nicht in die „Identitätsfalle“ getappt, sondern vielmehr in die Modernisierungsfalle.

Populismus als Detox

Die Fähigkeit, mit der entgrenzten Moderne zurechtzukommen, hängt aber in hohem Maße vom persönlichen Zugriff auf soziale und kulturelle Ressourcen ab.

Wo diese nicht verfügbar sind, steigt das Bedürfnis nach Schutzräumen kollektiver Identität. Doch das Angebot an solchen Räumen schwindet. Wie sehr die emanzipatorische Errungenschaft, das eigene Selbst ganz eigenverantwortlich finden und verwirklichen zu müssen, längst auch in materiell gesicherten Gesellschaftsschichten zum Überforderungssyndrom geworden ist, zeigt sich in den Themenkonjunkturen von „Burn-out“ und „Detox“.

In genau diese Lücke stößt der Rechtspopulismus. Dass sich dessen „wahres Volk“ und seine vermeintlich homogenen Werte und Interessen in der Hypermoderne weniger denn je definieren lassen, spielt für die Überforderten kaum eine Rolle. Als intuitiv zugängliches Kollektiv, das den Einzelnen aus der Verantwortung nimmt; als entlastende Vereinfachung und Kriterium zur Unterscheidung von Gut und Böse reicht dieses Konstrukt allemal.

Tatsächlich ist der Konsum heute die Arena, wo Identitätsbildung wesentlich stattfindet

Wirklich regelgebend soll dieser inszenierte Referenzpunkt ohnehin nicht sein, denn das Gegengift soll die errungenen Freiheiten keineswegs wieder abschaffen, sondern nur ihre Nebenwirkungen abfedern. Mit Recht verweist Christian Volk auf eine „tiefe innere Gespaltenheit“. Radikalisierter Individualismus und die Berufung auf das Volk stehen nicht in einem Verhältnis von entweder/oder, sondern von sowohl/als auch. Daher ist auch Trumps Kabinett aus Milliardären kein Widerspruch.

Wenn aber die kategorischen Imperative und das, was man bürgerlich als innere Werte bezeichnet hat, erst einmal von der Emanzipation zersetzt und von der Modernisierung aufgezehrt sind, bleibt zur Identitätsbildung nicht mehr viel übrig als die Welt der Moden und Marken. Die emanzipatorische Linke hat also die materielle Dimension nicht etwa marginalisiert, sondern im Gegenteil – ohne dies je gewollt zu haben – dazu beigetragen, dass sich nun alles auf sie konzentriert!

Der Konsum ist heute die Arena, wo Identitätsbildung wesentlich stattfindet. Aber diese Identität ist per definitionem exklusiv. Und an den Grenzen des Wachstums ist die Freiheit und Selbstverwirklichung der einen direkter denn je gekoppelt an die Knebelung und Ausgrenzung der anderen. Da schließt sich der Kreis: Scheinbar gegeneinander und doch gemeinschaftlich organisieren kapital- und investitionenschützende Regierungen und rechtspopulistische Bewegungen die Politik der Exklusion – wobei Letztere die Logik des herrschenden Systems keineswegs herausfordern, sondern nur nach unten verlängern.

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8 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Die heilige Kuh der Linken ist doch die Idee, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt (Marx), erst das Fressen, dann die Moral (Brecht).

     

    Diese hl. Kuh muss endlich geschlachtet werden, damit nicht wieder und wieder versucht wird, bei ideologischen Probleme unwirksame Hebel ansetzen zu wollen.

     

    Natürlich ist die Ökonomie wichtig, sehr wichtig sogar, aber sie dominiert eben nicht alles. Der Selbstmordattentäter, eine seltene Erscheinung aber eine einprägsame, macht es eben nicht für den materiellen Vorteil. Und relativ wenige Leute die zu drastischen Maßnahmen bereit sind können leider viel ausrichten - kaputtmachen vor allem.

  • eigentlich finde ich den Kommentar sehr gut, nur der Schluss ist etwas unbefriedigend, wo er auf "die Rechten" zeigt, wo es doch um Probleme der Linken geht. Da passt meines Erachtens die Anaylse hervorragen, dass Dekonstruktion jeden verschreckt, der noch an "gemeinsame Werte" glauben will - und dass es solche geben wollte, wird nicht einmal ein sehr Linker bestreiten, wenn es z.B. um die Frage des Teilens geht (warum sollte man das, wenn jeder machen kann, was er will?). Interessant hätte ich gefunden, die der Autor aus der "Zwickmühle" heraus will, dass alle bislang hier geltenden Werten natürlich von alten weißen Männern (sogar "lange schon toten" weißen Männern) geprägt wurden, also zu hinterfragen sind - umgekehrt aber das Problem ja tatsächlich von ihm als die "fehlende Klammer" interpretiet wird.

  • Wann und wie haben die Leute eigentlich angefangen, "sozial" und "finanziell" zu verwechseln? Vermutlich war das, als die Politik begonnen hat, echte Sozialpolitik mit der finanziellen Alimentierung ihrer jeweiligen Wähler zu übersetzen.

     

    Nein, bei der "sozialen Frage" geht es nicht darum, welches Einkommen ein Mensch hat oder was bzw. wie viel er davon kaufen kann. Man kann stinkreich sein und trotzdem asozial – oder arm wie eine Kirchenmaus und trotzdem durch und durch sozial. Bei der sozialen Frage geht es darum, was Menschen in die Lage versetzt, friedlich mit anderen Menschen zusammenzuleben. Geld alleine ganz bestimmt nicht.

     

    Sozialen Ungleichheit meint nicht, dass einer Porsche fährt und einer S-Bahn. Soziale Ungleichheit bedeutet, dass die Gesellschaft dem Porschefahrer Respekt erweist fürs Porsche fahren, während sie den S-Bahnfahrer komplett ignoriert. Diese Unsitte muss "in den Mittelpunkt der Diskussion rücken", und zwar nicht "wieder", sondern erstmals überhaupt.

     

    Oh doch, "die Linke [muss] sich ihrer ursprünglichen Werte [...] erinnern". Nur sind diese Werte nicht Konsum und Kommerz, sondern Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Es ist albern anzunehmen, man könnte gar "nicht im ökonomischen Sinne unter Druck [stehen]", wenn man besser verdient als der Durchschnitt der Bevölkerung. Wo der Wert des Menschen an seinem Konsumverhalten festgemacht wird, stehen auch und gerade Gutverdiener mächtig unter Druck. Vor allem dann, wenn sie glauben, sie müssten Elite sein und/oder ihren Status sichern.

     

    Das Missverständnis liegt auf beiden Seiten. Die Linke hat bisher geglaubt, Geld alleine würde frei und friedlich machen. Die Rechte hat sich eingebildet hat, Freiheit sei die Möglichkeit, auf Gleichheit und Brüderlichkeit zu pfeifen. Verschieden sein zu dürfen meint für die Rechte immer noch wertvoller sein zu müssen. Die Linke hat sie leider niemals korrigiert an dieser Stelle. Wieso wohl nicht?

    • @mowgli:

      - "Soziale Ungleichheit bedeutet, dass die Gesellschaft dem Porschefahrer Respekt erweist fürs Porsche fahren, während sie den S-Bahnfahrer komplett ignoriert. Diese Unsitte muss "in den Mittelpunkt der Diskussion rücken", und zwar nicht "wieder", sondern erstmals überhaupt." -

       

      Daran ist so viel wichtig&richtig. Aber die S-Bahn gibt es ja schon, genau so wie seit dreißig Jahren Straßenbahnen und Fußgängerzonen zunehmen. Deswegen ist Politik für alle immer noch die Kommunikation von Begründungen, warum welche Ressourcen über Zeit&Raum verteilt werden. Eine identitätspolitisch verfasste Stammesgesellschaft, die allenfalls Bekenntnisse ("Antirassismus", "Heimat") teilt, kann dagegen nur nach innen schauen ("verhandeln"). Wieviel ich verdiene, spielt für die meisten Stämme keine Rolle, genau so wenig wie der Verdienst der Anderen. Und das ist das Problem von Gesellschaften, für die die Wahl zwischen Konsum und Haltung ineinander übergeht und über das Seelenheil des Einzelnen entscheidet.

  • Wer es sich antut, in dieser Kolumne erfahren zu wollen, "Wo Linke nicht irren dürfen", muss sich nach diesem unübersehbaren Wust von vielfältig deutbaren, aber hier selten klar definierten Begrifflichkeiten selbst zu den vom "Überforderungssyndrom" heimgesuchten Zeitgenossen zählen, die von der "postmaterialistischen Identitätspolitik der Linken" zwangsindividualisiert wurden.

     

    Wenn Postmoderne, Hypermoderne und "entgrenzte Moderne" gleichzeitig durch die Luft schwirren, wenn vom radikalisierten Individualismus über die postmaterialistische Identitätspolitik bis zum schlichten Burn-out so ziemlich alle erreichbaren Versatzstücke in die Antwort des Autors auf seine selbst gestellte Titelfrage gepackt werden, dann steigt auch bei den taz-Lesern das "Bedürfnis nach Schutzräumen kollektiver Identität" vor solch blühendem Wortgeklingel aus dem pseudointellektuellen Elfenbeinturm.

  • Rechts sein oder nicht ist genauso wenig eine Frage des Geldbeutels, wie bei der Frage ob man religiös ist oder sondern eine Frage der Lebenseinstellung und daher eine Frage von Ängsten und Angstbewältigung. Jeder der andere Motive unterstellt lügt!

     

    Religiös sind in erster Line Menschen, welche sich vor der Zukunft fürchten und dort halt suchen. Rechte sind Menschen, die sich vor Veränderung und jede Art von Fremden fürchten, wie der Teufel das Weihwasser.

     

    Ängste fühlen sich immer existenziell an und kommen einem gefühlten Kampf mit Grizzlybären gleich. Bei einem Kampf mit einem Bären sind immer JEDE Mittel erlaubt, auch Lügen. Das sind dann halt Notlügen- in dieser Situation muss das doch jeder verstehen!

     

    Das erklärt zumindest mit welcher unglaublichen Mühelosigkeit Rechte einem ins Gesicht Lügen und mit welcher Leichtigkeit diese unschuldige Menschen einfach so aufs Abscheulichste diskreditieren ohne dabei mit der Wimper zu zucken. Und das auf einem Niveau das selbst Vorschulkinder mit ihrem Smart-Phone innerhalb einer Minute dies als Lüge identifizieren können.

     

    Alles was Rechte interessiert ist der Kampf mit dem Bären. Das erklärt, warum diese keinerlei Zukunftsvisionen haben, sondern sich immer nur in die Vorbärenzeit zurückwünschen. Zukunftsvisionen? Lösungen zukünftiger Probleme ? Im AfD Wahlprogramm völlige Fehlanzeige. Evtl. noch Kindergebähranstalten (Österreich).

     

    Stattdessen als Angstbewältigung: Anderen die Schuld geben! Weil man selber nicht in der Lage ist zukünftige Probleme zu lösen, muss ein Sündenbock herhalten. Schaut mal nach wie viele "Andere" laut Trump Schuld an irgendwas sind? Da fallen mir auf anhieb 10 ein.

     

    Wir haben ein Angstproblem und kein Sozialproblem. Gegen die Angstverbreitung müssen wir was unternehmen! Über 15% der Deutschen leiden an ernst zu nehmenden Ängsten, unschuldigerweise!

  • Wenn man heute etwa die SPD immer noch als „politische Linke“ ansieht, dann kommt man natürlich schnell zu höchst seltsamen Schlussfolgerungen. „Populismus“ ist nicht per se schlecht, kann er doch sowohl Problem, als auch Lösungsansatz sein. Ein Populismus allerdings, der die Wurzel allen Übels in denen sieht, die woanders herkommen, die anders sind, die anders denken, die anders glauben und die anders leben als die selbsternannte Norm, der ist immer brandgefährlich und abzulehnen. Diese Form des Populismus wird bezeichnenderweise ja jeweils dann aus der Mottenkiste geholt, wenn interessierte Kreise mal wieder von der sozialen Frage ablenken möchten, sie nach Möglichkeit ganz ausblenden wollen. Dieser taz-Kommentar von Ingolfur Blühdorn und Felix Butzlaff ist erneut ein lehrreiches Beispiel dafür, wie leicht Leute bereit sind, die - zugegeben schwierige - soziale Frage einfach mal „links liegen“ zu lassen - for nothing.and groundless.