piwik no script img

Debatte Moscheeverbände in DeutschlandImmer auf Kontrolle bedacht

Kommentar von Eren Güvercin

Der steigende Einfluss der Türkei auf die Vereinigungen verheißt nichts Gutes. Nationalistische Tendenzen sind erkennbar. Geht es noch um Religion?

Die Religion ist nur noch Mittel zum Zweck Foto: dpa

V or 11 Jahren setzte der damalige Bundesinnenminister Schäuble mit der Deutschen Islamkonferenz ein Zeichen: Die staatliche Zusammenarbeit mit den muslimischen Organisationen sollte eine vernünftige Basis schaffen. Die von Sicherheitsthemen dominierte Agenda und teils fragwürdige Teilnehmer der ersten Runde waren wenig förderlich für ein gesundes Debattenklima. Erst in der dritten Phase der Konferenz nahm die Politik die Einwände der Muslime ernst, man konzentrierte sich – unter dem Eindruck der steigenden Flüchtlingszahlen – vor allem auf das Potenzial der muslimischen Verbände auf dem Feld der sozialen Arbeit.

Die Förderung der Flüchtlingsarbeit in der muslimischen Community sollte mittelfristig zu einem islamischen Wohlfahrtsverband führen. Die letzte Islamkonferenz, die vor einigen Wochen zu Ende ging, zeigte aber, dass die Verbände es nicht schaffen, eine gemeinsame Linie in dieser Frage zu finden. Obwohl politische oder theologische Standpunkte in der sozialen Arbeit kaum Relevanz haben sollten, waren die Verbände nicht in der Lage, ein gemeinsames Konzept vorzulegen. Kurz vor dem Ende dieser Gespräche scherten drei Mitglieder des Koordinationsrats der Muslime (KRM) aus und stießen die anderen Teilnehmer der Konferenz inklusive des KRM vor den Kopf, indem sie den „Verband Muslimischer Flüchtlingshilfe“ gründeten.

Eine Fortführung der Islamkonferenz wird es sicher auch unter der neuen Regierung geben. Aber mit den großen Verbänden allein wird sie nicht funktionieren. Woran liegt das?

Basisarbeit ist Mangelware

Die wichtigsten KRM-Mitglieder– der Zentralrat der Muslime in Deutschland, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland und der Verband der Islamischen Kulturzentren – wirken zunehmend bremsend und auf Kontrolle ausgerichtet, trotz des enormen Potenzials ihrer eigenen Basis. Tatendrang und Konzepte für die Umsetzung wichtiger Basisarbeit sind Mangelware. Man beobachtet überhaupt eine Stagnation, ja sogar eine Rückentwicklung – vor allem bei den türkisch dominierten Verbänden.

Besonders viel wird über die Ditib diskutiert, aber die Entwicklungen in der Türkei und die Debatten darüber haben bei allen türkischen Verbänden eine Entwicklung angestoßen, die sie wieder in die 90er Jahre zurückfallen lässt. Denn Ankara blickt auf die religiösen türkischen Verbände in Deutschland nicht als Religionsgemeinschaft, sondern als Lobbyisten der Türkei.

In den letzten Jahren ist eine Verschmelzung der inhaltlichen und ideologischen Unterschiede türkisch-islamischer Verbände zu verzeichnen, die es so früher nicht gab. Der neu erstarkende Nationalismus in der Türkei spielt dabei eine wesentliche Rolle. Während die Verbände nicht in der Lage sind, zu relevanten Fragen muslimischen Lebens in Deutschland gemeinsam und mit derselben Leidenschaft Stellung zu beziehen, gibt es eine einheitliche Positionierung zu Türkei-Themen. Ankara dürfte stolz auf diese Entwicklung sein – nur den hier lebenden Muslimen und ihren Interessen ist damit kein Gefallen getan.

Ein Verband, der die eigene Jugend als Gefahr sieht, kann kein Zukunftsmodell für einen Islam in Deutschland anbieten

Symbolisch ist diese demonstrative nationale Einheit sehr bedeutsam, weil sie eins verdeutlicht: Die türkischen religiösen Verbände brauchen den Koordinationsrat der Muslime nicht mehr. Koordiniert wird jetzt unter Türken. Überhaupt ist der KRM längst am Ende. Zu zentralen Fragen gibt es schon seit Langem keine inhaltliche Arbeit mehr. Nicht mal der Internetauftritt koordinationsrat.de funktioniert noch. Man könnte meinen, beim Koordinationsrat der Muslime handele es sich um eine Briefkastenfirma, eine Konstruktion, deren Verfallsdatum schon lange überschritten ist.

Nationale Identität statt Religion

Immer mehr bekommt man den Eindruck, dass nicht mehr Religionsausübung Vereinszweck ist, sondern die Bewahrung und Weitergabe natio­naler Identität. Dazu gehört die Erzählung, dass „der Türke“ in den Moscheeverbänden die letzte Festung des Islam verteidige. Das heißt: Nationalistische Identitätsbildung ist Grundvoraussetzung und Ziel der Vereinstätigkeit. Religion ist nur Mittel zum Zweck.

Die türkischen Verbände haben das Ziel Religionsgemeinschaft faktisch aufgegeben. In den Diskussionen in der Islamkonferenz haben sie sich wiederholt überfordert gezeigt. Sie wissen nicht, wie sie diese Rolle ausfüllen sollen, weil ihnen die Hinwendung zur deutschen Gesellschaft und das Bewusstsein fehlt, Gestalter dieser Gesellschaft im Ganzen zu sein. Da kommt die Rückbesinnung auf die Rolle des identitätsbewahrenden Verwalters einer entlegenen türkischen Provinz gerade recht. Die Rolle kennen sie, die Rolle können sie.

Eren Güvercin

ist Journalist und Autor. Unter anderem erschien von ihm „Neo-Moslems – Porträt einer deutschen Generation“ (Herder Verlag). Er ist Mitglied im Beirat des Forums Offene Religionspolitik e. V. und Mitinitiator von freitagsworte.de, einem Blog zum Islam in deutscher Sprache.

Die Anliegen der Muslime in Deutschland zu vertreten – und zwar aus dem Selbstverständnis heraus, deutsche Muslime zu sein –, an dieser Aufgabe sind sie gescheitert. Akteure innerhalb dieser Verbände, die auf diese Missstände hinweisen und gesellschaftlich ambitioniert sind, werden aussortiert. Eines unter vielen Beispielen ist der geschlossene Rücktritt beim Bundesjugendverband der Ditib. Nach internen Querelen und Druck sah der junge und ambitionierte Vorstand keinen anderen Ausweg mehr, als unter Protest zu gehen.

Statt den Gemeinden vor Ort mehr Freiraum und Möglichkeiten zu geben, flüchten sich die Verbände in eine noch stärkere Zentralisierung und Kontrolle. Jeder selbstkritische Diskurs soll im Keim erstickt werden. Auch strukturell gibt es erste Veränderungen: In der Ditib wurden die Landesverbände faktisch entmachtet und an die Zentrale gebunden. Die wichtige Jugendarbeit untersteht jetzt direkt dem Ditib-Vorsitzenden. Denn dort lauert – in den Augen der Funktionärsgarde – die größte Gefahr.

Ein Verband, der die eigene Jugend als Gefahr sieht, kann kein Zukunftsmodell für einen Islam in Deutschland anbieten. Das mag hart klingen und überspitzt formuliert sein. Aber manchmal muss man die Dinge auch schonungslos ansprechen. Denn für mich als Muslim sind die Moscheegemeinden eine Herzensangelegenheit.

Über diese Entwicklungen muss diskutiert werden. Schließlich geht es um die Zukunft muslimischen Lebens in Deutschland.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Auch wenn der Vergleich vielleicht weit hergeholt und nicht angemessen ist, aber irgendwie kam er mir beim Lesen. Mich erinnert das Verhalten der DITIB irgendwie auch an Sachsen, der nationalistische Freistaat, der mit allen Mitteln versucht, nicht (wirklich) zur Bundesrepublik dazu gehören zu wollen, weil sie "anders"/besser oder alternativ mehr "Opfer" oder Ostdeutschland sind. Auf jeden Fall ja keine Diskussionen und Transparenz, das wäre gefährlich (und ungewohnt). Kontrolle ist auch hier das Mittel der Wahl und ist auch hier vielen das vertraute(re) aus eben der Zeit vor den 90ern, der DDR, wo alles zentral geregelt und bestimmt wurde. Ja, auch dort und damals gab es Freigeister, aber die gibt es ja auch unter Moslems in Deutschland und überall auf der Welt.

     

    Manchmal kommt es mir vor, als wenn Sachsensein einer Religion zugehörig zu sein gleicht. Und genau so gehen viele ja leider auch auf die Straße, obwohl sie nicht religiös sind, aber gegen den Untergang des/ihres Abendlandes und gegen den Islam bzw. die Islamisierung demonstrieren.

     

    Sorry für den Ausflug! Ich finde den Beitrag über die Innenansicht der türkisch-religiöser Vereine in D sehr gut und interessant und möchte ihn nicht relativieren.

  • Wenn und soweit der Einfluss der Türkei auf die DITIB so groß ist, sollte geprüft werden, ob die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit erfüllt sind. Wenn dies nicht der Fall sein sollte, sollte die Gemeinnützigkeit aberkannt werden und das rechtlich gebundene Eigentum an eine andere gemeinnützige Oranisation übertragen werden. Mit allen damit verbundenen politischen Konsequenzen.

  • „die Europäer“ (vertreten durch – natürlich ganz demokratisch – mit der entsprechenden Macht ausgestattete Ton-Angeber), die in eben jener Religion zuerst ein Mittel zum Zweck gesehen haben.

     

    wo haben sie das denn her?

     

    Geschichtlich lässt das nicht halten.

    • @Justin Teim:

      war an Mowgli gerichtet.

  • „Ankara blickt auf die religiösen türkischen Verbände in Deutschland nicht als Religionsgemeinschaft, sondern als Lobbyisten der Türkei“ ist mit Sicherheit richtig und es ist auch nicht neu.

     

    Statt darüber zu reden, sollte die Bundesregierung direkt handeln. Solange die Imame von Erdogan bezahlt werden, wird er sie auch für sich benutzen.

     

    Solange Islam statt als eine Religion als Ideologie eingesetzt wird, was Erdogan mit DITIB versucht, wird es keine Spannung abgebaut.

     

    Außerdem wenn die Bundesregierung den Islam als Religion zulassen würde, hätten wir automatisch die Rolle DITIB’s und damit auch die Rolle von Erdogan in dem Zusammenhang beendet.

  • Zitat: “Nationalistische Identitätsbildung ist Grundvoraussetzung und Ziel der Vereinstätigkeit. Religion ist nur Mittel zum Zweck.“

     

    Sieht aus, als hätten „die Türken“ von „den Europäern“ das Siegen gelernt. Frei nach dem Motto: Wie Du mir, so ich dir. Schließlich waren es „die Europäer“ (vertreten durch – natürlich ganz demokratisch – mit der entsprechenden Macht ausgestattete Ton-Angeber), die in eben jener Religion zuerst ein Mittel zum Zweck gesehen haben.

     

    Wären „die Türken“ nicht mit Verweis auf ihren – angeblich nicht mit abendländischen Werten kompatiblen – Glauben über Jahre hinweg immer wieder abgewiesen worden an der EU-Beitritts-Tür, hätten sie sich womöglich gar nicht derart stark auf ihre angebliche nationale Identität besonnen. Sie hätten dann auch nicht Herrn Erdogan damit beauftragt, „den Europäern“ mal zu zeigen, was sie letztendlich haben von ihrer verdammten abendländischen Arroganz.

     

    Aber ich weiß schon: Das, nicht wahr, kann alles nicht sein. Das ist nur das Hirngespinst einer Person, die keine Ahnung hat von „großer Politik“. Sie wüsste sonst: Fehler können nur die Anderen machen, der Westen“ nicht. „Der Westen“ wird ja schließlich von den „richtigen“ Leuten repräsentiert. Von Leuten, die nur deswegen da sind, wo sie sind, weil sie Gott gefallen haben in ihrer absoluten Perfektion.

     

    Ja, wir haben es tatsächlich sehr mit der Tardition, wir christlichen Abendländer! Vor allem mit unserer eigenen. Über die Entwicklungen, die andere nehmen, „muss diskutiert werden“. Über unsere eigene nicht. Schließlich geht es ja nur „um die Zukunft muslimischen Lebens in Deutschland“.

     

    Wenn diese Muselmänner partout nicht machen, was sie machen sollen, setzen wir sie halt wieder vor die Tür. Notfalls gewaltsam. Das dient dann ganz sicher wieder unserer eigenen, zuletzt etwas vernachläsigten „nationalsitischen Identitätsbildung“, wenn auch nicht unbedingt dem Weltfrieden. Aber das, nicht wahr, ist „uns“ egal. Viel Feind, viel Ehr'.

    • @mowgli:

      „die Europäer“ (vertreten durch – natürlich ganz demokratisch – mit der entsprechenden Macht ausgestattete Ton-Angeber), die in eben jener Religion zuerst ein Mittel zum Zweck gesehen haben.

       

      wo haben sie das denn her?

       

      Geschichtlich lässt das nicht halten.