Debatte Rechtspopulismus in Europa: Keine Angst vor AfD-Fans!
Es bringt nichts, mit Hass auf Hass zu reagieren. Ich rede mit Anhängern von AfD, Pegida & Co. Denn: Ist an unserer Politik wirklich alles richtig?
D er Weg vom Populismus zum Extremismus ist nicht weit. Vom Wort zu Tat und Gewalt genauso wenig. Daraus kann man nur eine Konsequenz ziehen: Wir müssen reden! Ich bin überzeugt, dass die qualitative Veränderung des rechten Spektrums andere Reaktionen von uns erfordert als bisher. Definitiv reicht es nicht aus, diese Entwicklungen und Verhaltensweisen nur zu kritisieren. Mit Hass auf Hass zu reagieren, schafft ihn nicht ab, sondern bestätigt ihn lediglich – ganz zu schweigen davon, dass wir damit nicht zum Vorbild taugen.
Es geht heute um nicht mehr oder weniger als das friedliche Zusammenleben in unserer Gesellschaft unter den Bedingungen des digitalen Zeitalters. Was derzeit passiert, ist kein begrenzter Rechtsextremismus mehr, vielmehr breitet und weitet sich rechtsextremer Populismus immer weiter aus. Er stellt eben nicht nur Umgangsformen infrage, sondern vergiftet das gesellschaftliche Klima, verhindert Engagement und Meinungsäußerung. Doch Demokratie und Freiheit sind Grundpfeiler unserer Gesellschaft.
Seit geraumer Zeit erleben wir eine Neuorganisation des Rechtspopulismus und -extremismus. Wir haben in den letzten 20 Jahren eine massive Veränderung gesehen: Statt Springerstiefeln und Bomberjacke hat sich ein White-Collar-Rechtsextremismus entwickelt. Die Junge Freiheit ist ihr analoges Medium. Gezielt suchen diese Bewegungen schon auf Schulhöfen und in Jugendzentren nach Anhängern. Ihr Traum sind „national befreite Zonen“.
Professor Heitmeyer, Konflikt- und Gewaltforscher, erklärte uns mit seiner Studie zu „Deutsche[n] Zustände[n]“, wie weit verbreitet und verankert rechtsextreme, fremdenfeindliche, antisemitische und homophobe Einstellungen sind. Diese gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit hatte sich – außer einigen Kameradschaften und dem NSU – den alten rechtsextremen, verfassungsfeindlichen Parteien wie der NPD nicht zuordnen wollen. Von der Mitte der Gesellschaft aus betrachtet erschien das lange lediglich als ein Randproblem.
Bei AfD-Anhängern an die Tür geklopft
Dann kam Pegida, kaperte den Montag und rief: „Wir sind das Volk.“ Der Wirtschaftsprofessor Bernd Lucke gründete die Alternative für Deutschland (AfD) – eine Partei, die ihn schon bald selbst verdrängte, um sich über die EU-Ablehnung hinaus weit am rechten Rand anzusiedeln. Jetzt wurde endlich gesagt, was ihrer Meinung nach ausgesprochen gehört. „Meinungsfreiheit“ nennen sie ihren Hass. Sie sind getragen von der Ablehnung aller, die anders sind oder anders denken, besonders die, die politisch Verantwortung übernehmen. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit hat ihre Organisationsform gefunden.
Was gab es nicht alles für Reaktionen aus der Politik auf diese stetig anwachsende Hate Speech in den sozialen Netzwerken. Mich hatte das alles gegruselt. Zum Beispiel, wenn am Morgen nach einer Talkshow 271 Posts auf meiner Facebook-Seite aufliefen, von denen nur zwei bis drei als normal geäußerte Kritik einzustufen waren und der Rest als Hassbotschaften, Herabwürdigungen, Beleidigungen. Was denken sich diese Menschen eigentlich? Wollen sie nur ihren Hass und Frust abladen – oder erwarten sie ernsthaft, dass sich ein derart Beschimpfter daraufhin demütig ihren Alltagssorgen widmet?
Ihre Hassbotschaften mit Hass oder Herabwürdigungen zu beantworten – manche nutzen die Worte „Mob“ oder „Pack“ nun in umgekehrter Richtung –, wäre kontraproduktiv. Und sowieso sinnlos dort, wo es eine gezielte Strategie von Pegida und AfD war. Ich habe mich deshalb entschlossen, hinzugehen, persönlich zu klingeln, den Verfassern einen großen Ausdruck ihres Posts entgegenzuhalten und sie zu fragen: „Warum schreiben Sie mir das?“
Natürlich bin ich an der Haustür sicherheitshalber einen Schritt zurückgetreten. Und in einer sehr einsamen Gegend parkt man das Auto besser gleich in Fahrtrichtung. Aber ich wollte echt wissen: Wer schreibt das? Denken diese Leute ernsthaft so abfällig über mich, über andere – erwarten aber umgekehrt Respekt und offene Ohren?
Rettet ihr immer nur den Rest der Welt?
Für mich bleibt nach den Gesprächen hängen: Diese Ausbrüche finden nicht bei den Abgehängten und Chancenlosen statt. Mitten in der Gesellschaft wachsen Emotionen und Unverständnis, wird der Raum für Fakten immer kleiner. Im Netz werden nur noch Bestätigungen bestehender Einstellungen gesucht oder gefunden, weil die Algorithmen das liefern. Aber da kam auch die Frage: Beschäftigt ihr euch auch mal mit uns? Oder rettet ihr immer nur den Rest der Welt? Für mich ergibt sich daraus: Ist das die Reaktion auf falsche und rasante Globalisierung und zu wenig Erklärung.
Diese Erfahrung hat mein Denken und Nachdenken verändert, die Perspektive breiter gemacht. Der persönliche Kontakt hat viele Fragen und Vorurteile aufgelöst, Zusammenhänge wurden sichtbar, Motive klarer.
Gespräche außerhalb der Filterblase helfen. Aus Emotion und Aufregung kann Interesse werden. Dem verbalen Furor und der Dauererregung folgen Straftaten. Also müssen wir reden. Differenzieren. Ausweitung verhindern. Rechtspopulismus ist nicht gleich Rechtspopulismus. Finden wir erst einmal heraus, wer eine manifeste Einstellung hat, wer verunsichert ist über Globalisierung und Internationalisierung, wer sich Sorgen um sein Leben macht. Reden wir zuerst mit denen. Für mich gilt: Wer unsere demokratische Struktur erhalten will, muss zur Auseinandersetzung bereit sein und Zeit investieren.
Aber reden allein reicht nicht. Wir brauchen ein gemeinsames konsequentes Vorgehen von Politik und Gesellschaft. Daneben eine Polizei und Staatsanwaltschaft, die sensibel ist und konsequent Straftaten verfolgt. Wir müssen rote Linien aufzeigen. Wer redet, um tatsächlich etwas herauszufinden, muss offen sein. Auch für eigene Veränderung. Reden ist nämlich keine Einbahnstraße. Dialog bedeutet, sich zu fragen: Was ist an unserer Politik möglicherweise falsch? Was ist an der Art und Weise der Globalisierung falsch? Einige Antworten müssen auch uns wehtun. Sonst war es kein offenes Gespräch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja