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Debatte Konflikt im JemenRiads seltsame Freunde

Kommentar von Charlotte Wiedemann

Viele Medien berichten tendenziös über den Konflikt im Jemen. Sie übersehen die Verantwortung des Westens für die Eskalation des Konflikts.

Keine guten Aussichten für den Jemen. Bild: reuters

D ie Huthi hatten ein großes Zelt auf dem „Platz des Wandels“, wo die jemenitische Revolution ein Jahr lang kampierte, 2011 bis 2012, mitten in der Hauptstadt. Am Nachmittag die ortsübliche Männerrunde, eine Wange vollgestopft mit zerkauten Qat-Blättern. Die Huthi guckten dazu Märtyrer-Videos.

Tote hatten sie reichlich: Ali Abdallah Saleh, Jemens Langherrscher, der gemeinsame Feind von allen auf dem „Platz des Wandels“, hatte gegen die Huthi-Bewegung sechs brutale Kriege geführt. Nicht etwa wegen der Religion: Auch Saleh ist ein Zaidit, wie die örtlichen Schiiten genannt werden. 40 Prozent der Jemeniten zählen dazu.

Von „schiitischen Rebellen“ zu sprechen, wie es die meisten Medien jetzt tun, ist deshalb irreführend. Die Huthi, die sich selbst als Ansar Allah („Verteidiger Gottes“) bezeichnen, sind als politisch-soziale Bewegung gegen die Marginalisierung von Jemens Nordwesten entstanden.

Während der Revolution zählten sie zu den neuen politischen Akteuren auf der nationalen Bühne, wie die Jugend und die Bewegung des Südens. Gemeinsam verlangten sie die Ablösung der alten korrupten Elite, insbesondere des Clans von Saleh. Er und sein Sohn sollten sich auch für Kriegsverbrechen in der nordwestlichen Stadt Saada verantworten.

Stabilität statt Demokratie

Es kam anders. Das Konstrukt, das die internationale Gemeinschaft – Saudi-Arabien, USA, EU – Jemen auferlegte, zielte auf sogenannte Stabilität, nicht auf Demokratie und Neubeginn. Die Revolutionäre, darunter die Huthi, wurden beiseitegeschoben zugunsten der alten Elite. Saleh bekam Immunität garantiert; sie wurde die Basis seines Wiederaufstiegs.

Heute, viele Runden später, zeigt der Jemen: Das Demokratieverlangen derart abzuwürgen hat auch der Stabilität nicht gedient – im Gegenteil. Die westliche Politik ist im Jemen gescheitert, genauso wie anderswo. Aber dieser Gedanke ist zu unbequem. Darum wird der Jemen lieber religiös erklärt: sunnitisch-schiitisch, da hat jeder Journalist seine Schublade. Nur passt der Jemen da ganz schlecht rein. Denn die Grenze zwischen den beiden muslimischen Konfessionen ist hier so porös wie nirgends sonst.

Das liegt an den Zaiditen. Sie haben ihren Namen von einem Ururenkel des Propheten, den sie im innermuslimischen Nachfolgestreit als fünften Imam anerkannten. Mit dieser Entscheidung verabschiedeten sie sich vom schiitischen Mehrheits-Tross – bevor es überhaupt eine religiöse Doktrin der Schiiten gab. Als kleine Strömung auf sich selbst gestellt, hatten die Zaiditen viel Freiheit des Denkens. Sie brachten eine bemerkenswerte intellektuelle Geschichte hervor, zunächst in einem Kleinstaat in Nordiran, am Kaspischen Meer, und ab dem 10. Jahrhundert dann im Norden Jemens, mit der Hauptstadt Saada.

Mythos „Shiitische Moschee“

Die Theologie der Zaiditen war verwandt mit einer rationalistischen Schule der Sunniten: den sogenannten Mutaziliten. Sie betonten vor allem die Willensfreiheit des Menschen; heutige muslimische Reformdenker knüpfen deshalb bei ihnen wieder an. Damals indes gingen die Rationalisten bei den Sunniten nach dem 11. Jahrhundert unter – nur bei den Zaiditen lebte ihr Erbe weiter. Von diesem erstaunlichen Kulturtransfer über große Distanzen hinweg zeugen im Jemen heute etwa 50.000 alte Manuskripte.

Dieser Ausflug in die Vergangenheit war nötig, um zu verstehen, warum gerade die Zaiditen für das Medienmuster vom schiitisch-sunnitischen Religionskrieg wenig taugen. Manche ihrer Gelehrten stehen den Sunniten sehr nahe. Deshalb beten im Jemen die zaiditisch-schiitischen und die sunnitischen Gläubigen in denselben Moscheen. „Schiitische Moscheen“ gibt es nur in den Nachrichten.

Lässt sich das jetzige Geschehen trotzdem als Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und Iran erklären? Anders als die Medien sagen Experten und Thinktanks: Die Huthi werden zwar von Teheran unterstützt, aber nicht gesteuert. Und ihr Vormarsch in den vergangenen Monaten wurde vor allem durch innerjemenitische Faktoren begünstigt: Saleh, dem keine Taktik zu schmutzig ist, hat sich mit den Huthi verbündet und jene Armeeteile, die er weiter kontrolliert, auf ihre Seite gestellt.

Die Huthi als Marionetten Teherans zu betrachten macht auch logisch wenig Sinn. Denn warum wäre ihr Vormarsch dann ausgerechnet in die heikle letzte Phase der Nuklearverhandlungen gefallen, in der die iranische Seite ständig bemühte Signale von Entspannung aussendet?

Erzwungene Gegnerschaft

Für Saudi-Arabien hingegen macht es großen Sinn, genau zu diesem Zeitpunkt einen Krieg zu beginnen, der die USA zumindest auf diesem Schauplatz in eine Gegnerschaft zu Iran zwingen soll. Nur ist der Ausdruck Stellvertreterkrieg dafür falsch und unangemessen neutral. Wenn das reiche Saudi-Arabien (plus neun Verbündete) dem armen Jemen androht, ihn „solange zu bombardieren, bis er stabil ist“, müsste eigentlich ein Aufschrei durch die Meinungsseiten gehen.

Viele Kommentatoren schreiben indes so einfühlsam über die saudischen „Albträume“, vom Iran „eingekreist“ zu werden, als seien sie gerade vom Briefing in Riads Botschaft gekommen. Den Huthi wird sogar unterstellt, sie könnten al-Qaida den Weg nach Saudi-Arabien ebnen – eine wirre Fantasie. Da ist ein alter Reflex am Werk: Saudi-Arabien ist auf Seiten des Westens, ist unser Verbündeter. Und Iranophobie ist in den Medien fest verankert.

Aber da ist noch etwas. Der Ton der Nahostberichterstattung ist heute wieder so wie vor Beginn der Arabellionen. Es gibt Mächte, Religion, Geopolitik. Es gibt keine Bevölkerungen, die für Rechte und Teilhabe kämpfen. In der Vorstellung, ein Teil der Jemeniten ließe sich vom fernen Teheran instrumentalisieren, schwingt viel Verachtung mit.

Man braucht für die Huthi keine Sympathie zu haben. Zu sehr hat sie die alte jemenitische Krankheit befallen: auf die Waffe setzen und die Waffe sich ihre Verbündeten suchen lassen. Aber der Westen gibt ihnen aus anderem Grund nicht die Hand: Ebenso wie gegen al-Qaida sind die Huthi gegen den amerikanischen Drohnenkrieg.

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9 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Etwas spät, aber trotzdem: Vielen Dank für einen Artikel, der sich von der klassischen Anti-"Huthi"-Anti-Iran-Frontstellung merklich abhebt. Man muss weder Ansarollah noch den Iran mögen, aber wenn die reaktionäre absolutistische Saudi-Diktatur sich irgendwo einmischt, kann man (vereinfacht gesagt) schon alleine daran ablesen: Die auf der Gegenseite sind die Guten ...^^

  • Solange sog. "westliche Demokratien", mit gerade einmal 10% der Weltbevölkerung den Rest der Welt als seine Kolonien betrachtet, und auch so behandelt, braucht sich der sog. Westen nicht über immer "Failed States" Terrorismus und Terror beschweren.

  • Liebe Frau Wiedemann: herzlichen Dank für diesen differenzierenden, augenöffnenden Kommentar! Angesichts der üblichen holzschnittartigen Narrative à la "Böser Islamismus - Guter Westen" und der regelmäßigen Aufforderung zu mehr "Verantwortung" (=Krieg). Ich würde mich freuen, wenn die TAZ sich noch stärker auf solche sachkundigen Beiträge konzentrierte und auf die "Recht auf Waffen"-Rhetorik verzichtete.

  • Al-hamdulillah! Frau Wiedemann, Sie scheinen - wie ich - längere Zeit im Jemen verbracht zu haben. Jedenfalls habe ich sonst nirgendwo einen ähnlich informativen Beitrag zur aktuellen Situation im Jemen gelesen.

     

    Man muss in der Tat die Houthi nicht mögen - schließlich stammten aus ihren Reihen die Zaidi-Imame, die den Jemen (später Nordjemen) von 901 an bis 1962 in einer Art Radikal-Konservatismus für über tausend Jahre im Vorgestern festklebten, wo große Teile der Elite bis heute verharren -

    aber sie handeln, verglichen mit vielen anderen Machtgruppen im Jemen, rational.

     

    Mag sein, dass die Wahhabi des KSA nach einer Einigung oder Eroberung des ganzen Jemen durch die Houthi Angst davor haben, ihren Einfluss einzubüßen oder die Provinz Asir wieder herausrücken zu müssen. Immerhin leben im Königreich Saudi-Arabien etwa so viele Araber wie im Jemen, wobei Erstere ein 38mal so hohes Sozialprodukt wie Letztere haben, Letztere aber perfekt mit Handfeuerwaffen umgehen können, davon auch reichlich besitzen, sonst aber wenig zu verlieren haben. Das Ziel der Saudis und ihrer Söldner kann also nur sein, die Zerrissenheit der "Brüder" im Süden und ihre absolute Unfähigkeit zur Außenpolitik zu erhalten.

    Dieses "Ziel" aber sollte eine sich auf humanistische Werte berufende Gemeinschaft von Demokratien nicht unterstützen - ganz im Gegenteil.

  • danke für den Ausflug in die Geschichte, denn die ganzen Aufteilungen der Religionen und ihre Verästlungen sind sehr komplex und von weitem schlecht zubeurteilen wer welche Interessenen vertritt...,

    dies gilt auch für das Christentum mit ortodoxen, katoliken, evangelen, neuapostolen und dann weiter in Unterverzweigungen in jeder dieser Richtungen und Vermischungen....,

    ist schon alles ganz schön kompliziert.

  • Danke für den Artikel. Ich dachte schon, ich bin der einzige Mensch auf der Welt, der nicht so recht an einen Glaubenskrieg glauben kann und Machtpolitik der Saudis dahinter vermutet.

  • 3G
    3784 (Profil gelöscht)

    In der Tat. Wer hätte gedacht, dass der im 18. Jahrhundert zwischen einem unbedeutenden Stammesführer und einer kleinen häretischen Sekte vereinbarte Deal, mit der neuen Idee des „takfir“ (Absprechen des Glaubens) die Legitimation für die Befriedigung von Machthunger und Raffgier zu schaffen, und somit unter dem Vorwand einer notwendigen „Reinigung des Glaubens“ raubend und mordend über die Nachbarstämme herfallen zu dürfen, eines Tages hierzu auch den „zivilisierten“ Westen als treuen Bundesgenossen in ihren Reihen vorfinden wird.

  • Ist auch merkwürdig, das die Saudische Luftwaffe und die Al-Qaida-Terroristen

    offen Hand in Hand gegen denselben Feind kämpfen.

    Die Einen als Bodentruppen der Anderen. Terroristen am Boden als

    Gefolgsleute der Diktatoren in Riad - nicht nur im Jemen.

    • @Kein Genfutter bitte!:

      Was soll daran merkwürdig sein? Al-Kaida und die saudischen Wahabiten sind sich doch in allen wesentlichen - religiösen - Fragen vollkommen einig. Und beide halten die Houthis für - eben böse - Schiiten. Da sie vor Ort sind werden sie das auch besser beurteilen können als eine Journalistin, die das von ganz weit weg her entscheiden will.

       

      Und dann noch das ebenso seltsame wie schöne Wort "Iranophobie".

      Im Grunde sind das da unten am Ende doch nur Kriegsgesellschaften, die sich gegenseitig an die Gurgel gehen, weil kein anderer da ist, den sie gemeinsam fertigmachen können. Nicht zufällig zwei Länder, die beide Spitzenpositionen bei Todesstrafen an unschuldigen Menschen und Frauenunterdrückung lässig verteidigen.

      Und beide haben das Öl mit dem sie sich Staaten halten, die für sie die Atomwaffen produzieren und testen: Nordkorea und Pakistan.