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Debatte Joachim GauckDer Polterpräsident

Georg Löwisch
Kommentar von Georg Löwisch

Joachim Gauck ging an die Schmerzgrenze und rettete damit die Würde seines Amts: Denn gute Präsidenten sind schlechte Schleimer.

Reparierte das beschädigte am Amt schnell: Noch-Bundespräsident Joachim Gauck Foto: dpa

W enn man sich das Amt des Bundespräsidenten als ein Auto vorstellt, dann muss man schon sagen: 2012 war es ziemlich ramponiert. Horst Köhler fuhr den Kotflügel ab. Christian Wulff setzte das Fahrzeug an die Garagenwand. Dann übernahm Joachim Gauck – und reparierte den Schaden schnell.

Aber er hat noch mehr erreicht. Er ist an Schmerzgrenzen gegangen, auch an meine. Gauck hat das Amt nicht so definiert, dass er keinem weh tun darf. Sondern so, dass er vielen verschiedenen weh tun muss. Und genau das tat dem Amt gut.

Der Präsident der Bundesrepublik Deutschland füllt eine Leerstelle. Andere Demokratien haben machtlose Königshäuser, und viele Menschen brauchen diese Monarchen als Identifikationspunkt. Anderswo steht ein machtvoller Präsident oder eine machtvolle Präsidentin an der Spitze. Doch die Väter und Mütter des Grundgesetzes wollten beide Varianten nicht, sie meinten gleichwohl, dass auch die parlamentarische Demokratie ein Oberhaupt braucht, einen Kopf. So entstand eine Mischung aus Notar und Kurator: Der Bundespräsident, der vor allem mit Worten wirken kann. Er oder sie soll sich jedoch nicht ins Getümmel stürzen, sondern über dem parteipolitischen Wettbewerb stehen.

Daraus leiten manche das Ideal vom braven, bedächtigen, beinahe neutralen Präsidenten ab. Das ist Blödsinn. Besser ein Bundespräsident, der einem weh tut, als einer, der nichts tut. Zumal, wenn er in verschiedene Richtungen austeilt.

Überparteilich, aber nicht unparteiisch

Denn nur wenn der Präsident mit Worten und Gesten Debatten anstößt, füllt er das Amt mit Leben. Nur dann bleibt was. Vom CDU-Mann Karl Carstens weiß man nur mehr, dass er gern wandern ging. Der Sozialdemokrat Johannes Rau wollte so sehr Präsident sein, dass er endlich im Amt dann auch allseits gefallen wollte.

Ganz anders Gustav Heinemann, der das Tor zu einem liberalen Deutschland aufstieß. Das Politikum lag 1969 darin, dass der Sozialdemokrat mit Stimmen von SPD und FDP gewählt wurde. Im Amt vergrätzte er die Altvorderen mit dem Konzept des Bürgerpräsidenten, der sogar Bier aus der Flasche trank. Oder Richard von Weizsäcker: Der Christdemokrat war zutiefst bürgerlich, verärgerte aber 1985 das CDU-Establishment durch seine Gedenkrede zum Kriegsende am 8. Mai 1945, den er den Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus nannte.

Nur wenn der Präsident mit Worten und Gesten Debatten anstößt, füllt er das Amt mit Leben

Heinemann, Weizsäcker, Gauck. Als der Pastor aus Rostock 2012 übernahm, verstand er schnell, dass er über den Parteien stehen muss, aber nicht unparteiisch sein darf. Erst hat er sich vorsichtig umgeschaut im Schloss Bellevue. Er stand bloß da mit seinem kantigen Kinn, ein Mann so wie Hollywood einen Bundespräsidenten besetzen würde. Ärger gab es trotzdem. Weil er mit der Journalistin Daniela Schadt zusammenlebt, aber dennoch mit seiner Frau Gerhild verheiratet geblieben ist, regten sich Leute auf, die gar nicht bemerkt hatten, dass die Fünfzigerjahre schon rum waren. Gauck beförderte sie ins Jetzt.

Seine erste große Rede hielt er 2014 auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Vor Verteidigungsministern und Generälen entwarf er das Bild eines Deutschlands, das bloß nicht zu skrupulös sein soll, sondern sich einmischt, notfalls mit Gewalt. „Mehr Verantwortung bedeutet nicht 'mehr Kraftmeierei“, hat er gesagt. Es klang nach Kraftmeierei.

Subtiles Ätzen

Ein paar Monate später bildete sich in Thüringen die erste rot-rot-grüne Koalition unter einem Ministerpräsidenten der Linkspartei, unter Bodo Ramelow. Ein Befragung der SPD-Mitglieder stand noch bevor, da bretterte der Bundespräsident durch die Szenerie. Es gebe Teile in der Linkspartei, bei denen er Probleme habe, Vertrauen zu entwickeln. „Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren“, sagte der Präsident.

Er griff in den politischen Prozess ein. Er blendete aus, dass Ramelow kein SED-Beschöniger ist, sondern sensibel mit DDR-Unrecht umgeht. Gauck hat sich fortreißen lassen. Als Polterpräsident übersah er, dass in Thüringen etwas Wichtiges geschah. Ramelow machte dort vor, wie man integriert.

Wenn Gauck wie in seiner letzten Rede im Schloss Bellevue auf den Sozialstaat kam, klang er pflichtschuldig, bisweilen kalt: „Unser Land kann nicht jedem Bürger einen gefüllten Tresor schenken“, sagte er. Ach, ja? Prekäre Verhältnisse? Armut? Abgehängt? Gauck wählte lieber den Begriff der „Chancengerechtigkeit“, der meint, dass es schon jeder schafft, der nicht faul oder blöde ist.

Manchmal ätzte er subtil. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsbewegungen, im September 2015, sagte er: „Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten sind endlich.“ Was für eine Rollenverteilung: Wer Flüchtlingen aufnehmen will, ist emotional. Die, die warnen, sind die Klugen. Und wer möchte emotional sein, aber nicht klug? Dann doch lieber andersrum.

Ein scharfer Blick

Doch in anderen Fällen verdarb er es sich mit genau den Richtigen. In Zusammenhang mit den Attacken gegen Flüchtlinge sprach er von „Dunkeldeutschland.“ Dafür wurde er „Volksverräter“ gerufen. Aber Gauck wettert bis heute gegen Hass und Hetze.

Auch Machthaber von Peking bis Moskau provozierte er. Er ist der Mann, der Putins Olympische Winterspiele in Sotschi boykottierte. 2014 trafen Gaucks Worte zu den Gezi-Protesten den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan derart, dass dieser Richtung Berlin wütete: „Er hält sich wohl noch immer für einen Pastor.“ Der deutsche Präsident sprach ein Jahr später unbeeindruckt vom „Völkermord“ an den Armeniern.

Für autoritäre und größenwahnsinnige Mächtige hat Gauck einen scharfen Blick. Schade, dass er nicht mehr auf Donald Trump trifft.

Die richtige Vorgeschichte mit Trump hat jedoch auch Frank-Walter Steinmeier, der am 12. Februar in der Bundesversammlung alle Chancen hat, Gaucks Nachfolger zu werden. Steinmeier hat den US-Präsidenten einen „Hassprediger“ genannt. Perfekt. Denn gute Bundespräsidenten sind schlechte Schleimer.

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Georg Löwisch
Autor
Viele Jahre bei der taz als Volontär, Redakteur, Reporter und Chefredakteur.
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18 Kommentare

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  • Gauck war ein Kriegstreiber. Punkt.

    Er schrieb ein Buch "Freiheit". Nach Durchlesen war Kopfschütteln angesagt. DDR reloaded 3.0. Punkt.

  • J.Gauck war / ist ein guter Bundespraesident,wenn auch kein leicht verdaulicher! Charakter & unverbogene Glaubwuerdigkeit ist das was "Made by Gauck" kennzeichnet! Er sagt ( wenn auch fuer meine Begriffe, noch zu beschoenigt) seine Meinung und wie er das eine oder andere emfindet!

    Heuss / Weizaecker/ Gauck, drei der Besten als Bundespraesidenten!

    Wir leben 2017 und nicht mehr zu Luthers Zeiten, warum soll ein Bundespraesident nicht mit seiner Partnerin Zusammenleben, waehrend er noch aus welchen Gruenden immer an der Ehe mit der Mutter seiner Kinder festhaelt.

    Hier sollte sich keiner ein Urteil erlauben. Wer von uns ist so Fehlerfrei, dass er den ersten Stein werfen darf?? Niemand !

  • Ein BuPrä soll "ätzend" sein. Okay, das hat er geschafft, aber sonst nicht viel.

     

    Da wird nicht viel von dieser Amtszeit hängenbleiben. Irgendwie ein alter Ossi, der auf das, was heute Thema ist, überhaupt keine Antworten gab, nicht mal Empathie empfinden konnte. Sein Thema war Freiheit. Dafür hatte er ein paar Sätze von Kant gelesen, die immer wieder in den Reden auftauchten. Aber er sah die Freiheit eben wie ein Fossil von früher, der sich vor Selbstmitleid darüber bepisst, dass er so lange in einem Staat leben musste, in dem man als Pastor sich keine Zweitfrau leisten konnte.

     

    Er hat nix bewirkt. Evtl. war er eine Wirkung. Wahrscheinlich war er das Resultat von Roman Herzogs "Ruckrede". ("Es muss ein Rechtsruck durch Deutschland gehen." Das haben die Herrschenden und die Bewohner dieses Landes gerne aufgenommen und umgesetzt.)

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @Age Krüger:

      Dass Sie Herzog mit "Rechtsruck" in Verbindung bringen, finde ich nicht fair gegenüber einem, der sich nicht mehr dagegen wehren kann.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    "Er ist an Schmerzgrenzen gegangen, auch an meine."

    So ist es, drum habe ich ihn immer wegezappt, weil ich schon nach Sekunden seines Gebräses nicht mehr zuhören konnte. Das Inhaltliche konnte mich dann (leider?) nicht mehr erreichen.

    • @571 (Profil gelöscht):

      Haha, war bei mir ganz genauso!

      Vermutlich das erste mal, dass ich Erdos Ansicht teile.

      (Es ging soweit, dass ich bei irgendwelchen Katastrophen sofort an Gauck denken musste, wie er sich schon die Hände reibt, dass er’s uns gleich wieder einbauen darf.)

  • 2G
    25726 (Profil gelöscht)

    Jaroslaw Majchrzyk (s.u.) hat's Ihnen erklärt, Herr Löwisch.

     

    Ich drücke es noch etwas drastischer aus: Den Pfaffen in einem Atemzug mit Heinemann und v. Weizsäcker zu nennen ist einfach nur widerlich.

    • @25726 (Profil gelöscht):

      Danke - Genau das wollte ich nach -

      Ungläubig atemverschlagendem

      Lesen auch schreiben.

      Schlicht unfaßbarer bullshit.

      Punkt.

      • @Lowandorder:

        und @amadeuprado

         

        Warum ist es eigentlich so schwer, jemanden, dessen Meinung man nicht teilt, mit vernünftigen Argumenten zu widersprechen? Stattdessen einfach mal reinrufen "einfach nur widerlich" oder "unfassbarer bullshit. Punkt". Was soll dieser Wutbürgerstil ?

         

        Angenehmes Diskussionsklima ? Meinungsvielfalt ? Sachliche Diskussion? Offenbar eher nicht gewünscht.

        • 5G
          571 (Profil gelöscht)
          @Karl B:

          Ach nö, warum so sensibel bei einem, der Schmerzgrenzen ausgelotet hat?

          Würde gerne noch eins draufsetzen, verkneif 's mir aber.

          Nur so viel: Gerne-Porträtist Löwisch könnte sich aalglatt um eine Gauck-Biografie-Mitautorenschaft bewerben...

        • @Karl B:

          Das überlaß ich in diesem Fall gern anderen.

          Dies aber gehört für mich in die

          Kategorie Wolfgang Neuss'

          "Es reicht nicht keine Gedanken zu haben -

          Man muß auch unfähig sein -

          Sie auszusprechen!"

           

          Ein andermal wieder gern auf dem von Ihnen angemahnten Niveau!

          Versprochen!

  • Schade, der scheidende BP hatet in seinen Ansprachen so ein schönes

    beruhigendes medidatives etwas

    gehabt in Tendenz zum gemütlichen einschlafen.

  • köhler hat mist gebaut und zog die reissleine Wulff wurde von Bild abgesägt, gauck wardie Notlösung kommt jetzt Steinmeier, tiefer gehts nicht mehr

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    "Überparteiisch, aber nicht unparteiisch"

     

    Sie meinten wohl "Überparteilich, aber nicht unparteiisch".

  • Der Mann hat in seiner letzten Rede mehr Deutsche Kriegslust gefordert. Das ist doch ein guter Grund, um von der taz ein Denkmal gesetzt zu bekommen.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "Auch Machthaber von Peking bis Moskau provozierte er."

    ...

    "Für autoritäre und größenwahnsinnige Mächtige hat Gauck einen scharfen Blick. Schade, dass er nicht mehr auf Donald Trump trifft."

     

    Seinen "scharfen Blick" und die ebengleiche Kritik an "autoritären Mächtigen" kann man z.B. hier bewundern: http://www.spiegel.de/politik/ausland/joachim-gauck-in-china-praesident-uebt-harte-kritik-in-shanghai-a-1083737.html

     

    Da fährt der Pastor, der sonst überall von der Freiheit faselt in eine Einparteiendiktatur, die für etwa 50 Tatbestände fleißig Todesstrafe verhängt, wo keine Pressefreiheit herrscht und keine freien Wahlen stattfinden und was macht er?

    "Schmeicheln und mahnen".

     

    Ihm wurde bestimmt diese Grafik zugesteckt: https://www.wsws.org/asset/bf4489d2-c281-4024-b650-16482d21e7fO/image.jpg?rendition=image480

    • @10236 (Profil gelöscht):

      "Einparteiendiktatur"

       

      Das schlimme ist, dass China mit dieser Einparteindiktatur besser regiert wird, als Staaten mit demokratischen Gegenmodellen.

       

      Man stelle sich eine Art "Arabellion" in China vor - Katastrophe.

  • So verschieden kann Wahrnehmung sein...