Kommunismus-Debatte: Freie Software für die freie Gesellschaft
Immer noch wird viel über Kommunismus geredet, aber wenig erklärt. Teile der Open-Source-Bewegung zeigen, wie eine kommunistische Gesellschaft aussehen könnte.
Gesine Lötzsch löste mit ihrem Artikel "Wege zum Kommunismus" eine heftige Debatte aus. Lötzsch ruderte nach dem medialen Echo, das sie erzeugt hatte, prompt zurück: "Die Linke ist linkssozialistisch, wir sind und werden keine kommunistische Partei. Und ich werde auch kein Mitglied der kommunistischen Plattform", sagte sie kurze Zeit nach der Veröffentlichung des Artikels der Online-Ausgabe des Spiegels.
Für Christian Siefkes hat die Debatte um den Kommunismus nicht stattgefunden. "Es hätte erstmal definiert werden müssen, was Kommunismus ist", sagt der Informatiker und Philosoph. Für ihn ist Kommunismus eine gemeinschaftliche Produktionsweise für den Menschen. Er ist Aktivist in der Open-Source-Bewegung und programmiert freie Software.
Freie Software ist weit verbreitet: Es gibt das Betriebssystem Linux, den Webbrowser Firefox, die Bürosoftware OpenOffice und viele andere Programme, die frei verfügbar sind. "Bei freier Software sind mir die beiden Prinzipien 'free speech' und 'free beer' wichtig", erklärt Siefkes. Das bedeutet, dass freie Software mit Hilfe von offenen Quellcodes von jedem weiter entwickelt werden können muss und so die Möglichkeit der freien Ausdrucksfrom sicher gestellt werden muss. Zudem ist freie Software im Gegensatz zu lizensierter Software für jeden, der sie braucht, kostenlos verfügbar.
Das Prinzip der Freien Software geht auf den Hacker Richard M. Stallmann zurück, der vier Freiheiten als Prinzip der freien Software definierte: Zunächst muss die "primäre" Freiheit gelten, ein Programm für jeden Zweck verwenden zu dürfen. Die zweite Freiheit ist die "wissenschaftliche" Freiheit, die Funktionsweise eines Programms untersuchen zu dürfen und es seinen Bedürfnissen anzupassen. Die beiden restlichen Freiheiten sind die "soziale" Freiheit, es für andere kopieren zu können und die "konstruktive" Freiheit, ein Programm verbessern zu können und diese Verbesserungen zum allgemeinen Wohl zugänglich zu machen.
Commons statt Kommunismus
Viele Entwickler von Freier Software meiden zwar, wie Siefkes betont, das Wort Kommunismus - er er spricht lieber von "Commons", also Allgemeingütern - doch sieht er in dieser Bewegung eine Keimform für eine neue Produktionsweise. Schließlich basiere die Produktion von freier Software auf dem Prinzip der "freien Kooperation". Freie Kooperation bedeutet, dass Menschen aus freien Stücken zusammenarbeiten und nicht etwa, weil sie dazu gezwungen werden oder sie es machen müssen, um Geld zu verdienen.
Ein Wissenschaftler, der das Prinzip der freien Kooperation untersucht hat, ist Christoph Spehr. Für ihn sind die bürgerlichen Tugenden der Freiheit und Gleichheit nur in der freien Kooperation verwirklicht. "Die Kooperation ist nur frei, wenn sie gleich ist; und die Individuen können nur frei sein in einer Kooperation, wo sie gleich sind", schreibt Spehr in einem Aufsatz. Für die freie Kooperation hat er Kriterien aufstellt: Alle Regeln müssen veränderbar sein und alle Beteiligten müssen die freie Kooperation zu jedem Zeitpunkt verlassen können. "Vereinfacht gesagt: In einer freien Kooperation kann über alles verhandelt werden; es dürfen alle verhandeln; und es können auch alle verhandeln, weil sie es sich in ähnlicher Weise leisten können, ihren Einsatz in Frage zu stellen", so Spehr.
Für viele Entwickler ist Freie Software nicht nur ein Hobby, sie verdienen damit ihr Geld. Denn auch große Firmen arbeiten mit Freier Software. So arbeitete Siefkes vor kurzem bei einem großen Internethändler, die von ihm entwickelte Software durfte er allerdings nicht öffentlich zugänglich machen. "Schließlich muss man auch Geld verdienen", sagt Siefkes. Andere Entwickler verdienen zum Beispiel ihr Geld bei Firmen, die zwar freie Software produzieren, für Hilfe beim Installieren und Warten der Freien Software aber Geld verlangen.
Siefkes nennt drei Gründe, warum sich Menschen auch jenseits ihrer Arbeit an der Produktion von Freier Software beteiligen: Erstens werden Programme geschrieben, weil ihre Entwickler sie haben möchten. "Wird diese Software im Internet freigegeben, so schadet dies der einzelnen Software nicht; im besten Fall nutzt es ihr, weil andere sich finden, die sich an ihrer Entwicklung beteiligen: gemeinsam kommt man schneller ans Ziel", erklärt Siefkes. Zweitens machen Menschen bei der Open-Source-Bewegung mit, weil sie es einfach gerne tun. "Linus Torvalds, der Gründer des Linux-Projekts, hat seine Autobiografie 'Just for Fun' genannt", sagt Siefkes. Für andere Entwickler ist es ethisch richtig, anderen zu helfen. Nach dem Motto "Da andere mir Gutes getan haben, möchte ich selbst anderen Gutes tun."
Freie Entwicklung, freie Gesellschaft
In seinen philosophischen Schriften kann sich Siefkes auf Karl Marx und Friedrich Engels verlassen - die Denker des 19. Jahrhunderts. Zwar haben die beiden kein ausgearbeitetes kommunistisches Gesellschaftsmodell hinterlassen, doch lässt sich festhalten: Für Marx und Engels war Kommunismus der Entwurf einer freien Gesellschaft. So beschrieben sie den Kommunismus im kommunistischen Manifest als eine Gesellschaft, in der "die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist."
Auch Engels berühmter Auspruch in seinem Buch "AntiDühring", das die Freiheit die Einsicht in die Notwendigkeit ist, sollte nicht diktatorisch interpretiert werden. Stattdessen hat der Satz einen aufklärerischen Anspruch. So schreibt Engels weiter: "Freiheit des Willens heißt daher nichts als die Fähigkeit, mit Sachkenntnis entscheiden zu können." Es ist ein Appell, alle Menschen zu mündigen Bürgern zu machen.
Hinter Engels Ausführungen im "AntiDühring" steckt der Wunsch nach einer Wirtschaftsform, in der die Menschen gemeinsam die Wirtschaft planen und ökonomische Gesetzmäßigkeiten das Leben der Menschen nicht mehr wie unveränderbare Naturgesetze bestimmen. Es geht um den Gedanken, dass die Gesellschaft vom Menschen gemacht ist und insofern prinzipiell auch vom Menschen veränderbar ist. Deswegen sollte für Engels der Kommunismus "der Sprung der Menschheit aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit" sein.
Was meinen Sie? Führen Linux und Wikipedia in den Kommunismus? Ist die Utopie einer freien Gesellschaft eine linke Träumerei? Oder kann man bei der Produktion von Freier Software lernen, wie eine mögliche freie Gesellschaft von morgen funktionieren kann?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“