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Debatte NeujahrsvorsätzeZu viel Geld macht auch nicht glücklich

René Hamann
Kommentar von René Hamann

Was bringt das neue Jahr? Hoffentlich Glück und positive Momente. Unser Autor macht sich Gedanken, mit welchen Vokabeln das gelingen kann.

Mit welchen Wünschen geht es ins neue Jahr? Vielleicht mit etwas mehr Gelassenheit Foto: dpa

N a? Auch schon wieder sämtliche Vorsätze fürs neue Jahr gebrochen? Doch wieder nicht widerstehen können und die erste Kippe, den ersten Alkohol, den ersten Burger einverleibt oder mit einer Tüte Chips vorm Fernseher die Darts-WM geschaut, statt draußen bei usseligem Wetter zu joggen?

Macht nichts, man muss auch gönnen. Das Glück wird kommen, allen gebrochenen Vorsätzen zum Trotz, davon gehen wir aus. Morrissey hat in einem der besten Popsongs des letzten Jahres vorgeschlagen, den Tag einfach mal im Bett zu verbringen. Da draußen warten eh nur Kastration und Entmannung, „while the workers stay enslaved“. „Life ends in death / So, there’s nothing wrong with / Being good to yourself.“ Wir haben ja nur das eine Leben, Leute.

Im Gegensatz zu vielen Kolleginnen und Kollegen, die sich in den sozialen Netzwerken empört zeigten, weil sie Morrisseys Satz zu den Nachrichten, „the news contrives to frighten you /To make you feel small and alone / To make you feel that your mind isn’t your own“, als faschistoides Lügenpresse-Diktum verstanden, war ich völlig einverstanden. Die Empörung der Kollegschaft, dachte ich, rührt aus Betriebsblindheit und einer Hybris her, die sie sich als Teil der Maschine begreifen lässt.

Sitzt man hingegen bloß zu Hause und zieht sich die Nachrichten rein, sieht man sich im Handumdrehen auf die eigene Passivität reduziert. Welt verrückt, regiert von Verrückten, und die Lösungen, die so einfach wären, werden von einem System verstellt und verhindert, das langsamer ist als eine Schnecke, die an der Haustür klingelt, weil man sie vor zwanzig Jahren einmal aus dem Garten geworfen hat: „Ey, was war das denn eben?“

Die Welt des Kapitals glänzt

Entschuldigung, kleiner Witz. Aber ernsthaft: Man sieht, was Krieg anrichtet, aber an der Rüstungsindustrie hängen Arbeitsplätze. Die Welt des Kapitals glänzt, wir wissen alle, dass das mehr Schein ist als Sein und dennoch enorme Anziehungskräfte entwickelt in den ausgebeuteten Regionen, in denen Elend herrscht, aber Herr Dobrindt behauptet allen Ernstes, die „hohen“ Sozialleistungen wären der Grund, warum sich so viele auf den Weg ins goldene Europa machen. Weswegen die hohen Sozialleistungen gekürzt werden müssten.

Terror und Sicherheitsterror, ominöse Bedrohungen, Ausbeutung, Umweltzerstörung und Rundumüberwachung: Wir leben in einem unendlich laufenden Betroffenheits-Video aus den achtziger Jahren. Oder wie es eine Kinderstimme in Prince’ apokalyptischen Popstück „1999“ von 1982 (sic!) formuliert: „Mummy! Why does everybody’s got a bomb?“

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Wobei Prince’ Lied über die mögliche letzte Nacht auf Erden ein gutes Beispiel für die andere Seite ist. Hier ist es dem Protagonisten nämlich egal, dass die Welt untergeht: „The sky was all purple, there were people runnin’ everywhere / Tryin’ to run from the destruction, you know I didn’t even care / Say say two thousand zero zero party over, oops, out of time / So tonight I’m gonna party like it’s nineteen ninety-nine.“ Party statt Verdruss, Sex statt Belästigung, Gönnen statt Verzicht, Optimismus statt Angst. „Die Abschaffung der Angst“, sagte Adorno, „ist die Aufgabe der Revolution“.

Die internationale Glücksforschung geht indes über den herkömmlichen oder politischen Hedonismus weit hinaus. Es gibt stapelweise Bücher, die Glücksforschung betreiben, vom vulgärpsychologischen Ratgeber bis hin zur ernsthaften Philosophie. Ein anerkannter Glücksforscher, der in Harvard lehrt, hat mit sechs Studenten angefangen und spricht jetzt vor mindestens 400, die sich hernach rundum glücklicher fühlen. Sein Buch „Glücklicher“ (der Mann heißt Tal Ben-Shahar) ist im Buchhandel erst ab 48 Euro zu haben. Noch so ein kapitalistischer Witz. (Für diesen Artikel hingegen haben Sie bereits bezahlt.)

Im Grunde sagen diese glücksformelsuchenden Bücher aber immer dasselbe. Gesundheit ist wichtig, Status auch, denn Geld braucht man, um gut genug leben zu können. Zu viel Geld hingegen macht auch nicht glücklich (verlängert aber das Leben). Was glücklich macht, ist geistige Herausforderung – das Hirn verlangt nach Nahrung und will noch bis ins hohe Alter weiterentwickelt werden. Relevanz ist wichtig, also die Erfahrung zu machen, selbst etwas bewirken zu können. Sinnhaftigkeit, Stimmigkeit. Und natürlich: Beziehungen. Gute Beziehungen sind das A und O.

In China beispielsweise erfüllte bis vor Kurzem noch die Familie diese Rolle. Ohne Familie keine soziale Anerkennung. Der real existierende Neoliberalismus hingegen ist über die Familie hinweg – hier ist jede*r sich selbst der Nächste. Doch ohne Beziehungen – berufliche und private – geht auch hier nichts.

Wut berät schlecht

Aber, sagen die Glücksforscher, es muss nicht immer die Familie sein oder die monogame Liebe. Es führen viele Wege nach Rom. Serielle, polygame, you name it, nur toxisch sollten diese Beziehungen nicht sein. Wir müssen unterscheiden, sagt ein Psychologe in der Welt, „welche Gefühle alt und welche der Situation angemessen sind. Durch das Zulassen von intensiver Nähe bei gleichzeitigem Erkennen unserer dennoch bestehenden erwachsenen Eigenständigkeit kann sogar fehlendes Urvertrauen nachreifen.“

Es ist gar nicht so einfach, ins Positive zu gehen. Auch für mich ist Wut ein Antrieb, ist das Ungenügen der Welt und der Leute um mich herum und nicht zuletzt meiner selbst ein Motor, der mich allmorgendlich den Rechner hochfahren lässt. Meinen Vorvorgänger-Laptop hatte ich in einem albern pathetischen Moment mit einem Aufkleber versehen, auf dem – in Anlehnung an Woodie Guthrie – „This machine kills fascists“ stand. Eine ironisch gemeinte Übertreibung mit romantisch wahrem Kern.

Wut aber ist kein gutes Wort – und meist kein guter Ratgeber. Wut verstellt den Blick, zieht alles ins negativ Emotionale. Wir müssen mehr Wörter verwenden, die das Glück fördern. In einem dieser beliebten Mems, die wellenhaft durch die sozialen Netzwerke ziehen, muss man aus einem arbiträren Buchstabensalat die Zukunft lesen – nach dem Motto: „Die ersten drei Wörter, die du erkennst, verraten es!“ Insofern kommt hier zum Abschluss eine Liste mit Wörtern, die 2018 ruhig öfter auftauchen sollten. Es ist eine Liste mit persönlichen Glücksformeln, durchsetzt mit Wörtern, die einfach so schön sind. Mögen sie öfter verwendet werden, in eigenen wie fremden Texten.

Also denn: Pool, Strand, Sex, Meinungsinsel, Licht, Employability, Resilienz, Zuneigung, die Sonne der wahren Empfindung, ja, ausschlafen, Amor, China, Japan, nassforsch, kampferprobt, Frustrationstoleranz, Stressabbau, Resort statt Ressort, Glücksbär, Kampfameise, Nichtabstiegsplatz, öffentlicher Nahverkehr, nein, lieblich, stattlich, aufrecht, ingeniös, Essen, Pop, Psychoanalyse, Autosuggestion, Dialektik, Vielehe, Fallrückzieher.

Frohes Neues.

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René Hamann
Redakteur Die Wahrheit
schreibt für die taz gern über Sport, Theater, Musik, Alltag, manchmal auch Politik, oft auch Literatur, und schreibt letzteres auch gern einmal selbst.
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7 Kommentare

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  • Den im Text genannten Psychologen Tal Ben Shahar kann man auch, auf Englisch, ganz kostenlos auf Youtube erleben. Dort sind seine sehr guten Vorlesungen zum Thema positive Psychologie vollständig abrufbar, einfach als Suchstring "harvard positive psychology" eingeben.

  • 4G
    4932 (Profil gelöscht)

    Sie sind ja weit klüger, als Ihr Namenskollege. Ich bin fasziniert. Und so ein Mann schreibt kostenlos für die taz.

     

    Ich lerne von Ihnen und stufe jetzt die Kant'schen und Hegel'schen Normen, die ich in der Schule noch gelernt habe zu schwachen Normen herab und fasse, trotzdem oder gerade weil ich ich schon älter bin, die Zeitrechnung als den dicksten Brocken zuerst ins Auge.

    Und ich nehme mir vor, im Jahr 2018 erst aufzustehen, wenn ich mag, so daß meine Selbstbestimmung die Norm bestimmt.

    Kleine Frage an den Philosophen: Kann ich vormittags auch schon Bier trinken, obwohl es natürlich nicht der Norm entspricht?

    • 4G
      4932 (Profil gelöscht)
      @4932 (Profil gelöscht):

      War als Hommage an Immanuel Kant gedacht. Ich hatte die Norm des Antwortens als schwach eingestuft und somit leider einen großen Fehler gemacht.

      • 4G
        42161 (Profil gelöscht)
        @4932 (Profil gelöscht):

        "Kann ich vormittags auch schon Bier trinken, obwohl es natürlich nicht der Norm entspricht?"

         

        Also, wenn Sie mich so direkt fragen: Ja klar! - aber nur ein halbes Glas und dann natürlich auch nur Malzbier ;)

         

        "War als Hommage an Immanuel Kant gedacht. Ich hatte die Norm des Antwortens als schwach eingestuft und somit leider einen großen Fehler gemacht."

         

        Macht nichts. Passiert mir auch immer wieder, vor allem am Sonntagmorgen nach zu viel Bier. Ohnehin: Irren ist menschlich und dabei auch noch schön. Im Fehler liegt die Freiheit!

        • 4G
          4932 (Profil gelöscht)
          @42161 (Profil gelöscht):

          All das ist erlaubt? Wunderbar. Danke.

          Ich habe einen guten Tag vor mir.

          Letzte Frage: Was heißt 'zuviel' Bier?

          Kann ich die Norm selbst bestimmen?

           

          (Und ich gestehe, ich war immer schon ein Bewunderer der Philosophen. Die wenigen Leute, die noch wirklich nachdenken. Das meine ich wirklich)

  • 4G
    42161 (Profil gelöscht)

    Der Grund, warum Neujahrsvorsätze häufig nicht funktionieren, ist die soziale Norm, an der sie sich ausrichten, denn was ist die Zeitrechnung anderes als eine soziale (und rechtliche) Norm? Wer Vorsätze fassen will, kann es jederzeit tun, heute, morgen, irgendwann, warum also gerade zu Neujahr?

     

    Warum sollte man überhaupt Vorsätze fassen? Weil man mit etwas unzufrieden ist, klar, aber warum ist man unzufrieden? Auch klar, weil es Normen gibt, hauptsächlich soziale Normen. Du sollst nicht zu viel rauchen oder besser überhaupt nicht rauchen, du sollst nicht so viel essen, trinken, fluchen, du sollst mehr mit der Bahn fahren, weil es besser für die Umwelt ist...die Liste ist lang. Wenn der Vorsatz besteht, etwas zu ändern, dann deshalb, weil man einer Norm entsprechen will, an die man sich vorher nicht gehalten hat, auf die man gepfiffen hat.

     

    Die Zeitrechnung ist unter den Normen die Kaiserin, sie zu hinterfragen, an ihr zu rütteln oder sie gar zu stürzen, das wagt kaum ein Mensch, die Zeitrechnung ist tief im Menschen verankert, sie ist ein Teil seiner Biologie.

     

    Wenn Unzufriedenheit besteht, weil Normen mißachtet wurden, und Vorsätze zu Neujahr gefaßt werden, dann wird damit nur eine Norm über die andere gestellt, dann soll die starke Norm die schwache überlagern und das Selbst besiegen. Deshalb funktionieren die Vorsätze oft auch nicht, denn wenn auf die schwachen Normen gepfiffen wurde, man sich darüber hinwegsetzte, warum sollte man es mit einer starken Norm nicht auch so machen?

     

    Wer gute Vorsätze fassen will, sollte also zunächst die Norm in Frage stellen, und was liegt da näher, als mit der Zeitrechnung den dicksten Brocken zuerst ins Auge zu fassen? Natürlich läßt sich die Zeitrechnung nicht mal eben so ändern, aber es läßt sich der Zeitpunkt selbst bestimmen, was sicherlich besser ist, weil damit nicht die Norm das Selbst bestimmt, sondern die Selbstbestimmung die Normen der Vorsätze.

  • Für das neue Jahr alles Gute: Märchensteuersenkung, Erbschaftssteuer, Vermögenssteuer, Kapitalverkehrskontrollen... :-)