Debatte Kommunismus: Verlorenes Paradies

Da steht es wieder so im Raum, das K-Wort. Aber soll man den Kommunismus noch beschwören? Besser nicht. Die Kommunisten von heute leben in einer Welt der leeren Vorstellung.

Keine Revolution, sondern nur noch ein Image: Kommunismus ist Radical Chic. Bild: imago/imagebroker

Seitdem die ansonsten unauffällige Linksparteichefin Gesine Lötzsch über ihre hundert Wege zum Kommunismus räsonierte, steht es wieder so im Raum: das Wort Kommunismus. Und da steht es rum, und keiner weiß so recht, wohin mit ihm. In die Rumpelkammer? Ins Devotionalieneckerl zu den anderen ehrwürdigen Erinnerungsstücken? Oder doch gar wieder in den politischen Zielkatalog?

Ist er also noch für irgendetwas brauchbar, der Kommunismus?

Zunächst die simpelste Frage: Soll man ihn anstreben, soll man ihn fordern dürfen? Aber klar soll man das dürfen. Und nicht nur der Meinungsfreiheit wegen. Natürlich ist der Kommunismus ein alter Menschheitstraum, eine große, grandiose Idee, die seit Jahrhunderten viele Menschen anspornte, sich für eine bessere Welt zu engagieren - nicht erst seit Karl Marx, sondern auch zu früheren Zeiten, als es das Wort noch gar nicht gab.

Mehr noch, es gab auch im vergangenen Jahrhundert die Rätekommunisten und all die anderen "guten" Kommunismen, wie Ralf Hutter jüngst an dieser Stelle schrieb, auf die man sich auch positiv beziehen könnte. Kommunismus ist nicht identisch mit Bürokratendiktatur graugesichtiger Männer. Also, dürfen darf man schon. Aber soll man es deswegen auch? Welchen Nutzen kann es bringen?

In der ganzen winterlichen Aufregung um das K-Wort war doch eines ziemlich bemerkenswert: Von ein paar Wortmeldungen abgesehen, gab es eher keine Erregung, sondern Belustigung. Früher waren die Kommunisten noch stolz darauf, dass "die Herrschenden" mit Schrecken reagierten, wenn sie den Kommunismus forderten. Heute erschrecken die nicht, sondern klopfen sich kichernd auf die Schenkel.

So von der Art: Haha, die schräge Tante hält schneidige Reden im Kreise von ein paar Irren. Selbst im einstigen Zentralorgan des Antikommunismus, in Springers Welt, überwogen die ironischen Spitzen angesichts des missglückten Versuchs, mit Radical Chic zu punkten.

Aus dem Gespenst des Kommunismus, das einstmals in Europa umging, ist das Gespött des Kommunismus geworden. Und ich denke, das hat seine guten Gründe.

Schließlich weiß man heute längst - und auch die, die es nicht bewusst wissen, haben eine unbewusste Ahnung davon -, dass Wörter wie radikal oder Kommunismus zu Catch-Phrasen verkommen sind, zu sprachlichen Markern. Wer sie benützt, will etwas signalisieren. Etwas von der Art: Seht her, ich bin ein ganz toller Kerl, nicht so ein Warmduscher wie all die andern. Es ist mehr eine Werbe- und Marketingstrategie, dient zum Aufbau einer Unique Selling Proposition. Wir sind cool, die anderen fad. Wir radikal, die anderen angepasst. Kauft uns.

Das Reale, um das es da geht, ist also nicht eine kommunistische Revolution, sondern Image, ein Gefühl: Die, die sich in die maximal radikale Pose wirft, darf sich als toller, cooler Hecht fühlen und hängt denen, die nicht so radikal reden, das Image von faden, verzagten Luschis um. So funktioniert Radical Chic.

Die Vision, die Energien raubt

Dieser entleerte Radikalismus hat aber eine Reihe negativer Auswirkungen. Er raubt denen, die sich ihm verschreiben, die Fähigkeit, wichtige Unterscheidungen zu treffen. Er verhöhnt alles, was innerhalb "des Systems" (System ist auch so ein Lieblingswort dieses Radikalismus) Verbesserungen bringen könnte. Für ihn zählt nur die ganz große Veränderung, das ganz Andere. Der Kommunismus, der kommt zwar noch lange nicht, und wahrscheinlich kommt er nie, aber alles, was bis dahin an realen Reformen gemacht werden kann, zählt nicht. So in etwa stellt sich die Welt für diese Art von Kommunisten dar.

Und deshalb entfaltet das radikale Maulheldentum heute eine ganz andere Wirkung als noch vor hundert Jahren: Früher verlieh die Utopie des Kommunismus vielen zehntausenden Linken Kraft, sie hatte eine energetische Wirkung. Heute passiviert sie dagegen. Sie verleiht niemandem Kraft, sie raubt sie eher. Weil die kleinen, sukzessiven Änderungen ohnehin nichts bringen, die großen aber nirgendwo in Sicht sind, richtet sich der Kommunist wohlig ein in seiner Passivität. Er ist der keppelnde, übel gelaunte, besserwisserische Balkonmuppet, der nichts beizutragen hat als den Hinweis, dass die Reformer doch nur zur Stabilisierung des Systems führen.

Kein Korrektiv mehr

In gewissem Sinn funktioniert der "Kommunismus" oder die "ganz andere Gesellschaft" oder die "große Änderung", die im wortradikalen Justemilieu gerne beschworen werden, wie das Paradies im Christentum: Dieses versprach dem Sklaven das Himmelreich und machte klar, dass der Kampf gegen die irdische Versklavung angesichts dieser gloriosen Aussicht eine unbedeutende Nebensache sei. Der Kommunist beschwört die eminente Veränderung und erklärt, dass der Kampf um kleine Verbesserungen eine unbedeutende (ja kontraproduktive) Nebensache sei.

Der Kommunismus ist also zu einer hohlen Phrase verkommen. Kluge Radikale wenden an dieser Stelle ein, dass auch die Reformer die Radikalen brauchen, als Korrektiv, als Ansporn. Dass die Pragmatiker die Visionäre brauchen, da sie ohne diese vom Kurs abkämen. Doch ich kann nicht sehen, dass das Wort Kommunismus und diejenigen, die es heute gebrauchen, diese Wirkung in irgendeiner Form entfalten. Eher drängt sich der Eindruck auf, dass es sie daran hindert, diese Wirkung zu haben. Dazu sind sie zu sehr von jeder Realität, nein, mehr noch: selbst von dem, was irgendwie gerade noch vorstellbar ist, abgekoppelt.

Selbst wer den guten Kommunismen anhängt, handelt sich damit eine Reihe weltfremder Romantizismen ein, wie Andre Brie in der Sächsischen Zeitung schrieb: "Absterben des Staates, völlige Herrschaftsfreiheit, absolute Überwindung der Warenwirtschaft, des Marktes und Geldes."

Das Wort Kommunismus evoziert also nichts als eine Reihe leerer Imaginationen. Kann ja sein, dass sich das irgendwann einmal wieder ändert. Aber bis dahin sollte man das K-Wort doch besser in der Asservatenkammer ablegen.

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Geboren 1966, lebt und arbeitet in Wien. Journalist, Sachbuchautor, Ausstellungskurator, Theatermacher, Universaldilettant. taz-Kolumnist am Wochenende ("Der rote Faden"), als loser Autor der taz schon irgendwie ein Urgestein. Schreibt seit 1992 immer wieder für das Blatt. Buchveröffentlichungen wie "Genial dagegen", "Marx für Eilige" usw. Jüngste Veröffentlichungen: "Liebe in Zeiten des Kapitalismus" (2018) und zuletzt "Herrschaft der Niedertracht" (2019). Österreichischer Staatspreis für Kulturpublizistik 2009, Preis der John Maynard Keynes Gesellschaft für Wirtschaftspublizistik 2019.

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