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Debatte Iran und Saudi-ArabienUngleiche Rivalen

Kommentar von Charlotte Wiedemann

Iran und Saudi-Arabien bestehen nicht nur aus zwei Regimen, sondern auch aus zwei Gesellschaften. Und die sind grundverschieden.

Die Iranerinnen sind heute im öffentlichen Leben so präsent, dass bei der zurückliegenden Präsidentschaftswahl jeder Bewerber um ihre Stimmen warb Foto: imago/UPI Photo

S ind Iran und Saudi-Arabien eigentlich menschenleere Gebiete ohne Bürger, ohne Gesellschaften? In diesen Tagen wird über beide Länder oft gesprochen, als bestünden sie nur aus Regimen. Dieser eingeschränkte Blick zeichnet dann zwei gleichermaßen unsympathische und von Religion besessene Systeme, deren Rivalität schon deshalb kaum überrascht, weil hier eben zwei Ähnliche miteinander ringen.

Und diese Ähnlichen, so folgt die Logik auf dem Fuße, nehmen das Einzige, was sie wirklich trennt, eben essenziell wichtig: die Konfession – Sunnitentum und Schia.

Wenn wir den Blick ein wenig weiten, entsteht ein anderes Bild. Dann sehen wir zwei Gesellschaften, die sich in sehr unterschiedlichem Takt modernisieren und in denen trotz verwandter sozialer oder wirtschaftlicher Probleme das Wichtigste doch grundverschieden ist: Lebensgefühl, Geschichtsbewusstsein, zivilgesellschaftliches Niveau.

Eben aus Saudi-Arabien zurückgekehrt, fällt mir auf, wie selten mir dort etwas passiert, das in Iran so häufig ist: Junge Frauen, neugierig und weltoffen, sprechen eine Ausländerin an, mit Fragen nach dem Woher und Wohin, mit Lust auf Austausch. Gleichaltrige Saudis scheinen reservierter, selbstbezogener, vielleicht unsicherer.

Dabei dominiert in beiden Ländern heute eine gebildete junge Generation; allen Stereotypen zum Trotz machen in Iran wie in Saudi-Arabien mehr Frauen als Männer einen Universitätsabschluss. Ähnlich ist auch eine hohe Scheidungsrate, die auf die Risse im Gefüge familienzentrierter Kulturen verweist; mehr Scheidungen werden dabei von Frauen beantragt.

Die Frauen

Deren Lage ist in beiden Ländern ein Indikator des Wandels – allerdings mit einem gefühlten halben Jahrhundert Abstand. In Saudi-Arabien gilt ein bizarres Vormundschaftsrecht, es macht Frauen lebenslang zum Mündel. Dagegen regt sich Widerstand, jedoch bisher nur von einer kleinen Minderheit. In Iran hat hingegen die Masse der Frauen durch Bildungshunger und Berufstätigkeit die Alltagskultur rasant verändert.

Die Iranerinnen sind heute im öffentlichen Leben so präsent, dass bei der zurückliegenden Präsidentschaftswahl jeder Bewerber um ihre Stimmen warb. Obwohl Iranerinnen über anhaltende Benachteiligung klagen, empfänden sie es als Beleidigung, mit den saudischen Schwestern auf eine Stufe gestellt zu werden.

Gewisse Freiheiten wie Bars und Swimming-Pools sind in beiden Systemen käuflich

Gewisse Freiheiten sind in beiden Systemen käuflich. Reiche haben Bars und Swimmingpools, ob im nördlichen Teheran oder hinter den Mauern saudischer Villen. In beiden Ländern wurde die ominöse Religionspolizei in jüngster Zeit zurückgepfiffen – vielleicht wird sie hier wie dort als obsolet betrachtet angesichts der Umbrüche, die durch Wirtschaftskrisen und die absehbare Endlichkeit des Öls erzwungen werden.

Doch bleibt in der saudischen Gesellschaft religiöser Extremismus viel stärker beheimatet als in Iran. Auf einer Liste von Ländern, aus denen die meisten Pro-IS-Tweets kommen, steht das Königreich ganz oben. Die völlige Abwesenheit von Religionsfreiheit war jetzt im Ramadan besonders augenfällig: Vor dem Fastengebot kuschen öffentlich auch Zigtausende nichtmuslimische Arbeitsmigranten von den Philippinen oder aus Nepal. Keine Kirche im Land zu dulden, keine Synagoge, wäre für Iraner dagegen undenkbar.

Das Internet

Junge Saudis sind netzaffin; die Iraner sind es bereits viel länger, sie machten vor, wie man sich Kanäle zur Selbstverständigung schafft, jenseits von Staatsmedien oder klerikaler Zensur. Aber das Netz spiegelt heute hier wie dort auch den politischen und religiösen Kampf um Köpfe und Herzen, es ist längst nicht mehr alleinige Domäne von Freigeistern oder Dissidenten, sondern ebenso eine Bühne von Konservativen und Hardlinern.

Die saudischen Aktivistinnen gegen das Fahrverbot haben eine virtuelle Anhängerschaft, doch sie kann sich nicht mit dem Millionenpublikum einer erzkonservativen Predigerin messen. Auch die männlichen Twitterstars der Saudis sind meist Religiöse.

Was beide Gesellschaften indes am deutlichsten trennt, nenne ich ihr „In der Zeit sein“: Iraner beziehen ihren Nationalstolz vor allem aus der vorislamischen Epoche, aus einer Jahrtausende langen Kulturtradition. Die Saudis betrachten hingegen die Zeit, bevor der Prophet Mohammed ihre sandige Bühne betrat, als dunkle, vorzivilisatorische Ära. Vielleicht können sie deshalb den iranischen Stolz auf das einstige Persische Reich nur als Ausdruck heutigen Teheraner Hegemonialstrebens interpretieren.

Als der Staat Saudi-Arabien 1932 auf dem jetzigen Territorium gegründet wurde (nach zwei kleineren Vorläufern), hatten die Iraner bereits eine konstitutionelle Revolution auf die Beine gestellt, ein Parlament etabliert, eine Verfassung debattiert, Gewerkschaften gegründet.

Bürgerrechtliches Ringen

Nach Zentralarabien kam die Modernisierung verspätet mit den US-amerikanischen Ölfirmen, und sie beschränkte sich aufs Technisch-Materielle. Die Iraner blieben hingegen das ganze 20. Jahrhundert über in Unabhängigkeitskämpfe verstrickt. 1953 verstaatlichten sie ihr Öl, als Strafe folgte ein von USA und Briten inszenierter Putsch. Die Revolution von 1979 war Teil einer langen Kette immer neuer Anläufe, die bis in unsere Tage reicht. Dieser lange Atem bürgerrechtlichen und intellektuellen Ringens ist der saudischen Gesellschaft fremd, mit Ausnahme Einzelner.

Irans Versuch, nach 1979 einen revolutionären Islam zu exportieren, auch in die sunnitische Welt, scheiterte. Anders die Saudis: Sie betrieben im selben Zeitraum erfolgreich die reaktionäre Mission, trugen ihren Wahhabismus bis in die hinteren Winkel Westafrikas und Indonesiens.

Irans Revolutionsführer Ali Chamenei nannte Saudi-Arabien kürzlich eine „rückwärtsgewandte Stammesgesellschaft“, während in Iran gerade 40 Millionen Menschen zur Wahl gegangen seien. Viele Iraner, auch wenn sie dem Regime nicht nahestehen, dürften sich in dieser Beurteilung wiederfinden. Wie Donald Trump sie schmäht und die Saudis preist, empfinden sie als große Kränkung.

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16 Kommentare

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  • Chomeini hat das lange überdeckt, aber der Iran/Persien ist ein Land mit einer uralten Hochkultur und großen Zivilisation. Die Vorfahren der Saudis haben sich noch vor hundert Jahren im Streit um Wasserlöcher umgeflintet.

  • Schöner Artikel. Der Iran wird sich soweit modernisieren, dass eine gewisse Religionstoleranz herrscht. Ganz an den Westen anpassen müssen sie sich ja nicht. Es ist gut, dass viele der Sanktionen aufgehoben wurden.

  • Hallo Frau Wiedemann,

     

    bitte übersehen Sie nicht, wie die Elitecorps der Iran. Revolutionsgarden in Syrien Krieg führen und sich die Ideologie der Hisbollah ausdehnt, auch im Norden Ghanas übrigens, wie Felix Riedel schildert.

    Der Iran hat den Konflikt im Jemen begonnen.

    • @nzuli sana:

      Saudi-Arabien unterstützt die syrischen Dschihadisten und bombardiert Dörfer im Jemen. Aber der Westen ist mit der einen Seite halt verbündet und mit der anderen nicht. Warum eigentlich?

  • Hervorragende Darstellung, deckt sich wirklich hundertprozentig mit meinen Eindrücken. Ein guter Ansatz, die gesellschaftlichen Verhältnisse einmal jenseits von Aussagen und Aktionen der politischen Führungen darzustellen, um aufzuzeigen, wohin die weitere Reise gehen könnte. Und es zeigt zudem, was von der aktuellen Positionierung der USA zu halten ist.

  • 6G
    60440 (Profil gelöscht)

    Iran ist eine uralte Kulturnation. Und war schon immer multiethnisch. Das macht den Unterschied, nicht nur zu Saudi-Arabien ...

  • Sehr guter, wichtiger Kommentar, Frau Wiedemann. Manchmal wird ja auch behauptet, Iran habe die 'säkularste' Bevölkerung unter den islamischen Ländern. Ob das stimmt weiß ich nicht, aber die paar Iraner die ich kennengelernt habe, waren alles andere als religiös, im Gegensatz zu Syrern und Afghanen...

  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    Im Großen und Ganzen sicher eine treffende Gegenüberstellung.

    Alles in Allem ist die iranische Gesellschaft diejenige auf die man die größeren Hoffnungen setzen darf.

    Es gibt eine breite Schicht iranischer Intellektueller, Künstler, Wissenschaftler, sowohl dort, als auch in der Welt verstreut, die seit Jahrzehnten im Westen von sich reden machen und deren Wirken auf die gesellschaftliche Entwicklung im Iran zurückwirkt.

    Die Attraktivität des saudischen Wahhabismus auf alle möglichen muslimischen Habenichtse in der Welt liegt schlicht in seiner Freigiebigkeit. Was wäre die Bedeutung der Sunna heute, wären die Araber umherziehende, wenig besitzende Nomaden geblieben? Was wäre, wenn auf sunnitisch-arabischem Gebiet niemals Öl gefunden worden wäre? Die Welt hätte wohl ein paar schlimme Probleme weniger (dafür aber anderswo andere)

    Und was wäre, wenn das iranische Regime im Zuge des ersten Golfkrieges, des iranisch-irakischen Konfliktes zusammengebrochen wäre?

    Die Welt hätte heute eine Hoffnung weniger, nämlich die der Entwicklungsfähigkeit muslimischer Gesellschaften zu emanzipatorischen Zivilgesellschaften.

    Mal sehen, wie es weiter geht.

  • Man darf die Konfliktlinie Schiiten-Sunniten nicht vergessen. Unterm Strich sind es ohnehin religiöse Diktaturen, die ihre Daseinsberechtigung zum großen Teil aus der speziellen Stellung ihrer Religionsrichtung (Schia, Wahabismus) schöpfen.

    • @agerwiese:

      Haben Sie den Artikel eigentlich gelesen? Wenn dann haben Sie ihn jedenfalls nicht verstanden...

      • 8G
        88181 (Profil gelöscht)
        @Flipper:

        Es sind also keine religiösen Diktaturen?

         

        Der Iran kommt ja erstaunlich gut weg. Wie viele Todesurteile wurden dort vollstreckt? Etwa gegen Homosexuelle.

        • @88181 (Profil gelöscht):

          Anscheinend haben Sie da was überlesen:

          "Iran und Saudi-Arabien bestehen nicht nur aus zwei Regimen, sondern auch aus zwei Gesellschaften."

           

          "Gesellschaft" ist das Stichwort, nicht "Regime"

        • @88181 (Profil gelöscht):

          "Der Iran kommt erstaunlich gut weg" - Erstaunlich gut für die deutsche Qualitätspresse. Warum wird er sonst als Reich des Bösen hochgeschrien? Hm? Superbrain?

        • 8G
          80336 (Profil gelöscht)
          @88181 (Profil gelöscht):

          Folge ich Ihrer Logik, dann muss China, gemessen an der Anzahl der Todesurteile, eine tief religiöse Diktatur sein:

          http://todesstrafe.amnesty.at/zahlen_fakten.php