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Debatte FamilienrechtKompliziertes Patchwork

Simone Schmollack
Kommentar von Simone Schmollack

Die Grünen schlagen eine Neuregelung der sozialen Elternschaft vor. „Stiefmütter“ und „Stiefväter“ sollen ähnliche Rechte bekommen wie leibliche Eltern.

14 Prozent aller Familien sind Patchworkfamilien. Bild: dpa

E ine Szene, wie sie sich während der Sommerferien an so manchem Flughafen immer wieder abspielen könnte: Eine Frau mit zwei kleinen Kindern steht am Check-in-Schalter, die Mitarbeiterin der Fluglinie will die Tickets bearbeiten.

Die Frau und die beiden Kinder sind froh gestimmt, es ist der erste gemeinsame Urlaub der jungen Patchworkfamilie. Der Mann ist mit seinen zwei anderen Kindern bereits am Urlaubsort und wartet auf den Rest der Familie. Aber jetzt will die Mitarbeiterin Papiere sehen, auch die von den Kindern. Die Frau zuckt mit den Achseln, sie hat nur welche für ein Kind, für ihr eigenes. Für ihr „Beutekind“ hat sie nicht mal eine Vollmacht, die beweist, dass sie mit dem Kind reisen darf.

Gewiss, daran hätten die Eltern rechtzeitig denken können. Schließlich ist so eine Urlaubsreise mit dem Nachwuchs keine spontane Angelegenheit. Aber es gibt auch andere, alltägliche Situationen, in denen die neuen PartnerInnen von der Mitverantwortung ihrer „neuen“ Kinder ausgeschlossen sind: Schule, Hort, Krankenhaus.

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Simone Schmollack

taz-Inlandsredakteurin, ist für Themen an der Schnittstelle von Politik und Alltag zuständig. Sie hat Bücher wie „Ich wollte nie so werden wie meine Mutter“ und „Kuckuckskinder, Kuckuckseltern“ veröffentlicht.

Das kennen viele Patchworkeltern: Da kann eine Mutter kurzfristig ihr Kind nicht aus der Kita abholen und bittet ihren Partner, das zu übernehmen. Die Erzieherin aber sagt: „Wir haben keine Vollmacht, ich kann Ihnen das Kind nicht mitgeben.“ Ein Patchworkvater wird beim Kinderarzt abgewiesen, weil nicht er, sondern nur die leiblichen Eltern entscheiden können, ob das Kind die Impfung bekommt oder nicht – obwohl der Mann seit Jahren Verantwortung für das Mädchen oder den Jungen übernommen hat.

Die sogenannte soziale Elternschaft

Das wollen die Grünen jetzt ändern. „Stiefmütter“ und „Stiefväter“ sollen ähnliche Rechte bekommen wie leibliche Eltern. Über das „Rechtsinstitut elterliche Mitverantwortung“, das nun im Wahlprogramm der Partei verankert ist, debattieren die Grünen schon länger. Hetero- wie homosexuelle PatchworkerInnen, höchstens aber beide leibliche Eltern und deren neue PartnerInnen, sollen die sogenannte soziale Elternschaft bekommen können. Mit einem Familienpass können dann die neuen, rechtlich gleichgestellten Eltern problemlos mit allen Kindern ins Flugzeug steigen oder zum Arzt gehen.

Was aber ist mit Pflichten wie beispielsweise dem Kindesunterhalt? Den sollen alle Beteiligten zahlen, finden die Grünen. Die Bundestagsfraktion hat jüngst beschlossen, dass alle Beteiligten zu gleichen Teilen Unterhalt für das Kind zahlen. Bei einem Dreierpatchwork – beispielsweise leibliche Mutter, leiblicher Vater, neuer sozialer Vater – würde der Unterhalt gedrittelt. Sind vier Elternteile beteiligt, soll er geviertelt werden.

Die Grünen denken aber noch weiter. So sieht ein Zusatzpapier, das der taz exklusiv vorliegt, vor, dass die Unterhaltspflicht bestehen bleiben soll, wenn sich die Patchworkeltern wieder trennen. Damit bedenkt die Partei, dass auch Zweit- und Drittbeziehungen nicht mehr so lange halten. Man kann das modern nennen. Aber ist es auch klug, eine Unterhaltspflicht aufrechtzuerhalten, wenn die Folgebeziehung in die Brüche geht?

Viele potenzielle Zweitmütter und Zweitväter könnte das abschrecken. Warum soll jemand für ein Kind zahlen, mit dem er nichts mehr zu tun hat? Sorge und Verantwortung für die Patchworkzeit zu übernehmen ist nachvollziehbar. Aber warum auch noch danach? Es geht hier ja mitnichten um die eigenen leiblichen Kinder.

Das klingt einfach

Die Grünen meinen es offenbar ernst mit ihrem Slogan: „Familie ist überall dort, wo Menschen verbindlich füreinander Verantwortung übernehmen.“ Das klingt gut, das klingt einfach. Aber ist das leicht zu machen?

Da sind zunächst die beiden leiblichen Eltern. Auch wenn Schmerz und Wut nach einer Trennung vergangen sind, dürfte es nur wenige getrennte Mütter und Väter geben, die wollen, dass der oder die Neue über ihr Kind bestimmt: „Der Neue hat schon meine Frau, mein Kind soll er nicht auch noch bekommen.“

Ähnliches zeigt sich beim Blick auf ein anderes Familienproblem: Seit das neue Sorgerecht in Kraft ist, mit dem Väter nahezu automatisch das Sorgerecht erhalten, steigt die Zahl der Sorgerechtsprozesse stetig. Mütter und Väter führen exemplarisch vor, wie schwer es getrennte Eltern haben, die sich nicht einigen können. Da hilft auch ein Gesetz nicht weiter. Warum sollte das einfacher werden, wenn neue Partner dazukommen?

Die Zahl der Patchworkfamilien wächst. 14 Prozent aller Familien sind es derzeit, hat das Allensbacher Institut für Demoskopie ausgerechnet. Und es werden mehr angesichts der höheren Scheidungsraten, bei denen minderjährige Kinder betroffen sind. Viele dieser Kinder bekommen Stiefgeschwister, wenn sich ihre Eltern neu binden – ganz gleich, ob sie wieder heiraten oder „nur“ eine Lebensgemeinschaft bilden.

Eltern wollen klare Regeln

Wie gehen Eltern mit der erweiterten Verantwortung um? Und was hat der Staat damit zu tun? Viele Paare, die mit den Töchtern und Söhnen ihrer neuen PartnerInnen leben, wünschen sich klare Regeln. Für die „kleinen“, privaten Probleme wie Medienkonsum der Kinder, Sport, Essen, Taschengeld.

Vor allem aber für grundsätzliche Situationen im täglichen Miteinander: Arzt, Schule, Flughafen. Viele „Zweitmütter“ und „Zweitväter“ wollen mehr sein als Begleitpersonen in der zweiten Reihe. Sie wollen mitentscheiden dürfen in Situationen, in denen rasche Entschlüsse gefordert sind, und in Fällen, die den Patchworkalltag direkt betreffen.

Doch wer durchschaut schon das komplizierte grüne Konstrukt aus Anträgen, Gerichtsterminen, Elternpässen? Wer lässt sich auf detaillierte Befragungen, Erörterungen der Lebensumstände und möglicherweise auf ein Beweis-Erbringen der Verantwortung ein? Vermutlich vor allem AkademikerInnen. Bildungsferne Eltern, die sich ebenso für Patchwork entscheiden, bleiben angesichts solcher Hürden ausgeschlossen von einem fakultativen Recht.

Viele Eltern fühlen sich häufig schon überfordert vom obligatorischen Papierkram. Die Grünen wollen für das veränderte Familienbild einen Rahmen, der passt. Das ist vorbildlich. Aber es scheint, als seien sie etwas übers Ziel hinausgeschossen.

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
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10 Kommentare

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  • D
    Danton

    Warum wollen die Grünen eigentlich immer im Leben anderer Menschen rumpfuschen?

    Der ideologische Dogmatismus erinnert schon an die Katholische Kirche vergangener Jahrhunderte.

    Nur Sie haben die Heilslösungen, dabei wird andersrum ein Schuh draus: Macht die Menschen endlich selbständig durch Bildung und vor allem Geistes- und Herzensbildung. Aber das führt natürlich letzlich zu Machtverlust und wir sprechen bei den Grünen ja vor allem von einer Partei, die von Machtausübung träumt und lebt.....

  • T
    tommy

    Die Grünen hassen eben natürliche Familien und wollen deshalb dieses gräßliche Patchworkzeugs fördern...furchtbar! Das Endziel ist sowieso, dass die Kinder nur noch dem Staat gehören.

  • EL
    Ernst Lehmann

    Unser Kindergarten führt eine Liste, wer das Kind abholen darf. Darauf muss jeder stehen, der das kind abholen darf, egal ob es sich um Papa, Opa, Tante oder Lebensabschnittsparter handelt. Und er/sie muss sich ggf auch mit Personalausweis ausweisen. Ganz einfache Regelung.

    Und wenn sich künftig jemand mit einer Alleinerziehenden mit Kind einlässt, muss er nach den Grünenvorschlägen damit rechnen, unterhaltspflichtig zu werden, selbst wenn er gar nicht heiratet.

    Die Grenzen verschwimmen, und je mehr desto besser, denn dann ist die Ehe endgültig abgeschafft, bzw auf alle Beziehungsformen ausgeweitet, ob die Betroffenen das wollen oder nicht, spielt keine Rolle...

  • IN
    Ihr Name hmhm

    das sozialisierte kind

     

    mit weiter bestehender unterhaltspflicht bzw. überhaupt (irgendwann wird dann durch 10 geteilt oder wie?) kann man natürlich evtl. sich bildende partnerschaften auch im keim ersticken.

     

    und ab wann soll dann die finanzielle mitpflicht gelten?

     

    ab wieviel monaten partnerschaft oder erst bei zusammen wohnen?

     

    im alltag wird der ein oder andere euro je nach situation - auch finanzieller - vermutlich eh vom aktuellen partner übernommen.

     

    warum nicht gleich ein großer steuertopf, in den eingezahlt wird? also dann doch eher richtung bge.

    wären viele streitereien, auch ums liebe geld überflüssig.

  • D
    Dietmar

    Der SWR hat dazu eine gute Dokumentation gedreht, die authentisch, aber auch dramatisch ist und in der Mediathek der ARD zu sehen ist:

     

    http://www.ardmediathek.de/das-erste/reportage-dokumentation/dokumentarfilm-im-ersten-kinder-liebe-hoffnung?documentId=15245518

  • J
    Jörn

    Die alltäglichen Situationen können gut über Vollmachten gelöst werden. Der Entwurf birgt die Gefahr, dass Väterrechte derjenige hat, der von der Mutter aktuell als sozialer Vater bestimmt wird. Das wäre aber fatal - die soziale Vaterrolle kann und muss wachsen. Besondere Rechte sind daher erst nach einer bestimmten Zeit sinnvoll.

    Während also während der "zweiten Beziehung" keine echten Probleme bestehen und es nur um eine Kaltstellung des biologischen Vaters gehen würde, sind nach der Trennung der "zweiten Beziehung" tatsächlich Fragen des Kindeswohls ungelöst. Ein getrennter sozialer Vater soll auch Besuchsrechte bekommen. Wenn sich eine enge jahrelange Bindung der Kinder zu ihm aufgebaut hat, wäre es für die Kinder und den Mann grausam, wenn die Mutter aus verletzter Eitelkeit den Kontakt unterbinden könnte.

    Das geschilderte Problem am Flughafen tritt auch auf wenn die nicht mit den Kindern zusammen lebenden Eltern mit diesen in den Urlaub fahren. Dann haben deren Lebenspartner natürlich auch keine Rechte gegenüber diesen Kindern. Es tritt aber auch bei den leiblichen Eltern auf, da eine Verbringung der Kinder in ein fremdes Land ohne Genehmigung des anderen Elternteils Kindesentführung ist. Dieses Problem hat also nichts mit den Problemen der sozialen Elternschaft zu tun.

  • C
    Cometh

    "Gewiss, daran hätten die Eltern rechtzeitig denken können."

     

    Eben, deshalb braucht es keine komplizierte Änderung, nur weil einige zu faul zum mitdenken sind...

  • B
    band

    14% Patchworker ?

     

    ist das nicht etwas hochgegriffen ?

     

    http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/altersstudie-phaenomen-der-patchwork-familien-ueberschaetzt-11043257.html

     

    tatsächlich ist der Anteil Patchworkfamilien mit Einführung der Bedarfsgemeinschaften sehr schnell gesunken.

    Am Höchsten war er übrigens in den Zwanzigern.

     

    Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß mit der Ausweitung der Erziehungspflichten/Rechten die Grünen weiter die Zuständigkeit der leiblichen Eltern schwächen wollen.

     

    Ist dies etwa immer noch dem Einfluß besonderer Kinderfreunde in den Reihen der Grünen geschuldet ?

     

    Wenn sich alle Familienbeteiligten dazu vertraglich verpflichten wollen, Ok.

    Ich schätze dies wird sehr, sehr selten passieren.

     

    Eine realitätsferne Regelung, nur weil sie progressiv und antikonservativ erscheint und sich gegen feste Bindung richtet, aus rein ideologischen Gründen zu istallieren, das können nur die Grünen.

     

    Es erübrigt sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Man möchte ihnen zurufen, " bekommt doch eigene Kinder. Dann lasst ihr andere Eltern und Kinder hoffentlich in Ruhe."

  • U
    Uticensis

    Ein sehr "vernünftiger" Kommentar, wie ich finde, der zeigt, dass die Grünen-Vorschläge relativ unausgegoren und "praxisfern" oder unpraktikabel sind. Auch angesichts von Patchworkfamilie usw. sollte man die rechtlichen Regeln nicht immer komplizierter werden lassen. Oder womöglich auch Elternausweise einführen...

     

    Das Sachproblem, dass sich Nichtsorgeberechtigte, die einzelne Aufgaben der Sorge wahrnehmen, nicht legitimieren können ggü. Kindergarten usw., lässt sich übrigens leicht lösen, so wie es bisher auch praktiziert wird: Durch Vollmachten, zur Vermeidung von Missbrauch in notariell beglaubigter Form. Eine diese Möglichkeit ausdrückliche klarstellende gesetzliche Regelung wäre sinnvoll. Aber damit hat man ein Instrument, das einfach und intuitiv ist, flexibel und abänderbar, ohne Beteiligung der Gerichte, und das auch dem Bevollmächtigten keine Unterhaltspflichten aufbürdet. Zugleich bezahlten die eigentlich Sorgeberechtigten das Heft letztlich in der Hand.

  • C
    chris

    Noch ein Grund mehr, diese Partei nicht mehr ernst zu nehmen...