Debatte Flüchtlingspolitik: Ab in die Turnhalle!
Gerade bei Schwerstbehinderten zeigt sich: Nirgendwo in Europa ist das Asylverfahren vertrackter als in Deutschland.
D er Mann vom Auswärtigen Amt begrüßte uns im Wartesaal des Berliner Amtsgerichts süffisant mit den Worten: „Der hat aber viele Unterstützer, ich bin ganz alleine.” Dabei richtete er den Blick fest auf die beiden jüngeren, attraktiven Frauen neben mir. Mit „der” meinte er Mohammad Almousa. Der 29-Jährige wurde vor drei Jahren in seiner syrischen Heimatstadt Homs von einem Heckenschützen in den Kopf geschossen.
Helfer schleppten ihn in eine Untergrundkrankenstation, doch die wurde vom Assad-Regime bombardiert. Daher folgte für Almousa eine unvorstellbare Odyssee von Unterschlupf zu Unterschlupf. Schließlich wurde er irgendwie über die Grenze in die Türkei getragen. Zunächst konnte er weder Beine noch Arme bewegen. Denn die Kugel hat das motorische Zentrum in seinem Gehirn weitgehend zerstört. Doch Almousa kämpft.
Heute läuft er mühsam an einer Krücke, seine Beine zu koordinieren bedeutet für ihn Höchstanstrengung. Die geplante Operation konnte nicht durchgeführt werden, dafür kam er zu spät in Deutschland an. Nachdem sie ihn untersucht hatten, rieten die Ärzte ab, die Lebensgefahr sei doch zu groß. Er ist nun in neurologischer Behandlung, um die Spastik in seinen Beinen zu reduzieren.
Zwei Jahre lang kämpfte der Anglistikstudent mit Hilfe einer deutschen Aktivistin um ein Visum, damit er im Vivantes-Krankenhaus Friedrichshain operiert werden kann. Die Finanzierung übernahm ihre Mutter, die ihm heute auch ihre Wohnung in Berlin zur Verfügung stellt. Doch das Auswärtige Amt lehnte ab. Zu groß sei die Gefahr, dass der Syrer in Deutschland einen Asylantrag stelle und diesem dann stattgegeben werden müsste.
Almousa legte Widerspruch gegen die Ablehnung ein – und deshalb saßen wir im April dieses Jahres im Berliner Verwaltungsgericht, gemeinsam mit dem Herrn vom Amt, dem es lieber gewesen wäre, er hätte allein mit dem Richter und der Rechtsanwältin einen Deal aushandeln können. Es kam anders.
Denn wegen der Anwesenheit der UnterstützerInnen, die mitreden durften, entspann sich eine eineinhalbstündige Verhandlung, in deren Verlauf dem Vertreter des Auswärtigen Amtes ein Visum für den Schwerverletzten abgerungen wurde. Weshalb Herr Müller (nennen wir ihn so) darauf bestand, dass zumindest die Ehefrau und die neun Monate alte Tochter Almousa ihren Mann/Vater nicht begleiten dürften. Zwar ist klar, dass Almousa seine Familie ohnehin über das Recht der Familienzusammenführung nachholen kann, sollte er Asyl beantragen, aber „dann wird es schwieriger und außerdem dauert es länger”. Herrn Müller bereitet diese Erschwernis Befriedigung.
Doch wieder konnte er sich nicht durchsetzen. Am Ende durfte die ganze Familie einreisen. Sie ist seit wenigen Wochen in Berlin. Und ja, sie hat Asyl beantragt. Und damit beginnt die nächste traurige Geschichte einer existenzvernichtenden Bürokratie. Denn obwohl Almousa schwerstbehindert ist sowie traumatisiert und von der Caritas als Härtefall eingestuft wurde, soll er umverteilt werden in die Notunterkünfte irgendwo in Deutschland. So will es die Routine. Ab in die Turnhalle, du Spast!
Management erschreckend
Dabei hat Almousa eine Wohnung in Berlin und ist ordnungsgemäß gemeldet, die ärztliche Behandlung läuft und die Kosten werden privat getragen. Seine Unterstützerinnen haben für alles gesorgt. Doch bislang kümmert das die Bürokratie nicht. Sie will auch kein Geld einsparen, denn natürlich ist die private Unterbringung billiger als die Verschickung ins Heim. Doch es gilt: Niemand hat einen rechtlichen Anspruch darauf, den Ort seiner Unterkunft zu bestimmen, solange das Asylverfahren läuft. Egal wie die Umstände sind.
Nur wenn der Zufall will, dass Almousa und seine Familie auf eine gnädige MitarbeiterIn stoßen, die ihnen das entsprechende Papier ausstellt, können sie ihr neues Leben in Würde beginnen, dürfen die Wunden buchstäblich und im übertragenen Sinn in Berlin heilen. Der Ermessensspielraum der SachbearbeiterInnen ist groß. Es gibt also eine Chance, denn das Asylverfahren hier ist reines Glücksspiel. Wer einen Biodeutschen kennt, ist einen enormen Schritt weiter, und wenn dieser Biodeutsche dann noch Kontakte in die Verwaltung hat: Bingo! Wer ohne Beziehungen sein Recht auf Asyl und auf humane Behandlung geltend machen will, wird verlieren.
Deshalb ist es wichtig, dass aus dem persönlichen Engagement für die Vertriebenen politische Forderungen abgeleitet werden, die auf die Strukturen zielen. Etwa die, dass Innenminister de Maizière die politische Verantwortung übernehmen muss für diese unfassbar ineffizient und menschenverachtend arbeitende Asylbürokratie. Er muss zurücktreten. Erst dann ist der Weg frei für die Entschlackung der Asylverfahren und die nötigen Investitionen in die Unterbringung.
Software fehlt
Die im Mai veröffentlichte Studie der Bertelsmann Stiftung „Die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen“ attestiert Deutschland das mit Abstand vertrackteste Asylverfahren in Europa. Daher die langen Wartezeiten und die hohen Einspruchsquoten, weshalb die zuständigen Gerichte gegen die Flut, nein, nicht von Menschen, sondern der fehlerhaften Bearbeitungen protestierten. Zumindest für SyrerInnen wurde der Prozess daraufhin vereinfacht. Es geht also.
Und die Bundespolizei beschwert sich darüber, dass ihr die Software fehlt, mit der sie größere Datenmengen an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge übertragen kann, also an die Behörde, die über die Asylanträge entscheidet. Daher die SachbearbeiterInnen dort, die bereits erhobenen Daten erneut per Hand in ihre Computer eintippen müssen. Was für ein Missmanagement!
Dieses führt zu der allerorts beklagten Überforderung, nicht die schiere Anzahl der neu Eingereisten. Die Menschen, die jetzt nach Deutschland kommen, bringen Licht in die dunklen, vermoderten und vermüllten Ecken unseres Rechtsstaates. Ohne sie hätten wir NormalbürgerInnen uns eine Schlamperei diesen Ausmaßes schlicht nicht vorstellen können. Sie sind unsere Chance, Deutschland endlich zu modernisieren.
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