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Debatte Krieg im IrakDie kurdischen Eliten versagen

Kommentar von Mufid Abdulla

Tausende Jesiden sind im Irak auf der Flucht. Der „Islamische Staat“ hat zahllose von ihnen ermordet. Das ist auch die Schuld des Präsidenten Barsani.

Jesidische Kinder in einem irakischen Flüchtlingscamp an der Grenze zur Türkei. Bild: dpa

A ls im Juni der Krieg losging, „Islamischer Staat“ (IS) die Stadt Mossul einnahm und begann, sich im gesamten Irak auszubreiten, war der Präsident von Kurdistan-Irak gerade im Ausland und dachte nicht daran, seine Reise abzubrechen. Auch seine Partei, die Kurdische Demokratische Partei (KDP), kümmerte der Siegeszug von IS wenig. Stattdessen füllte sie zügig das Vakuum, das die fliehende irakische Armee hinterlassen hatte, mit Kämpfern der kurdischen Armee, der Peschmerga.

Man wollte die Gelegenheit nutzen, um Kirkuk und andere außerhalb von Kurdistan-Irak liegenden und entsprechend umstrittene Gebiete zu erobern. Gegenüber IS verhielt sich die Kurdische Regionalverwaltung (KRG) defensiv. In die Kämpfe zwischen Schiiten und Sunniten wolle man sich nicht einmischen. Das ist nicht unser Krieg, so der Präsident Massud Barsani. Diese Einschätzung hat sich spätestens jetzt als fatal erwiesen.

Mitte Juni versuchte IS, Bagdad einzunehmen. Nur die Intervention der iranischen Quds-Armee und der US-Truppen verhinderte einen Sieg. Barsani aber erfasste die Brisanz der Lage noch immer nicht. Der Expansionismus von IS entging ihm weiterhin. Wie ist das möglich: Quasi nebenan werden Menschen reihenweise abgeschlachtet, Zigtausende fliehen und man fragt sich nicht: Wann sind wir an der Reihe?

Mufid Abdulla

ist Herausgeber der Kurdistan Tribune, die sich als demokratische und unabhängige Plattform für Nachrichten und Diskussionen zu kurdischen Anliegen versteht. Abdulla wurde 1963 im Süden Kurdistans geboren, er studierte an der Universität in Mossul. 1987 schloss Abdulla sich der kurdischen Bewegung an, seit 1988 lebt er in London.

Als IS dann am 2. August die kurdische, von Jesiden bewohnte Stadt Sindschar angriff, zog die KDP ihre Truppen kampflos ab. UN-Nachrichtendienste bestätigen das. Womöglich Zehntausende jesidische Kurden mussten in die Berge von Sindschar fliehen, um sich gegen diese Truppen der Finsternis zu schützen. Etwa 1.000 Jesiden wurden in der Sindschar-Stadt ermordet. Laut einiger Berichte soll IS auch 500 Frauen gefangen genommen haben, um sie als Sklavinnen zu verkaufen.

Was Barsani und sein Sicherheitsapparat ignoriert haben: IS folgt der gleichen auf Völkermord abzielenden Ideologie wie die Anhänger der Baath-Partei, die in den späten 80ern in Anfal 182.000 kurdische Dorfbewohner ermordeten. Niemals werden die jesidischen Kurden der KDP diesen historischen Fehler verzeihen. Es wird Jahre dauern, bis sie sich von den fürchterlichen Ereignissen erholt haben.

Kurdistan ist total korrupt

Die sich dieser Tage unter unseren Augen ereignende Katastrophe hätte verhindert werden können. Doch die gegenwärtige kurdische Regionalverwaltung und sämtliche Kader der von Barsani geführten Kurdischen Demokratischen Partei haben es versäumt, die Peschmerga angemessen auszurüsten und zu trainieren. Warum zum Beispiel gab es in Maxmur keine Militärbasis?

Der Chef der christlichen Partei Kurdistans, Dschunadan Kanna, sagte gegenüber der Sunday Times, die Leute seien geflohen, weil sie nicht darauf vertrauen konnten, dass die Perschmerga sie beschützen könnte. „IS-Kämpfer geben ihr Leben dafür, um mit dem Propheten Mohammad zu Mittag zu essen. Die Peschmerga-Kämpfer geben ihr Leben dafür, um mit ihren Frauen und Kindern zu Abend zu essen.“ Nur einige wenige Einheiten sind dem Kampf gegen IS gewachsen. Schuld daran sind aber nicht die Soldaten, sondern es ist die systematische Korruption der KRG.

Nehmen wir den Neffen des Präsidenten, Sirwan Barsani. Sein Name steht exemplarisch für die notorische Korruption in der Hauptstadt Erbil und in ganz Kurdistan-Irak. Niemand von den Leuten auf der Straße glaubt daran, dass sich dieser Multimillionär für Kurdistan aufopfern würde. Der Rückzug von IS-Truppen aus Maxmur und Gwer ist allein das Ergebnis der US-amerikanischen Luftschläge.

Ich will unsere Truppen nicht schlechtreden, doch wir sollten uns klarmachen, dass sie bislang noch keine wirkliche Schlacht gewonnen haben. Gerade erst verloren die Einheiten der Patriotic Union of Kurdistan (PUK) nach täglichen Angriffen in den letzten Monaten die Kontrolle über Dschalula. Die kurdische Regionalverwaltung verdammte die irakische Armee dafür, dass sie Mossul nach wenigen Stunden verloren hatte, doch das Versagen der Truppen der Kurdischen Demokratischen Partei in Sindschar war noch größer. Experten gehen davon aus, dass die PKK und die Kämpfer der syrischen kurdischen Truppen, der PYD/YPG, aus dem Norden und Westen Kurdistans Sindschar werden befreien müssen.

Wir müssen uns selbst schützen

Viele von uns, die im kurdischen Unabhängigkeitskampf seit Jahren kämpfen, haben schon viel Schreckliches gesehen. Aber jetzt will es mir einfach nicht in den Kopf, nach all dem, was wir Kurden erleiden mussten, dass jetzt Kurden in Sindschar wegen der Hitze und vor Hunger sterben und weil es kein Wasser gibt. Ich dachte, wir hatten schon genügend Tragödien und Massaker in unserer Geschichte. Dass eine Gruppe wie IS unsere Frauen und Kinder erneut massenweise töten würde, hätte ich mir bis vor kurzen nicht vorstellen können. Doch jetzt ist es klar:

Unseren Streitkräften fehlen Profis und gebildete Leute. Die Leute, die sich um die zentralen strategischen Posten kümmern, verfügen nicht über die nötigen Kenntnisse, um eine wirkliche nationale Armee bilden zu können. Wir müssen die Lehren aus dem Massaker von Sindschar ziehen und die verantwortlichen Offiziere zur Verantwortung ziehen. Wir müssen die Rechte und Verantwortlichkeiten der Peschmerga neu definieren – als nationale Armee.

Bislang verfügen wir nur über Milizen, die für die verschiedenen politischen Parteien arbeiten.Die Männer in Nord und in West-Kurdistan haben Kurdistan-Irak im Süden bewiesen, dass es möglich ist, eine solche verlässliche und effektive Armee zu formieren. In Syrien konnte IS in den letzten Monaten keinen Fußbreit von kurdischem Gebiet besetzen.

Die Ereignisse in Syrien und Irak haben der Welt bewiesen, dass die kurdische Nation vereint ist und sich in schwierigen Zeiten gegenseitig unterstützt. Das ist die wichtigste Botschaft an die Feinde von Kurden und Kurdistan. Sie werden jetzt zweimal überlegen, bevor sie Teile von Kurdistan angreifen. Der Schutz von Kurdistan liegt übrigens ganz allein in der Verantwortung der Kurden.

Dieser Text erschien in der Kurdistan Tribune vom 11.August 2014. Aus dem Englischen von Ines Kappert

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13 Kommentare

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  • ich würde hier noch sooo viel kommentieren, aber dafür würden die seiten nicht ausrreichen..

  • es passieren viel zu viele dinge die uns verheimlicht werden..zum beispiel, dass die peshmergas wegliefen anstatt zu kämpfen war teil der vereinbarung mit dem Erdogan, IS ' kämpfer' nicht zu bekämpfen.

    erst als die pkk guerillas begannen gegen die is zu kämpfen,merkte barsani dass sein stuhl am kippen war und holte seine peshmergas zurück, vereinte sich mit den guerillas.

    der gesamten welt ist bekannt, dass der erdogan ein zionist und antisemitist ist. da deutschland die türkei seit längerem belauscht muss dies auch den regierenden hohen persönlichkeiten nicht fremd sein..

    dass die salafisten heute so zahlreich verbreitet sind, hat die gesamte deutsche bevölkerung zu verantworten.

    sie haben sich überall eingenistet und verbreiten sich wie paraziten..

    in den berliner teehäusern der arabischen, türkischen und andere sich als muslim bekennende vereine, moscheen usw. kommen diese personen zusammen und halten ihre reden/ prädigten ab.

    viele deutsche konventieren weil sie der gehirnwäsche unterzogen werden..diese gesetzeslücken im deutschen rechtssystem verhindern leider das eingreifen und verfolgung solcher gruppen.

  • Steinzeitfundis köpfen Ungläubige, aber der Artikel hackt auf den Kurden herum, die sich den Mördernbanden entgegenstellen.

    Gebt den Kurden endlich einen eigenen Staat und helft ihnen mit Waffen!

    Die IS hat 80 neue Toyatas und hochmoderne Waffen- warum recherchiert die taz nichtmal, woher die kamen?

  • Eine der wichtigsten Erkenntnisse scheint zu sein...

     

    Zitat:"Was Barsani und sein Sicherheitsapparat ignoriert haben: IS folgt der gleichen auf Völkermord abzielenden Ideologie wie die Anhänger der Baath-Partei, die in den späten 80ern in Anfal 182.000 kurdische Dorfbewohner ermordeten."

     

    IS sind halt sehr offensichtlich nicht nur (die oft beschriebenen) gescheiterten Persönlichkeiten aus Europa. Denn weder wird ein ehemaliger Rapper oder Fußballer aus Deutschland die erbeuteten Waffen bedienen können, noch sind solche Leute befähigt die Strategien des IS zu entwickeln. Sie sind bestenfalls das Fußvolk der alten und sehr erfahrenen Baath-Partei-Eliten. Genauso ist es wohl auch nicht nur das an das Fußvolk ausgegebene Ziel des "religiösen" Dschihad, sondern gemäß der eigentlichen Köpfe dahinter, der wohlbekannte extremistisch arabische Nationalismus. Es erinnert sehr stark an das bekannte Muster in den Nachbarländern (Nationalismus-Islam Synthese).

  • erschütternd zu lesen -

     

    was nicht übersehen werden darf/kann,

    ist die dortige " Randständigkeit" der Jesiden;

     

    wie sie bereits in den Asylverfahren Türkei in den 90ern erschreckend zutage trat;

    in Kombination mit den christlichen Gruppen;

    örtlich im Gebiet um den Tur Abdin

    angesiedelt - damals.

     

    Auch dieser Bericht/diese Klage hat etwas von Dietrich Bonhöffer's

    " erst holten sie die Kommunisten … ich war kein Kommunist…"

    das Ende ist bekannt;

     

    grausam, daß sich auch hier ideologisch/religiöse Verbohrtheit,

    ja Verachtung/Geringschätzung

    so menschenverachtend Bahn brechen kann;

    neben all den zusätzlichen Gründen.

    • @Lowandorder:

      Was würde Martin Niemöller, der unter anderem 1967 nach Nordvietnam reiste, heute tun?

       

      Mit Dietrich Bonhöffer ist man ja schon nah dran an D. Martin Niemöller. Da ich aus Gründen noch vor wenigen Wochen an der Grabstelle von N. stand, muss ich doch etwas rebleken. Bitte um Vergebung.

       

      http://www.martin-niemoeller-stiftung.de/4/daszitat/a31

  • Der Text geht sehr hart mit Barzani und der Regierung des Autonomiegebietes ins Gericht.

    Das Problem ist aber, dass Mufid Abdulla recht hat, wenn er die viele Defizite kritisiert. Ohne die Iraner, Amerikaner, YPG, PKK und sogar die iranischen Kurden wäre Kurdisan wie ein reifer Apfel in den Schoß der ISIS gefallen. Das ist die bittere Wahrheit. Kurdistan ist es nicht mehr gewohnt, um Leben oder Tod zu kämpfen.

     

    Die Meinung hat sich inzwischen auch bei älteren kurdischen Politikern verbreitet.

     

    Das Überraschungsmoment gehört zum Kampf und zur Strategie - die Peschmerga hätten darauf gefasst sein müssen. Der sonst recht gute Geheimdienst der autonomen Regierung hat absolut versagt. Er kann mit den Islamisten offenbar nichts anfangen.

     

    Erst langsam bauen die Peschmerga mit ihrem Geheimdienst ein Bild über die ISIS zusammen, viel zu spät. Und mit neuen Waffen schießen die Soldaten besser, aber damit gewinnen sie auch nicht einfach. Sie gewinnen nur, wenn sie die gleiche Motivation und den gleichen Einsatz wie die ISIS haben.

     

    Kürzlich verteidigten sich Yeziden selber - mit alten Waffen, die sie von der YPG und den Peschmerga bekommen hatten. Sie waren sogar in der Lage, Gefangene zu nehmen. Viel spricht dafür, dass die Peshmerga von Barzani und Talabani von ihrer inneren Einstellung nicht dem Kampf mit der ISIS gewappnet sind. Zum Glück ändert sich das langsam, da fortlaufend sehr alte Peschmerga es schaffen, die ISIS zu bekämpfen, zeigt, dass diese Organisation nicht unbezwingbar ist.

    Außerdem hat Assad in Syrien inzwischen den Druck auf die ISIS verstärkt, es zieht sich langsam ein Kreis um die Islamisten.

  • D
    D.J.

    Es ist angenehm, auch mal einen Artikel zu lesen ohne die ermüdende "Westen-an-allem-schuld"-Ideologie, welche letztlich "den Orientalen" ebenso entmündigt wie es einst Kolonialherren taten.

    Noch besser wäre es allerdings, die Meinung von jemand zu hören, der oder die in Kurdistan selbst lebt (Verf. hat ja seinen Wohnsitz seit langem im Ausland).

    Im Übrigen: Die Kurden (einschließlich ihrer Regierung) haben natürlich auch vieles richtig gemacht, sonst wäre Irakisch-Kurdistan heute nicht ein Teilstaat relativer Ruhe und mit halbwegs Wohlstand. Wohl wesentlichtes Erfolgsrezept: Relativ säkulare Haltung der meisten Bewohner.

    • @D.J.:

      und Kindersoldaten "Sie wollen Frieden - und ihre Kinder zurück" http://www.sueddeutsche.de/politik/kurdische-eltern-sie-wollen-frieden-und-ihre-kinder-zurueck-1.1989514

       

      "Abdullah Öcalan's PKK Kindersoldaten"

      https://www.youtube.com/watch?v=u7W1eM0wRUc

       

      Terro seit 30 Jahren mit Unterstützung aus Amiland.

      • @Gegge:

        "Peshmerga Special Forces"

        https://www.youtube.com/watch?v=yLrAkHSzKY4

         

        So Fragen "israel training funding known terrorist organisation PKK "

        https://www.youtube.com/watch?v=nwNLFCw8gQ4

         

        30 Jahre Terror. Kein Wunder "PKK TERROR PROTEST USA NY TURKS & AMERICANS"

        https://www.youtube.com/watch?v=TT5xQnM7zdA

        • D
          D.J.
          @Gegge:

          1. Ich halte die PKK für eine Gruppierung, die sich zumindest in der Vergangenheit teils widerwärtigster terroristischer Mittel bedient hat. Die von Linkspartei-Jelpke geforderte Aufhebung des Verbots in D halte ich daher für zutiefst problematisch.

          2. Was bitte hat die Regierung des Irakisch-Kurdistans mit der PKK zu tun?

          3. USA als Unterstützer der marxistischen PKK? Keine Verschwörungstheorie ist albern genug, dass sie nicht irgendjemand ausbuddelt.

          4. Und natürlich Israel... Gähn.

          • D
            D.J.
            @D.J.:

            Von daher mein Tipp, @Gegge: Weniger türkisch-nationalistische Youtube-Kanäle konsumieren.

  • Bitte, korrigieren: "Die kurdischen Eliten versagen" statt "Die kurdische Eliten versagen" :-)