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Debatte Polizeigewalt und „Body-Cams“Kameras retten kein Leben

Kommentar von Tilman Baumgärtel

Angesichts der Polizeigewalt in den USA wird über Schulterkameras diskutiert. Doch die Überwachung ist teuer. Und hilft nur wenig.

Eine Polizeikommissarin in Frankfurt bei der Vorstellung der Bodycam 2013 Bild: imago/Michael Schick

E ine „Dashboard Cam“ habe ich das erste Mal im vergangenen Jahr bei einem Besuch in Russland gesehen – und zwar in so gut wie jedem Auto, in dem ich mitgefahren bin. Die kleinen Digitalkameras, die am Rückspiegel oder auf dem Armaturenbrett montiert sind, nehmen automatisch die ganze Fahrt frontal durch die Windschutzscheibe auf.

Auf die Frage, warum man diese Dokumentation des Fahrverhaltens Anderer bräuchte, bekam ich wüste Geschichten von ungebremsten road rage zu hören: von Betrunkenen, die auf der Autobahn Zickzack fahren, von Fahrern, die andere Autos abdrängen oder diese zum Anhalten zwingen, um deren Lenker zu verprügeln. Auf den russischen Straßen scheint das Faustrecht zu herrschen. Davor sollen die Kameras schützen, fast wie ein orthodoxes Heiligenbild am Rückspiegel.

Wenn man alles ununterbrochen aufzeichnen muss, um die Mitmenschen von Gewalttaten und Verbrechen abzuhalten, ist man in einer Gesellschaftsordnung angekommen, in der das Recht der Stärksten und Skrupellosesten gilt.

In so einer Welt ist der Contrat social, der das Allgemeinwohl und ein friedliches Zusammenleben sichern soll, zusammengebrochen und durch einen gewalttätigen Urzustand ersetzt worden, in dem jeder sich selbst der Nächste ist – solange er nicht dabei gefilmt wird. Weil die normalen Regeln des Miteinanders nicht mehr funktionieren, wird der Technik die Aufgabe übertragen, für ein geordnetes Zusammenleben zu sorgen.

Wen sollen die Kameras schützen?

Daran sollte man sich erinnern, wenn nun – nach mehreren zufällig mit Handykameras dokumentierten Todesschüssen von Cops auf schwarze Bürger in den USA – darüber diskutiert wird, ob man Polizisten mit Schulterkameras ausstatten soll, die sie bei Einsätzen filmen. In den USA ist diese Idee von Bürgerrechtlern als Reaktion auf die zahlreichen Fälle von auf Video dokumentierter Polizeigewalt der letzten Monate ins Spiel gebracht worden.

In Deutschland, wo dieses Konzept besonders von der Polizeigewerkschaft propagiert wird, gibt es bereits eine Reihe von Modellversuchen. Doch bei all diesen Initiativen geht es um Kameras, die von den Polizisten kontrolliert werden. Das Ziel ist, die Polizei vor Angriffen durch Bürger zu schützen, nicht die Bürger vor Übergriffen der Polizei. Die Streifenpolizisten schalten ihre Kameras in problematischen Situationen nach Ankündigung ein („Das nehmen wir jetzt mal lieber auf.“), und filmen aus ihrer Perspektive – wenn auch aus Datenschutzgründen ohne Ton.

In Hessen filmen Streifenpolizisten in Frankfurt, Offenbach und Wiesbaden Einsätze in Problemvierteln. Das Experiment ist aus Sicht der Polizei so erfolgreich, dass nun Schulterkameras für das ganze Bundesland erwogen werden. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung will die hessische Polizei allerdings nicht mit der Öffentlichkeit teilen oder wissenschaftlich evaluieren lassen.

In Baden-Württemberg gibt es erste Versuche mit „Body-Cams“ in Freiburg und Mannheim. Auch in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Bremen wird über derartige Maßnahmen nachgedacht; in Berlin zeigt sich der Möchtegern-Law-and-Order-Innensenator Henkel „sehr aufgeschlossen“.

Eine Kamera rettet kein Leben

Die Überwachungskameras, die seit den 80er Jahren mit ähnlichen Argumenten eingeführt wurden wie jetzt die Body-Cams und inzwischen flächendeckend und weitgehend akzeptiert große Teile des öffentlichen Raums abdecken, haben allerdings keinen der U-Bahn-Schläger der letzten Jahre davon abgehalten, auszurasten. Allenfalls haben sie zur nachträglichen Identifizierung der Täter beigetragen.

Videokameras konnten auch nicht das Leben der Studentin Tugce A. retten, die vor mehreren Überwachungskameras auf dem Parkplatz eines Fastfood-Restaurants in Offenbach erschlagen wurde. Wenn die Täter aufgebracht oder betrunken genug sind, lässt die einschüchternde Wirkung von Videokameras offenbar zu wünschen übrig.

Dass Überwachungskameras Verbrechen verhindern, hat bisher noch niemand nachweisen können; nicht zuletzt, weil es inzwischen einfach zu viele von ihnen gibt, als dass ihre Aufnahmen noch irgendjemand sinnvoll auswerten könnte – schon gar nicht die wenig qualifizierten und unterbezahlten Menschen, die im McJob Wachmann arbeiten.

Könnten also am Körper getragene Videokameras Übergriffe der Polizei verhindern, wie von ihren liberalen Verteidigern erhofft? Die Body-Cam ist ein weiteres Element eines Überwachungssystem, das der britische Soziologe Zygmunt Bauman das Postpanoptikum nennt: die Ausübung von Kontrolle durch technische Beobachtung. Ohne dass er direkt Gewalt ausübt, wird der Polizist durch die Kamera in eine Machtposition versetzt.

Asymmetrie der Kräfte

Die Body-Cams schaffen ein asymmetrisches Kräfteverhältnis zwischen Gefilmten und Filmenden. Denn die Produktion, Kontrolle und Auswertung von beweiskräftigen Bildern liegt ganz bei der Polizei.

Das kann man auch durch Zurückfilmen – etwa mit der Handykamera – kaum ändern. Denn der Polizist kann sich in Deutschland auf sein Recht am eigenen Bild berufen, die Kamera beschlagnahmen, und hat bei Veröffentlichung seines Bildes unter Umständen sogar Anspruch auf Schadensersatz. Den Gefilmten bleibt das Recht auf die „informationelle Selbstbestimmung“ – und dass das in Deutschland nicht viel wert ist, weiß man spätestens seit dem NSA-Skandal.

Wie die Digitalkameras in Russlands Autos sollen die Body-Cams technisch ein Problem lösen, das eigentlich sozialer Natur ist. Muss man einem Polizisten wirklich à la Robocop eine Kamera anmontieren, damit er nicht acht Mal von hinten auf einen flüchtenden Unbewaffneten schießt, wie es der Polizist Michael Slager in North Charleston getan hat? Oder ist da nicht eher bei dessen Auswahl und Ausbildung etwas sehr schief gelaufen?

Wem es zu anstrengend ist, sich mit solchen Fragen zu beschäftigen, dem mag die Body-Cam als eine einfache – wenn auch leider kostspielige – Lösung für das in Rede stehende Problem erscheinen.

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9 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • "Muss man einem Polizisten wirklich à la Robocop eine Kamera anmontieren, damit er nicht acht Mal von hinten auf einen flüchtenden Unbewaffneten schießt, wie es der Polizist Michael Slager in North Charleston getan hat?"

    Offensichtlich schon.

     

    Manche Menschen begehen Straftaten.

    Polizisten sind Menschen.

    Daher ist es nicht verwunderlich, dass z. T. auch Polizisten Straftaten begehen.

     

    Eine bedeutende Aufgabe der Polizei ist eben nicht nur die - wenn möglich - Vermeidung von Verbrechen, sondern, sollten sie trotzdem stattgefunden haben, auch deren Aufklärung.

    Und wenn die Art, wie Body Cams installiert werden sollen, Bürger nicht hinreichend schützt bzw. nicht hinreichend Aufklärung schafft, so liegt das ebenso offensichtlich nicht an einem Übermaß, sondern an einem Mangel an Überwachung - oder Transparenz, welchen Begriff man verwendet, hängt ja ausschließlich von der ideologischen Färbung ab.

  • Die Polizei hat ein Akzeptanzproblem in der Bevölkerung und will daher Bodycams mit Kontrolle über die Aufnahmen. Glauben die wirklich, dass durch diese bereits angesprochene "Asymmetrie der Kräfte" die Akzeptanz besser wird?

     

    Für mich ist das eher noch Öl ins Feuer kippen und zeigt die Geringschätzung der Bevölkerung von Seiten der Polizei. Und wehe, jemand aus der Bevölkerung wagt es, die Polizei zu filmen...

  • Ob der Autor des Beitrags schon mal einen Verkehrsunfall hatte? Seiner Logik gemäß hätte er sich dann weigern müssen, Fotos von der Unfallsituation zu machen – der Unfall wäre ja dadurch nicht verhindert worden! Der Unfallgegner hätte dagegen mit einer Handvoll Fotos – aus seiner Perspektive – die Schuldfrage zu seinen Gunsten geklärt. Denn ein Bild sagt mehr als tausend Worte.

     

    Soweit ich weiß, ist es Demonstranten nicht verboten, ebenfalls Kameras mitzuführen – oder?

    Dann können doch die Demonstranten ihre Kameras einschalten, wenn die Polizisten ihre ausschalten. So haben die „Einen“ die „Anderen“ im Blick, und jeder weiß es. Die Hemmschwelle für Gewalttaten, egal von welcher Seite, wird erhöht!

     

    Was ist daran so problematisch?

  • Ist zwar etwas OT, aber: Bei uns in Bayern ist zu Bodycams an Bullen ein weiter Weg. Die haben nicht mal Namensschilder und decken sich bei eigenen Gewaltstraftaten gegenseitig. Sind ja vermummt und keiner weiß, wers war.

  • "Die Body-Cams schaffen ein asymmetrisches Kräfteverhältnis zwischen Gefilmten und Filmenden. Denn die Produktion, Kontrolle und Auswertung von beweiskräftigen Bildern liegt ganz bei der Polizei."

     

    Das ließe sich ja ganz einfach lösen, indem die Kamera dauerhaft angeschaltet sein muss und die Daten von Dritten gesichtet werden können. Wahrscheinlich werden die Kameras bei vielen Ausrastern von Seiten der Beamt*innen dann "defekt" sein, aber es wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Anzunehmen, dass Polizist*innen von alleine (durch bessere Ausbildung usw.) friedlicher werden, ist leider eher naiv.

  • Wenn wir eines brauchen, dann auf jedenfall der Polizei auch noch die Deutungshoheit über sinnentstellende Videoaufnahmen zu geben, die sie willkürlich aus dem Zusammenhang reißen und (durch die fehlende Tonaufnahme) in einen beliebigen Kontext bringen kann.....

  • Die Asymmetrie der Kräfte ist nicht wegen einer Body-cam gegeben, sondern wegen des scheinbar notwendigen Konstrukts "Gewaltmonopol"

    vom Bürger gebilligt?

     

    Und natürlich ist das in Problemvierteln eine feine Sache, denn die "Kunden" wissen genau wie weit sie bei dokumentiertem Abläufen gehen können.

     

    Der REst braucht das eigentlich garnicht, aber auch keine Überraschung, wenn ausgerechnet dort die Versuche laufen.

    • @KarlM:

      Das Gewaltmonopol heißt, ich darf dich nicht schlagen, wenn ich denke, dass du mir Unrecht getan hast, sondern muss eine dritte Person hinzuziehen - die die Aufgabe hat sicherzustellen, dass dabei nach den gesellschaftlich festgelegten Regeln vorgegangen wird.

       

      Auf die Art wird geschriebenes Recht gesichert - und damit dafür gesorgt, dass gesellschaftliche Regeln durch Wahlen festgelegt werden können.

      • @Arne Babenhauserheide:

        Das ist Bullshit!

         

        Wird das "Gewaltmonopol" immer noch nicht, oder nicht mehr im Unterricht erklärt?

         

        Also: Es hat nichts mit Gewalt zu tun, sondern begründet hoheitliches Handeln. Nur sogen. Beliehene dürfen Freiheitsrechte Dritter vorübergehend einschränken. Gegen diese Maßnahme sind ex post Rechtsmittel möglich. Da mitunter Maßnahmen wg. Erstanordnungsbefugnis durchgesetzt werden. Für erlittenes Unrecht bleibt dann nur die Entschädigung..