Debatte „Hooligans gegen Salafisten“: Die große Verharmlosung
Medien, Politik, Fußballfans – alle zeigten sich vom Hool-Aufmarsch überrascht. Jetzt ist besonders die antifaschistische Ultraszene gefordert.
D er Aufmarsch der „Hooligans gegen Salafisten“ (HoGeSa) am vergangenen Sonntag in Köln war mit 4.800 Teilnehmern eine der größten Demonstrationen der extremen Rechten innerhalb der vergangenen zehn Jahre. An den Reaktionen von Medien und Politik, aber auch an der völlig unzureichenden Vorbereitung der Polizei zeigte sich eine erschreckende Ahnungslosigkeit über den Charakter dieser Veranstaltung.
Doch was hätte man anderes erwarten können, wenn sich eine per se gewaltbereite Hooliganszene mit rechten Ideologen verbindet, als eine aggressive Artikulation von Nationalismus und Rassismus? Überraschend, selbst für viele Szenekenner, war lediglich die Masse der Teilnehmer an der ausschließlich über Onlinenetzwerke beworbenen Veranstaltung.
Ein erschreckendes Beispiel für die Naivität vieler Beobachter bot ausgerechnet Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), als er den Teilnehmern in einem ARD-Interview unterstellte, dass für sie „Politik nur ein Vehikel ist, um eine Massenschlägerei anzuzetteln“. Damit verkennt er den explizit politischen Charakter, der sich auf den Straßen rund um den Kölner Hauptbahnhof zeigte, und wiederholt damit den Kardinalfehler der Politik im Umgang mit Rechtsextremismus: seine Verharmlosung. Schon bei oberflächlicher Betrachtung hätte auffallen müssen, dass sich das braune Spektrum dort in ganzer Breite zeigte.
Neben der Rechtsrockband „Kategorie C – Hungrige Wölfe“ waren Vertreter von Pro NRW über NPD, Die Rechte, Autonome Nationalisten bis hin zu Rockerclubs in Köln zugegen. Hitlergrüße, „Ausländer raus“-Parolen und Jagd auf Linke und Migranten waren die Folge. Salafisten als Gegner fanden sich in Köln keine, aber um die geht es den deutschen Jungs auf ihrer Suche nach einem einenden Identitätsmoment sowieso nicht.
„In einer halben Stunde sind wir da“
Zwar sind Hooligans in den Stadien der Republik seit den 1990er Jahren auf dem Rückzug und haben in Sachen Nachwuchswerbung der bunten und kreativen Jugendkultur der Ultras kaum noch etwas entgegenzusetzen, doch verschwunden sind die Hools damit noch lange nicht. Exemplarisch dafür steht die Aussage von Thomas Haller, Gründungsfigur der rechtsextremen Chemnitzer Gruppe „Hooligans, Nazis, Rassisten“ (HooNaRa), der 2008, ein Jahr nach ihrer offiziellen Auflösung, sagte: „Eigentlich gibt es HooNaRa nicht mehr, andererseits sind wir in einer halben Stunde da.“ Das gilt bis heute.
Hoolitrends
Nahezu an allen Standorten der deutschen Fußballlandschaft existieren Gruppen von Hooligans, teilweise integriert in die aktive Fanszene, oft auch nur noch als Beobachter von Sitzplatztribünen oder außerhalb der Stadien. Während Ultras die Hoheit über die Fanszenen übernommen haben, nicht selten mit einem antifaschistischen Konsens, konnten die Hooligans ihr Gewaltmonopol verteidigen. Wenn ihnen die junge Fangeneration politisch zu sehr über die Stränge schlägt, melden sie sich zurück. Beispiele hierfür fanden sich in Aachen, Braunschweig, Duisburg oder Düsseldorf, wo linke Ultras massiv attackiert wurden und teilweise zum Rückzug aus den Stadien gezwungen wurden.
Eine generelle Gleichsetzung von Hooligans und Rechtsextremismus führt jedoch in die Irre; zu wenig verstanden sich die Fußballrowdys in ihrer Mehrheit je als politische Akteure. Doch Attribute wie übersteigerter Regional-/Nationalstolz, Gewaltaffinität und aggressive Männlichkeit machen sie seit jeher anschlussfähig und interessant für die extreme Rechte. Auf die Frage, wo er Gesinnungsgenossen rekrutiere, antwortete 1983 der mittlerweile verstorbene Anführer der Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationaler Aktivisten (ANS/NA) und später der Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP), Michael Kühnen: „Unter Skinheads und Fußballfans, die uns sehr helfen, aber politisch noch nicht ganz zu uns gehören.“
Als sein immer noch aktiver Nachfolger kann Siegfried Borchardt gelten, bekannt als „SS-Siggi“, ehemaliger Anführer der Dortmunder Hooligans „Borussenfront“ und heute Aktivist der Bewegungspartei Die Rechte. Bereits seit 2012 treibt er den Zusammenschluss der Hooligans voran.
Jetzt sind die Ultras gefordert
Doch ob sich der „Erfolg“ von Köln auf Dauer erhalten lässt, ist fraglich. Die fehlende ideologische Standfestigkeit übers Stammtischdenken hinaus wird einer dauerhaften politischen Bewegung im Wege stehen. Schon nach der Machtdemonstration vom Sonntag kam es zu internen Streitereien. So hetzte etwa der Hamburger Rechtsextremist Thorsten de Vries gegen die „besoffenen Spastis“ auf der Veranstaltung. Hooligans aus dem Umfeld des HSV kündigten ihre Zusammenarbeit mit den HoGeSa bereits auf. In einer Erklärung verwiesen sie auf die Instrumentalisierung durch „NPD- und bürgerliche rechte Dauerversager“.
Aber darauf vertrauen, dass sich der rechte Mob schon selbst zerlegt, sollte die Linke und insbesondere die antifaschistische Fußballfanszene nicht. Schon aus Eigeninteresse daran, nicht bald mit dem neuen Selbstbewusstsein der Kameraden konfrontiert zu werden, muss die politisch bewusste Ultraszene auf das massive Auftauchen der Hooligans reagieren.
Keine einzige Fangruppe hatte zu Gegenprotesten in Köln aufgerufen. ein-schwarzer-nachmittag-in-koeln&catid=1:aktuelle-nachrichten&Itemid=50:Das Bündnis Aktiver Fußballfans (BAFF) sprach in einer Stellungnahme zu der HoGeSa-Manifestation zu Recht von einem „Armutszeugnis“ und davon, dass die Radikalität der Ultragruppen offenbar nicht ausreiche, „sich gegen die eigenen alten Herren zu wenden“.
Dabei können die Hooligans auf der Straße das intensive Bemühen der Ultras um eine Deutungshoheit in den Kurven konterkarieren. Wer jahrelange Arbeit geleistet hat, um seinen Verein und die eigene Fanszene vom Image eines Rechten-Klubs zu befreien, sollte nicht einfach zusehen, wenn die eigenen Farben auf einer neonazistischen Demonstration zur Schau gestellt werden.
Es bleibt abzuwarten, ob die Ultras aus ihrer Passivität erwachen, wenn die HoGeSa wie geplant Mitte November in Berlin auf die Straße gehen. Ihnen eine weitere Demonstration der Stärke zu erlauben oder sich ganz auf die sicherlich anders als in Köln agierende Polizei zu verlassen, wäre ein fataler Fehler.
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