Debatte Manipulation und Migration: Vom Nutzen der Mafia
Weil eine restriktive Migrationspolitik durchgesetzt werden soll, wird die Kriminalität mafiöser Strukturen in den Fokus gerückt.
I m Wahlprogramm der CDU (ebenso wie in der Debatte Merkel– Schulz) fehlt der Allgemeinplatz nicht, dass „den Schleppern das Handwerk gelegt werden muss“, ihre menschenverachtenden Aktivitäten müssten energisch bekämpft werden und das Sterben im Mittelmeer müsse aufhören. Leider wissen wir ja, dass dies nicht nur hohle Phrasen sind. Vielmehr sind wir mit gedanklichen Verrenkungen europäischer Regierungen konfrontiert, die weiteres Sterben zur Folge haben werden.
Nur vielleicht ein klein bisschen weiter weg, nicht mehr direkt vor den Stränden Siziliens. Der europäische Schutzwall gegen Migration steht, Grenztruppen mit Schießbefehl sind angeheuert – praktischerweise kriegt die CDU ihr Wahlprogramm in diesem Punkt sogar noch vor den Bundestagswahlen umgesetzt. Und die italienische Regierung muss sich bei den Wahlen Ende 2017 oder Anfang 2018 nicht mehr gar so sehr vor den Rechtspopulisten des Movimento Cinque Stelle fürchten.
Hauptsache abgewehrt
Wie konnte es zu der Verdrehung kommen, dass das kriminelle Geschäft der Schleuser nun die Debatte bestimmt – und zwar so weit, dass sogar renommierte internationale NGOs plötzlich als die „Bösen“ dastehen, weil sie angeblich das Schleppergeschäft fördern? Über die italienische Marine mit ihrer Rettungsoperation „Mare Nostrum“ von Oktober 2013 bis Oktober 2014 hätte man das schließlich auch mit Fug und Recht sagen können.
Aber zu der Zeit stand das grundlegendste aller Menschenrechte im Fokus: das Recht auf Leben. Dass die Mafias an der Unterbringung der von der Marine an Land gebrachten Geflüchteten massiv verdient haben, wurde damals nicht größer thematisiert, obwohl man es bereits annehmen konnte, nicht nur in Italien, sondern wahrscheinlich auch in Berlin.
Das Sprechen über Mafias/Schlepper/Menschenhändler ist nützlich geworden: Wir können uns jetzt auf der guten Seite fühlen, weil ja endlich etwas gegen ihr kriminelles Geschäftsmodell getan wird. Egal, ob das so überhaupt klappt. Und egal, dass dabei der Zweck der Kriminalitätsbekämpfung menschenrechtsverletzende Mittel heiligt: Hauptsache die Migration wird abgewehrt.
Diese Diskursstrategie hat sich seit 2014 angekündigt. Die europäische Polizeiaktion „Mos Maiorum“ unter der italienischen EU-Ratspräsidentschaft koordiniert vom damaligen italienischen Innenminister Angelino Alfano war nicht nur ein europaweites Racial-Profiling-Projekt zur Ergreifung illegalisierter Migrant_innen. Vielmehr war erklärtes Ziel eben auch die Zurückdrängung krimineller Organisationen. Die gedankliche Verbindung war gemacht, noch während andernorts die staatliche Rettungsaktion „Mare Nostrum“ lief. Als dann Anfang 2015 der wegen Bedrohung und Beleidigung von Antimafiaaktivist_innen verurteilte Produzent Francesco Sbano zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk eine Doku drehte über „Migranten im Netz der ’Ndrangheta“ konnten einem klar werden, dass sich hier eine diskursive Verbindung verfestigen sollte.
Instrumentalisierter Kampf
Über die Mafias zu reden, ist einfach zu nützlich, um eine menschenrechtsfeindliche Antimigrationspolitik durchzusetzen. Auch nachdem der Ex-Berlusconi-Intimus Alfano als Innenminister vom kalabrischen Sozialdemokraten und vormaligen Geheimdienstkoordinator Marco Minniti abgelöst wurde, ging die Strategie der Verbindung der Themen Flucht/Migration und Mafias/Schlepper weiter. Während alledem träumte Bundesinnenminister de Maizière seinen so lange als aberwitzig erscheinenden Traum von „Hotspots“ in der Wüste Libyens – zuletzt taten die Minister Minniti und de Maizière das ja auch gemeinsam im Juli auf einer Konferenz der italienischen Botschaft und des Vereins „Mafia? Nein Danke!“ in Berlin.
Die angebliche Bekämpfung krimineller, oftmals mafiöser Strukturen von Schlepperei und Menschenhandel werden auf durchsichtige Weise instrumentalisiert, um eine andere Migrationspolitik durchzusetzen. Der Test, ob es politischen Akteur_innen ernst ist mit der Bekämpfung dieser schweren Straftaten, wäre dabei sehr einfach: Werden Betroffene von Menschenhandel und die Opfer entsprechender Straftaten mit ihren Menschenrechten ernst genommen, oder nicht?
Die deutschen Strafrechtsparagraphen § 232 ff StGB, die EU Richtlinie 2011/36/EU und andere internationale Vertragswerke geben einen Rahmen vor, in dem sich die Debatte auch bewegen könnte. Unter anderem gibt es dort an verschiedenen Stellen Regeln zum Opferschutz. Es wäre nicht nur möglich, diese ernst zu nehmen, eigentlich wäre das sogar rechtlich geboten. Aber der politisch gewollte Ansatz eines Täter-Fokus beim Diskurs zur oftmals mafiösen Schlepperei drängt alles andere zur Seite.
In Deutschland gibt es fast fünfzig Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel, die in dem europaweit einmaligen KOK – Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e. V. zusammengeschlossen sind. Die dort arbeitenden Expertinnen nehmen die Betroffenen mit ihren Menschenrechten ernst und haben sich über viele Jahre eine öffentlich zugängliche breite Expertise zu diesem Themenkomplex erarbeitet.
Nützlicher Fokus
Eine neue Bundesregierung könnte sich ja eine zentrale Forderung aus der Praxis zu eigen machen, um so auf eine menschenrechtsbasierte Art und Weise gegen kriminelle, oftmals mafiöse Netzwerke von Schlepperei und Menschenhandel vorzugehen: dauerhafte Aufenthaltstitel für Personen, die in Situationen von Menschenhandel leben und zu Opfern krimineller Handlungen geworden sind. Eigentlich sollte es ja im Sinne der Strafverfolgungsbehörden sein, sich des guten Willens dieser Expert_innen des Alltags im Menschenhandel zu vergewissern. Wie viel leichter wäre es dann auch, an hilfreiche Informationen zu kommen, anstatt durch das Auslesen von Mobiltelefonen nun auch noch Persönlichkeitsrechte im Bereich des Datenschutzes zu verletzen …
Aber die täterfokussierte Art, wie der Diskurs zu krimineller und mafiöser Schlepperei zur Zeit in Deutschland, Italien und Europa geführt wird, ist einfach zu nützlich, damit wir es endlich schaffen, Migration abzuwehren.
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