Debatte Neue EU-Führung: Brüsseler Spitzen

Mit dem Reformvertrag von Lissabon soll alles besser werden. Doch das neue Leitungsduo bringt noch keine Ordnung ins Kompetenzchaos.

Wochenlang war die Kläranlage im Brüsseler Norden defekt. Ungehindert floss der Dreck von mehr als einer Million Menschen in die kleine Senne und von dort weiter in die Schelde und ins Meer. Die flämischen Behörden wurden von der Region Brüssel tagelang nicht über den Umweltskandal informiert, obwohl in Flandern die Fische schon mit den Bäuchen nach oben schwammen. Belgien hat seit der letzten Wahl praktisch keine Zentralregierung mehr, und die Regionen reden nur miteinander, wenn es sich überhaupt nicht vermeiden lässt.

Als belgischer Ministerpräsident hat Herman Van Rompuy ein Jahr lang versucht, Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Insider sagen, das sei ihm nicht schlecht gelungen. Die übrigen 26 Regierungschefs wählten ihn zum neuen Ratspräsidenten, weil er als Vertreter eines kleinen Landes nicht über die Stränge schlagen wird. Außerdem gilt er als umgänglich und bescheiden und kennt sich gut mit politischen Strukturen aus, deren Kompetenzen nicht eindeutig abgegrenzt sind.

Doch schon nach wenigen Wochen im neuen Amt zeigt sich, dass man den schmächtigen Belgier nicht nur nett finden sollte. Den ersten Schock erlebten die Außenminister, auch der gerade erst ins Außenamt berufene deutsche Liberale Guido Westerwelle. Denn sein erster EU-Gipfel im November, bei dem der neue EU-Präsident Van Rompuy und die EU-Außenministerin Catherine Ashton gewählt wurden, könnte auch schon sein letzter gewesen sein. Beim Gipfel im Dezember, der nach den neuen Spielregeln von Lissabon ablief, waren nur noch die Regierungschefs geladen. Van Rompuy behält sich die Entscheidung vor, wann andere Fachminister dazugebeten werden - vielleicht auch gelegentlich die Außenminister.

Seit 1986 ist Spanien Mitglied der EU. Erst dreimal hat das Land die Ehre gehabt, an der Spitze der Union zu stehen. Am 1. Januar beginnt die vierte Ratspräsidentschaft - aber der Lissabon-Vertrag sorgt dafür, dass der Nationalstolz sich dieses Mal wird bescheiden müssen. Die Spanier wissen, dass sie dem neuen Ratspräsidenten nicht die Schau stehlen dürfen. Um Zweifel auszuräumen, erklärte Außenminister Moratinos bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel, sein Land strebe keine nationalistische, sondern eine europäische Ratspräsidentschaft an.

Trotzdem brachte er eine lange Liste mit, auf der sämtliche EU-Termine verzeichnet sind, die dann doch im Lauf der kommenden sechs Monate auf spanischem Boden stattfinden sollen. Allein sieben Gipfeltreffen haben die Spanier eingeplant - darunter in Madrid eines mit US-Präsident Obama und eines mit den Ländern Lateinamerikas. Selbstverständlich werde Herman Van Rompuy der Hausherr bei diesen Treffen sein, beeilte sich Moratinos in Brüssel zu versichern. Spaniens Premier Luis Zapatero werde ihm allenfalls helfend zur Seite stehen.

Doch alte Gewohnheiten und Reflexe verschwinden nicht mit einer Vertragsunterzeichnung. Das nun anbrechende spanische Halbjahr trägt nicht die Handschrift Van Rompuys. Vielmehr steht wie schon bei den letzten drei spanischen Ratspräsidentschaften Lateinamerika ganz oben auf der Tagesordnung. Das spiegelt die enge Bindung Spaniens an die einstigen Kolonien. Die vielen Treffen mit nordafrikanischen Ländern wiederum sind der geografischen Orientierung der Iberer Richtung Mittelmeerraum geschuldet. Außerdem nutzt Madrid die europäische Bühne, um sein ramponiertes Verhältnis zu den USA bei einem Gipfeltreffen mit Barack Obama zu kitten.

Es wird von Van Rompuys und Ashtons Durchsetzungsvermögen abhängen, die nationalen Alleingänge schrittweise durch eine europäische Agenda abzulösen. Erschwert wird das durch viele Grauzonen im neuen Vertrag und durch ein von vornherein angelegtes Kompetenzchaos. Denn die Botschaftertreffen und die Fachministerräte zu Fragen wie Fischerei, Finanzen oder Energie bleiben auf Dauer in nationaler Regie.

Über die Details, wer genau für was zuständig sein soll, schweigt sich der Lissabon-Vertrag aus. In Brüssel heißt es, den neuen Inhabern der Spitzenposten und den 2010 amtierenden nationalen Präsidentschaften Spanien und Belgien komme enorme Bedeutung zu, da sie den neuen Stil der Zusammenarbeit prägen könnten. Wahrscheinlich ist, dass Europa künftig nicht etwa markanter mit einer Stimme spricht, sondern dass das Gerangel schlimmer wird als vor der Reform. Van Rompuy jedenfalls hat erst einmal eine Arbeitsgruppe gegründet, um die praktischen Fragen zu klären.

Auch die neue Außenministerin muss sich gegen Begehrlichkeiten der anderen Institutionen zur Wehr setzen. Kommissionschef Manuel Barroso sorgt mit dem Zuschnitt der Portfolios seiner Kommissare dafür, dass er außenpolitisch einen Fuß in der Tür behält. Gleich zwei neue Ressorts sollen sich um Themen kümmern, die eigentlich in Ashtons Zuständigkeit fallen: Der Lette Andris Piebalgs wird Entwicklungskommissar. Die Bulgarien Rumiana Jeleva soll für humanitäre Hilfe und Krisenprävention zuständig sein. Auch Erweiterung und Nachbarschaftspolitik wird weiterhin in der EU-Kommission betreut - von dem Tschechen Stefan Füle.

Das bedeutet, dass auch nach der Vertragsreform ein gewaltiger Apparat gut ausgebildeter Kommissionsbeamter mit außenpolitischen Themen befasst sein wird. Über wie viele Mitarbeiter Ashton verfügen kann, ist hingegen noch völlig offen. Ende März will sie ein Papier vorlegen, wie ihr neuer diplomatischer Dienst strukturiert sein soll. Er soll sich zu je einem Drittel aus nationalen Beamten, ehemaligen Mitarbeitern ihres Vorgängers Javier Solana und Kommissionsbeamten zusammensetzen. In Zeiten knapper Kassen kann Ashton nicht mit zusätzlichen Mitteln rechnen, sondern muss erreichen, dass Ressourcen aus anderen Abteilungen für sie umgeschichtet werden. Van Rompuy soll einen eigenen kleinen Mitarbeiterstab erhalten. Er wird wie ein Löwe kämpfen müssen, damit ihm die Regierungschefs nicht schon das Wasser abgraben, bevor er richtig mit der Arbeit begonnen hat. DANIELA WEINGÄRTNER

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