Debatte Nordkorea: Der koreanische Mauerfall
Meint es Kim Jong Un ernst mit dem Ausstieg aus dem Atomwaffenprogramm? Einiges spricht dafür. Trump dürfte sich dafür feiern lassen.
N och im September des vergangenen Jahres bedrohten sich Nordkoreas Führer Kim Jong Un und US-Präsident Donald Trump gegenseitig mit atomarer Vernichtung. Und jetzt scheint all das vergessen und der Friede angebrochen zu sein, nicht nur zwischen den seit 65 Jahren bitter verfeindeten beiden Koreas, sondern auch zwischen Washington und Pjöngjang. Ein Wunder?
In der Politik gibt es keine Wunder. Auch der für die meisten Menschen völlig überraschende Fall der Berliner Mauer im November 1989 war erklärbar durch eine Reihe politischer, ökonomischer und ideologischer Faktoren. Dasselbe gilt für die nach allen Anzeichen der letzten Wochen erfreuliche Wende im Koreakonflikt.
Oder gibt es gar keine Wende? Skeptiker haben voller Misstrauen sofort darauf verwiesen, dass der nordkoreanische Führer schon zweimal in der Vergangenheit öffentliche Ankündigungen zur Einstellung des nordkoreanischen Atomwaffenprogramms nicht umgesetzt hat. Zudem sei das atomare Testgelände, dessen Schließung Kim Jong Un diesmal versprochen hat, ohnehin nicht mehr nutzbar.
Drei Umstände sprechen dafür, dass die Erklärungen aus Pjöngjang ernst gemeint sein könnten. Der wichtigste Umstand ist der zunehmende Druck Chinas auf Pjöngjang. In den vergangenen zwei Jahren hat Peking zum ersten Mal die Sanktionsbeschlüsse des UN-Sicherheitsrats gegen Nordkorea nicht nur wie in der Vergangenheit lediglich durch Enthaltung passieren lassen, sondern mehrfach mit Ja gestimmt und die Sanktionen gegen das Nachbarland auch umgesetzt.
ist seit 1988 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf. Er beschäftigt sich vorwiegend mit Themen der internationalen Politik, insbesondere: UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung sowie Ressourcenkonflikte.
Bilaterale Kontakte zwischen USA und Nordkorea
Zum Zweiten ist das Bestreben der südkoreanischen Regierung nach dauerhafter Entspannung und verbesserten Beziehungen mit dem nördlichen Nachbarn noch stärker ausgeprägt als zu Zeiten der „Sonnenscheinpolitik“, die der ehemalige Präsident Kim Dae Jung in den 90er-Jahren gegenüber Nordkorea begonnen hatte.
Der dritte Grund liegt im Verhalten der Regierung von Donald Trump. Hinter der Fassade seiner feindlichen Rhetorik und Kriegsdrohungen hatte der US-Präsident seinen inzwischen zum Außenminister aufgestiegenen CIA-Chef Mike Pompeo bereits Anfang des Jahres zu geheimen Sondierungen nach Pjöngjang geschickt und danach ein Treffen mit Kim Jong Un angekündigt, das nun spätestens Anfang Juni stattfinden soll.
Damit ist Trump dem elementaren Bedürfnis der Führung in Nordkorea nach direkten bilateralen Kontakten mit den USA und der damit verbundenen Anerkennung nachgekommen. Ein Bedürfnis, das zuletzt US-Präsident Bill Clinton im Jahr 1993 erfüllte.
Damals schockte Nordkorea die Hauptstädte der westlichen Welt und Japans mit seinem ersten atomaren Testversuch. Statt mit Sanktionen und Kriegsdrohungen zu reagieren, schickte Clinton seine Diplomaten nach Pjöngjang und ließ ein Abkommen aushandeln, das im Oktober 1994 in Genf unterzeichnet wurde. Das Abkommen enthielt neben Zusagen für die Lieferung von Nahrungsmitteln, verbilligtem Öl sowie von lediglich für nicht militärische Zweck der Energieerzeugung nutzbaren Leichtwasserreaktoren eine Nichtangriffsgarantie der USA für Nordkorea. Danach gab es acht Jahre lang keine Probleme.
Trump wird Zugeständnisse machen müssen
Erst nachdem Clintons Nachfolger George W. Bush im Januar 2002 diese Nichtangriffsgarantie aufkündigte, indem er Nordkorea gemeinsam mit Iran und Irak als „Schurkenstaaten“ und „Achse der Bösen“ brandmarkte und mit militärischen Präventivschlägen bedrohte, erklärte Pjöngjang den Austritt aus dem Vertrag über die Nichtverbreitung atomarer Waffen (NPT) und begann 2003 wieder mit Nukleartests. Die Obama-Administration setzte Bushs Sanktions- und Isolationspolitik gegenüber Nordkorea fort und verweigerte bilaterale Kontakte.
Sollte Pjöngjang die Forschung, Entwicklung und Tests von Atomwaffen tatsächlich verlässlich und überprüfbar einstellen, bleibt allerdings die Frage, was mit bereits einsatzfähigen Atomsprengköpfen des Landes passiert. Ohne Zusagen Kim Jong Uns für deren Verschrottung dürfte Pompeo nach seinen geheimen Sondierungen in Pjöngjang Trump kaum zu dem geplanten Treffen mit dem nordkoreanischen Führer geraten haben. Das ist zumindest sehr schwer vorstellbar. Möglicherweise wird das öffentliche Hauptergebnis dieses Treffens die Zusage Kim Jong Uns zur Verschrottung bereits existierender Atomwaffen sein, den Trump dann als seinen großen Erfolg feiern wird.
Nordkorea ganz nah
Dieses Ergebnis wird es allerdings kaum geben, ohne dass Trump im Gegenzug zumindest nichtöffentlich auch einige Zusagen macht. Der US-Präsident könnte die Nichtangriffsgarantie seines Vorgängers Clinton bekräftigen oder die Einstellung oder zumindest Reduzierung der gemeinsamen Militärmanöver der USA mit Südkorea versprechen. Denkbar wäre auch die Zusage, dass mit Atomwaffen bestückte Kriegsschiffe der USA künftig nicht mehr in südkoreanischen Häfen einlaufen.
Frieden mit Nordkorea, Krieg gegen Iran?
Verlässliche Sicherheit auf Dauer wird es mit Blick auf nordkoreanische Atomwaffen(programme) allerdings erst geben, wenn Nordkorea seinen Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag wieder rückgängig macht und ähnlich weitgehende Einschränkungen und internationale Kontrollen für sein ziviles Nuklearprogramm akzeptiert, wie der Iran das in dem 2015 vereinbarten Abkommen mit den fünf Vetomächten des UN-Sicherheitsrats und Deutschland getan hat.
Und hier liegt der böse Treppenwitz der Geschichte. Während Trump derzeit alles dafür unternimmt, das Iranabkommen zu zerstören, könnte er sich möglicherweise schon bald für die Durchsetzung ähnlicher Vereinbarungen mit Nordkorea feiern lassen. Und just dieser Entspannungserfolg im Konflikt mit Nordkorea könnte es dem US-Präsidenten innenpolitisch ermöglichen, militärisch gegen Iran vorzugehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“